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Daphnis und Chloe

Die Geschichte von Daphnis und Chloe ist ein berühmter Stoff der Hirten- und Schäferdichtung (Bukolik?). Der spätantike Dichter Longos schuf unter diesem Titel den einzigen Hirtenroman der Antike. Er erzählt von der Liebe zweier in ländlicher Idylle aufgewachsener Findelkinder.

Bukolische Dichtung

Der Ausdruck „Bukolik?“, abgeleitet von „boukolos“ = der Rinderhirt (bous = das Rind), umfasst eine literarische Gattung, die ein bestimmtes Bild vom beschaulichen Dasein naturverbundener Hirten in einer lieblichen Landschaft entwirft. Andere Bezeichnungen für diese Gattung sind „Hirten- bzw.Schäferdichtung“ oder auch „arkadische Dichtung“, nach der Landschaft Arkadien? im Westen des Peloponnes. Letztes nimmt allerdings etwas wunder, da diese Gegend zwar eine typische Hirtenregion ist, keinesfalls aber lieblich, sondern sehr rau und karg.

In der Bukolik treten Hirten als Sprecher und Handlungsträger auf, die Bilder ihres harmonischen Lebens vermitteln. Interessant ist es dabei, dass die Hirtennamen größtenteils durch die Jahrhunderte konstant bleiben. Als erster Vertreter einer Art bukolischen Dichtung gilt Stesichoros? (um 600 v.Chr.), dessen Werke zwischen Chorlyrik? und Tragödie anzuordnen sind. Schon bei ihm kommt ein Schäfer namens Daphnis vor, der sich in fast allen späteren Hirtengeschichten wiederfindet.

Die Bukolik? im eigentlichen Sinne ist eine typische Schöpfung des Hellenismus. Begründet wurde sie durch den der 1.Hälfte des 3.Jhs. zugehörigen Dichter Theokrit? aus Syrakus. Von ihm ist eine unter dem Titel „Eidyllia“ bekannt gewordene Sammlung von 30 Gedichten bukolischen Charakters überliefert. Auch bei Theokrit begegnet der Schäfer Daphnis wieder.

Im 1. Jh. v.Chr. fand Theokrit in den römischen Dichtern Vergil?, Tibull? und Properz? die ersten Nachahmer seiner Kunst. Am berühmtesten sind wohl Vergils „Bucolica“, aber auch von den beiden anderen sind eine Reihe von Elegien? überliefert, die die Schlichtheit des Landlebens preisen.

Der im 2./3.Jh.n.Chr. anzusiedelnde Longos? (oder auch Longus) verwandelte in seiner in vier Bücher unterteilten Geschichte von „Daphnis und Chloe“ Poesie in Prosa und schuf damit den einzigen Hirtenroman der Antike.

Pastorale von François Boucher, 18. Jh. - (c) gemeinfrei
In der Renaissance lebte die bukolische Dichtung wieder auf. Vor allem im 17./18. Jh., im Barock und Rokoko, erlebte sie ihren Siegeszug durch ganz Europa. In der Neuzeit etablierte sich die Bukolik als literarische Gattung zwischen Lyrik und Epik. Sie wurde jetzt auch einfach als „Idylle?“ bezeichnet – eine Wortschöpfung, die unmittelbar auf Theokrits Gedichtsammlung zurückgeht und die Anlehnung an die antiken Vorbilder deutlich macht.

Longos und seine Zeit

Der Dichter Longos ist heute einzig und allein durch seinen Hirtenroman „Daphnis und Chloe“ bekannt. Sein vollständiger Name ist nicht überliefert; falls er wirklich Longos hieß, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen freigelassenen Sklaven handelte.

Zu Datierung

Er lebte wohl im 2. Jh. n. Chr., eventuell auch bis ins 3. Jh.; gesicherte Aussagen zu seinen Lebensdaten lassen sich jedoch nicht machen. Dasselbe gilt für den Ort seiner Geburt und seines Schaffens. Die Annahme, er stamme von der Insel Lesbos?, beruht ausschließlich auf der Tatsache, dass sein einziges literarisches Werk auf dieser Insel spielt und der Verfasser mit den örtlichen Verhältnissen sehr vertraut scheint.

Man nimmt an, dass es sich bei dem Dichter Longos um einen Vertreter der sogenannten zweiten Sophistik? handelt, der Renaissance der Sophistik? des 5. vorchristlichen Jh. In der zweiten Sophistik erfuhr unter anderem der antike? Liebesroman seine entscheidende Ausformung. Die Technik von Longos’ Werk deutet darauf diese Zeit hin, auch wenn es in jeder Hinsicht aus der erotischen Literatur? jener Zeit heraussticht.

