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Den Tagen mehr Leben geben

von<br> Dörte Schipper

Den Tagen mehr Leben geben, Buchcover - (c) Bastei Lübbe

Ein Buch, das einem viel Nachdenken abverlangt. Der Autorin Dörte Schipper ist ein bemerkenswert spannendes und überraschendes Buch gelungen über das Sterben – und das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Es erzählt über einen außergewöhnlichen Hospizkoch und die Lebensgeschichten seiner sterbenskranken Gäste.

Früher war er Küchenchef in einem Nobelrestaurant. Heute kocht er im "Leuchtfeuer", einem Hamburger Hospiz. Die meisten seiner Gäste haben Krebs im Endstadium. Seit der Gründung des Hospizes vor elf Jahren ist Ruprecht Schmidt sein eigener Chef de Cuisine in einem Zuhause für Todkranke.

"Ich definiere mich als Koch nicht mehr darüber, wie viel gegessen wird, sondern, ob ich die Menschen damit erreiche."

Ob Steak, Labskaus, Coq au Vin oder eine aufwändige Torte, Ruprecht, der Koch, erfüllt jeden kulinarischen Wunsch. Tagtäglich erlebt er aufs Neue, wie wichtig es den Bewohnern im Hospiz ist, noch einmal ihre Lieblingsgerichte genießen zu können. Kräuter, Gewürze, den individuellen Geschmack zu treffen, ist für den Koch nicht immer leicht. Oft geht es nur um Nuancen, und er braucht mehrere Anläufe. "Wenn ich es schaffe, ein Essen genau so zu kreieren, wie ein Sterbenskranker sich das vorgestellt hat, kann ich mich jedes Mal aufs Neue darüber freuen."

In angenehmen Erzählerstil präsentiert uns die Autorin nicht nur den beruflichen Werdegang des Kochs, sondern auch wie er es sich persönlich zur Aufgabe gemacht hat, für viele leidende Menschen – Kranke und Angehörige - mehr als ein Koch zu sein. Mitten in St. Pauli ist das Hospiz, wo die meisten Bewohner nicht länger als ein paar Wochen leben. In der Eingangshalle hängt in großen Buchstaben der Leitspruch des Hauses, von Cicely Saunders: "Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben." Diese Worte hat der Koch verinnerlicht. Das Leben der Kranken verlängern kann er nicht, es versüßen schon.

Als Ruprecht Schmidt vor elf Jahren den Job annahm, wurde er öfters gefragt, ob es nicht absurd sei, für Todkranke zu kochen. Er selbst hat sich diese Frage nie gestellt. Die Bedeutung, die Essen haben kann, ist ihm durch die Arbeit im Hospiz immer klarer geworden. Seine Erkenntnis klingt so einfach, fast banal: "Essen heißt, ich lebe noch!" Der Job von Ruprecht Schmidt ist einzigartig, seine Motivation auch. Viele Jahre hat er in der gehobenen Gastronomie gearbeitet. Als Spitzenkoch hätte er weiter Karriere machen können. Doch seine Arbeit hat ihn nicht befriedigt, er vermisste den Kontakt zu den Menschen, die er bekochte.

Auch die Beschreibungen? einzelner Bewohner werden im Buch sehr realistisch, spannend und überzeugend dargestellt – hier ein paar Beispiele: Seitdem Horst Reckling im Hospiz ist, möchte er immer nur seinen Lieblingsquark. Erst seit neun Jahren ist er mit seiner geliebten Beate verheiratet. Die beiden hätten sich so gerne noch etwas mehr Zeit miteinander gewünscht. "Es mag verrückt klingen", sagt Gudrun Fischer, "aber ich verbringe jetzt am Ende meines Lebens Ferien wie in einem Grandhotel. Mit fast allem, was Freude bereitet." Ausgerechnet ihr, die sie ihr Leben lang gut und gerne aß, drückt ein riesengroßer Tumor auf den Magen. Vor vier Monaten zog es Renate Sammer den Boden unter den Füßen weg: Lungenkrebs im Endstadium. Ihr Leben lang hatte sie sich alleine durchgeboxt, jetzt plötzlich ist sie von anderen abhängig. Den Koch schließt sie ins Herz. Sein Steckrübenmus ist ein Gedicht. Über das Essen wird Ruprecht Schmidt ihr Vertrauter, ein außergewöhnlicher Sterbebegleiter.

Für die einen ist der Tod ein Tabu, andere reden pausenlos über das Sterben – mit schwarzem Humor?, Ironie?, oder abgeklärt und nüchtern. Manche finden Trost in der Religion, manche im Sarkasmus. Begriffe wie Harmonie und Dankbarkeit werden plötzlich wichtig. Zwischenmenschliche "Baustellen", die schon seit Jahren gären, sollen unbedingt noch schnell bereinigt werden. Es können sich aber auch neue auftun. Verhalten, Wünsche und Gedanken der Menschen verändern sich, je näher der Tag rückt. Wer heute noch Scherze macht, kann morgen unendliche Angst haben, verbittert sein oder umgekehrt. Trotz der extremen Gefühlsschwankungen, zeigt sich bei den Bewohnern eines durchgehend: Auch wer unwiderruflich weiß, seine Tage sind gezählt, kann noch genießen, lachen und Momente des Glücks erleben.

Lebensbejahend, wie die Atmosphäre im Hospiz, ist auch das Buch, dem eine Fernsehdokumentation in der ARD (Der Luxuskoch vom Hospiz) vorausgegangen ist, für die die Autorin mit dem Erich-Klabunde-Preis (2009) ausgezeichnet wurde.

Literaturangaben

  • Schipper, Dörte: Den Tagen mehr Leben geben. Mit einem Vorwort von Udo Lindenberg. Über Ruprecht Schmidt, den Koch, und seine Gäste. Bastei Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2010. 253 S. Hardcover, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7857-2385-2

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