Das Ende des 2. Jhs. und vor allem das 3. Jh. war eine Zeit schwerster Krisen. Im Römischen reich wechselten Kaiser und Gegenkaiser und an den Grenzen kam es zu immer neuen kriegerischen Verwicklungen. In dieser Zeit starb das Kleinbauerntum praktisch aus. Das könnte eine Erklärung für die in der Literatur verbreitete Sehnsucht nach dem einfachen Landleben und nach romantischen Liebesverstrickungen vor dem Hintergrund dieser Kulisse sein.

Longos und seine Dichtung

Das Muster des gängigen Liebesromans, der sich damals als Unterhaltungslektüre größter Beliebtheit erfreute, ist schnell erzählt: Ein liebendes Paar wird durch die Tücke des Schicksals auseinandergerissen und in diverse Abenteuer verstrickt. Nach mannigfachen Bewährungsproben wird es schließlich für seine Treue mit der glücklichen Wiedervereinigung belohnt – Happy End?!

„Daphnis und Chloe“ hebt sich aus der Masse der so angelegten Geschichten heraus. Das gängige Muster ist zwar zu erkennen, aber hier stehen nicht die Abenteuer im Mittelpunkt. Es geht nicht um das Schicksal zweier Liebender, die sich bereits gefunden haben, sondern um das sinnliche Erwachen zweier Kinder. Dieses Abenteuer steht im Vordergrund.

Das Werk braucht folglich keine Fülle von atemberaubenden Sensationen, es ist eher wie ein einfaches Märchen erzählt. Seine Stärke liegt auf dem Gebiet der idyllischen Landschafts- und Stimmungsmalerei. Dabei beleuchtet der Roman zugleich das psychologische Problem, das „Seelendrama“ der Pubertät. Auf heutige Leser mag die Ahnungslosigkeit der beiden Liebenden vielleicht überzogen wirken, aber womöglich hat Longos genau das gewollt und raffiniert als retardierendes? Moment eingesetzt.

Longos ist auch ein Meister der Anspielungen; kleine Schlüpfrigkeiten am Rande beleben die Erzählung. Dann wieder lässt er der Frivolität freien Lauf und stellt grelle Eindeutigkeiten in scharfen Kontrast zu veraltet wirkenden dichterischen Worten und Ausdrücken. Dennoch ergibt das Ganze eine Einheit, ein Werk zwischen Roman, bukolischer Poesie und Neuer Komödie?, das nicht zu Unrecht als eine der schönsten Liebegeschichten der Weltliteratur gilt.

Das Werk „Daphnis und Chloe“

Zur Überlieferung

Der Hirtenroman „Daphnis und Chloe“ ist in mehreren, teils unvollständigen Handschriften? überliefert. Er war wohl schon in seiner Entstehungszeit und in der Spätantike weit verbreitet und hielt dann über Byzanz Einzug in die europäische Literatur.

1559 fand er in Jacques Amyot, dem späteren Bischof von Auxerre, einen hervorragenden Übersetzer, dessen französische Version – obwohl auf einer lückenhaften Handschrift basierend – wohl noch größerer Verbreitung fand als der griechische Originaltext. Dieser wurde 1598 erstmals in Florenz von Columbani? gedruckt?. 1810 entdeckte man – ebenfalls in Florenz – eine vollständige Handschrift des Romans „Daphnis und Chloe“.

Den deutschen Übersetzungen – von denen die beste und bekannteste die von Arnold Mauersberger? sein dürfte – liegt ein Text von Rudolf Herder? „Erotici scriptores Graeci I 241-326“ zugrunde.

Zu den Namen der Protagonisten

Chloe bedeutet wörtlich „das junge, frische Grün“. So lautete ein Beiname der Göttin Demeter mit einem Heiligtum in Athen am Südhang der Akropolis. Für Demeter Chloe und ihre Tochter Kore (Persephone) wurde in Eleusis alljährlich ein Frühlingsfest gefeiert, die „Eloia“.
Daphnis ist die mythologisch-poetische Gestalt eines Hirten. In der älteren Überlieferung ist er der Sohn des Hermes und einer Nymphe, die ihn in einem Lorbeergebüsch (daphne = Lorbeer) aussetzt. Er wird von Hirten gefunden und von den Nymphen erzogen, von Pan lernt er das Spiel auf der Syrinx. Als er der Nymphe Echinais die Treue bricht, wird er von ihr geblendet und stürzt von einem Felsen. Nach seinem Tod wird er von Hermes in den Olymp entrückt.

In späteren Überlieferungen? wird Daphnis zu einem Hirten, der an seiner (unglücklichen) Liebe zugrunde geht, beklagt von den ihn umgebenden Tieren, getröstet von Hermes. Bei [[Vergil] tritt Daphnis mal als Hirtenknabe auf, mal als untreuer Liebhaber und dann wieder als eine Art zweiter Bacchus (= Dionysos).

Inhaltliche Zusammenfassung

Unter einfachen Landleuten auf Lesbos wachsen die Findelkinder Daphnis und Chloe als Hirten auf. Die Pflegeeltern des Daphnis heißen Lamon und Myrtale, die der Chloe Dryas und Nape. In einer Welt, in der nur ihre Tiere, der ein oder andere alte Schäfer und die Naturgottheiten ihre Gesellschaft sind, entdecken sie schrittweise die Liebe.

Schlüsselerlebnis für Chloes erwachende Leidenschaft ist eine Szene, in der sie beobachtet, wie der nackte Jüngling Daphnis ein Bad nimmt. „Sicher bin ich krank, aber woran ich kranke, weiß ich nicht“, sagt Chloe und fährt fort: „Schmerzen habe ich und bin doch nicht verwundet, traurig bin ich, dabei leben alle meine Schafe, ich brenne wie Feuer und sitze doch im Schatten.“ Sie ahnt, dass Daphnis die Ursache für ihre seltsamen Gefühle ist, und verspürt den dringenden Wunsch, ihn alsbald wieder beim Baden zu sehen.

Daphnis‘ Liebe zu Chloe entflammt in dem Augenblick, als das Mädchen ihm als Preis für einen gewonnenen Wettstreit einen spielerischen Kuss gibt. „Daphnis war es, als sei er nicht geküsst, sondern gebissen worden ... und das Herz klopfte ihm wild.“

Beide Schlüsselerlebnisse sind in ersten Buch angesiedelt. Die ansteigende Spannung der erotischen Idylle wird nur kurz unterbrochen, als Daphnis von Seeräubern gefangen genommen wird; er kann aber gleich, auf die Hörner zweier schwimmender Stiere gestützt, die Chloe durch das Spiel auf der Syrinx zu Hilfe geschickt hat, wieder gerettet werden.

Im zweiten Buch steht wiederum die Annäherung der beiden Liebenden im Vordergrund, es geht jedoch insgesamt dramatischer zu. Reiche junge Leute aus Methymna, einer Stadt an der Nordküste von Lesbos, landen mit ihrem Schiff an den Weidehängen des jungen Paares. Bei ihrem ersten Besuch bezieht Daphnis fürchterliche Prügel, wird aber durch Chloes Fürsorge getröstet. Beim zweiten Besuch entführen die reichen Nichtstuer aus dem Norden die arme Chloe. Die Nymphen der heiligen Grotte – die immer wieder im Verlaufe der Erzählung auftreten – verweisen unglücklichen Daphnis an den bocksbeinigen Gott Pan. Der tritt als wenig beachtetes, überwachsenes kleines Standbild auf. Er bewirkt schließlich, dass das Mädchen wieder freigelassen wird. Als Krönung endet das zweite Buch mit einem ewigen Treueschwur der beiden jungen Menschen.

Buch drei beschert dem unerfahrenen Daphnis eine Unterweisung in der Liebe durch Lykainion, die Frau eines Bauern. Derweil wirbt ein Schwarm von Freiern um die schöne Chloe. Mit einem Geldgeschenk der Nymphen kann Daphnis sich unter die Werbenden einreihen und erhält von Dryas den Zuschlag. Einer baldigen Hochzeit scheint nichts im Wege zu stehen. Alles Geschehen ist auch hin diesem Buch kunstvoll durchwoben von Naturschilderungen, vom Wechsel der Jahreszeiten und von der sich ständig steigernden Vertrautheit der beiden liebenden Protagonisten?.

Im vierten Buch taucht ein Städter namens Astylos auf, der Daphnis seinem Vater, dem Herrn des Landes und aller Hirten vorstellt. Die beiden entpuppen sich als Bruder und Vater des Daphnis. Der tot geglaubte, nun wiedergefundene Sohn wird glücklich in die Arme geschlossen. Doch auch als reicher Mann bleibt Daphnis seiner Chloe treu. Bald findet die Verlobungsfeier statt und unter den begüterten Gästen findet auch Chloe ihre Eltern wieder. Das glücklich vereinte Paar verzichtet auf ein Leben in Prunk und Pracht, vielmehr „hielten sie es, solange sie lebten mit den Hirten, verehrten deren Götter – die Nymphen, Pan und Eros – schafften sich große Herden von Schafen und Ziegen an und erklärten Früchte und Milch als die bekömmlichste Kost. Und alle diese Bräuche behielten sie bis in ihr hohes Alter bei.“

Sie bekamen natürlich auch zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen; den Knaben nannten sie Philopoimen (poimen = der Hirt) und das Mädchen Agele (agele= die Herde; von ago = treiben, führen, leiten).

Gesamtbetrachtung

Man darf davon ausgehen, dass hier die Sehnsucht nach einfachen und gesunden Verhältnissen einem Bewohner der Großstadt die Feder geführt hat. Vielleicht stammte Longos aus der Hauptstadt Mytilene, deren weitläufige Marmorpracht auch in diesem dem Landleben huldigenden Roman kurz geschildert wird. Die Helden der Erzählung kehren der Stadt bewusst den Rücken, obwohl diese unerwarteten Wohlstand für sie bereithält, und suchen ihr Glück weiterhin im schlichten Hirtendasein.

Die Wahl der Kulisse? unterscheidet das Buch „Daphnis und Chloe“ von anderen Romanen jener Zeit, die meist eine bunte Welt fremder Völker, exotischer Sitten und gefahrvoller Abenteuer zur Spannungssteigerung benötigen. Longos begnügt sich damit, den Leser die Hirten durch den Kreislauf des Jahres hindurch begleiten zu lassen, den er in lebhaften, realistischen Farben zu beschreiben vermag.

Ein sehr anschauliches Bild entwirft er auch von den Menschen, von Stadtbewohnern und Landbevölkerung, von Armen und Reichen, von Herren und Sklaven. Soziale Konturen werden deutlich herausgearbeitet, und auch politische Beziehungen bleiben nicht unberücksichtigt. Freilich entbehrt der Kleinkrieg zwischen den Städten Mytilene und Methymna nicht ganz der Komik.

Elemente altgriechischer Literatur

Der Roman „Daphnis und Chloe“ enthält Elemente und Anregungen aus verschiedenen Bereichen der altgriechischen Literatur?. Das Thema der Liebe ist von jeher eng mit der bukolischen Dichtung verbunden, wird aber von Longos stark ins Erotische erweitert.

Das Thema der Kindesentführung und späteren Wiedererkennung ist fester Bestandteil der Neuen Komödie? und somit diesem Lustspiel? der hellenistischen Zeit entlehnt.

Piraterie und Raubzüge gehören in die Welt des Reise-? und Abenteuerromans? und werden vom Dichter nur am Rande in die Haupterzählung eingeflochten.

Kultische und mythische Elemente fehlen in keiner literarischen Gattung und spielen auch in „Daphnis und Chloe“ zur Darstellung religiös gestimmter Naturverklärung eine wesentliche Rolle.

Virtuos und einzigartig ist bei Longos die Verknüpfung entlehnter Stoffe und Motive miteinander und mit Neuem.

Wirkung auf Literatur, Musik und bildende Kunst

Goethe sagt über den Hirtenroman „Daphnis und Chloe“, er sei „so schön, dass man den Eindruck davon, bei den schlechten Zuständen, in denen man lebt, nicht in sich behalten kann. Man tut wohl, es alle Jahre einmal zu lesen, um immer wieder daran zu lernen und den Eindruck seiner großen Schönheit aufs Neue zu empfinden.“ Zitat woher?)

Das Buch des Longos diente als Vorlage für viele Werke der europäischen Schäferdichtung, so etwa für die „Aminta“ des Torquato Tasso? und die Erzählung „Paul et Virginie“ von Jacques Henri Bernardin de Saint-Pierre? (1787).

In der Musik wurde die Geschichte von Daphnis und Chloe durch das gleichnamige Ballett von Maurice Ravel gewürdigt, das in den Jahren 1909 bis 1911 entstand.

Auch die bildende Kunst nahm sich der Thematik an. Genannt seien hier vor allem die berühmte Lithographie von Marc Chagall und die nicht minder bedeutende Plastik von Jean-Pierre Cortot im Louvre, die beide das Hirtenliebespaar abbilden. Der Künstler, der den beiden Naturkindern die größte Aufmerksamkeit schenkte, war aber wohl Aristide Maillol (1861-1944), den die naive Erotik des Hirtenromans zu einer Folge von 52 wunderschönen Holzschnitten inspirierte.

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