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Die durchsichtigen Hände

von<br> Xaver Bayer

Die durchsichtigen Hände, Buchcover - (c) Verlag Jung und Jung

Mit "Die durchsichtigen Hände" legt der 1977 geborene österreichische Schriftsteller Xaver Bayer? 23 Erzählungen vor, die es wert sind, entdeckt zu werden. Die exzellent geschriebenen Texte bewegen sich zwischen heiterer Leichtigkeit und literarischem Ernst und rühren an Themen, die um die Bedingungen der Wirklichkeit kreisen.

Viele Geschichten fangen dabei ganz unspektakulär an. Ein Mann geht mit Freunden auf ein Künstlerfest, ein anderer Mann frühstückt mit seiner Frau, ein dritter fährt mit seiner Freundin in den Urlaub. Doch im Verlauf der Handlung wird die scheinbare Normalität mehr und mehr unterlaufen, bis Bayer schließlich Schlusspointen? setzt, die mal humorvoll?, mal rätselhaft, mal verstörend sind.

Oft finden sich aber auch Ausgangssituation voller Absurdität. Ob es eine Taxifahrt zusammen mit Henry Kissinger ist, ein Anruf bei Thalia?, der Muse? der komischen? Dichtung, oder eine Wanderung in einem Flussbett zu einem Wasserfall, dem man nie näher zu kommen scheint, Bayer kreiert auf nur wenigen Seiten Szenerien?, die der Realität entrückt scheinen und doch ihre eigene innere Stringenz haben. Als Leser lässt man sich deshalb gerne auf sie ein, selbst wenn die vordergründigen Fragen nach der Logik nicht beantwortet werden. Man erfährt nicht, warum zwei Männer einen Raum komplett abdunkeln, was in einer Wohnung passiert, aus der beunruhigende Laute zu hören sind, was es mit einer Verhaftung auf sich hat. Vielmehr zelebriert Bayer ein ironisches? Spiel, in dem vieles nicht so ist, wie es scheint.

Doch bei aller Leichtigkeit offenbaren die Erzählungen eine Doppelbödigkeit, die den Blick auf tiefere Sinnzusammenhänge lenkt. Die Themen, die Bayer umtreiben, sind Sprache und Sprachlosigkeit, die trügerischen Wahrnehmungen der Sinne, das Schreiben zwischen Realität und Imagination?.

Die Protagonisten bewegen sich in Welten, in denen keine wirkliche Kommunikation? stattfindet. Aufrichtige Dialoge? finden sich kaum in "Die durchsichtigen Hände", vielmehr legt Bayer die Diskrepanz zwischen der Belanglosigkeit des Gesagten und dem Unausgesprochenen der Gedanken und Gefühle offen. So herrschen in "Carime ruft nach ihrer Katze" lediglich Sprachfloskeln? und Schweigen zwischen einer Frau und einem Mann, während das Unausgesprochene beim Abschied zum eigentliche Thema der Erzählung wird.

Alle Figuren scheinen auf sich selbst zurückgeworfen oder mit sich selbst beschäftigt. Die Erzählung "Höhenstraßengespräche" entpuppt sich als Monolog? beim Treiben durch die Zeit, und die Erzählung mit dem nicht minder ironischen? Titel "Liebe" drückt nur die unüberbrückbare Distanz zwischen dem Ich und den Anderen aus.

Selbst den eigenen Sinneswahrnehmungen ist nicht zu trauen. Sie führen in die Irre wie in "Der Abstieg", verfremden die Wirklichkeit wie in "Auf dem Weg hinterm Haus, auf den Wald zu" oder zelebrieren eine betörende Schönheit, hinter der sich eine existentielle Gefahr verbirgt, wie in "Der Durchhaltewettbewerb".

In der permanenten Verunsicherung der Realität erscheint die Imagination wie ein Zufluchtsort. Eine unattraktive Frau wird in der Phantasie? zur Liebe des Lebens, ein schüchterner Mann zu einem rücksichtslosen Macher. Doch die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Fiktion lässt sich letztlich nicht aufheben.

Bayer rührt hier an die Grundkonstellation des Schreibens, an die Bedingungen der Transformation der Realität mit Mitteln der Sprache in Literatur. Diese Konstellation schwingt in vielen von Bayers Erzählungen mit. In "Engagierte Literatur" werden genau diese Mechanismen in einem virtuosen, wunderbar verschachtelten Spiel mit Textproduktion und Textinterpretation thematisiert. Voll Ironie betrachtet Bayer?, wie Autor und Leser sich in den Untiefen des Verhältnisses von Kunst und Realität verstricken.

Was passiert, wenn ein in einem literarischen Text angekündigtes Verbrechen von dem Autor schließlich wirklich ausgeführt wird? Wie verändert sich die Wahrnehmung der Literatur durch den Einbruch der Realität in den Text? Diese Fragen wirft der schreibende Protagonist der Erzählung "Engagierte Literatur" auf, als er sich an die Produktion genau dieses Textes macht. Genüsslich seziert Bayer dabei die verschiedenen Interpretationsansätze der Rezeption, die sich doch nur in hilflosen Klischees verrennen. Der Autor bastelt indes weiter an seinem Manuskript, der als Text im Text in Bayers Erzählung hineinwuchert. Er beschreibt die Tatvorbereitungen, schildert die Durchführung, formuliert das Bekennerschreiben.

Mit jedem Detail erscheint der Text unwahrscheinlicher, doch durch die imaginierte tatsächliche Ausführung des Verbrechens würden gerade diese Details die Authentizität? des Textes erhöhen. Literatur und Realität sind in einem Wechselspiel verschlungen, das deren Bedingungen fortwährend hinterfragt. Am Ende bleibt jedoch der Literatur das letzte Wort. Der Schreibende streicht die gesamte Handlung, so dass das Geschehen zurück in den Bereich der Imagination geholt wird. An der Stelle einer literarisch angekündigten Tat steht zuletzt das literarische Zitat, das Schein und Wirklichkeit in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Bayers? Erzählungen sind vor allem Wortkunst, filigran verrätselt?, voll feiner Ironie? und formaler Eleganz. Die Sprache wird rhythmisiert?, mit den Erzähltechniken? wird gespielt, ein literarischen Resonanzraum wird zum Klingen gebracht, der von Calvino über Tolstoi? bis zu Kafka reicht. Doch die Texte beschäftigen sich mit Grundfragen der menschlichen Existenz. Hier offenbart sich eine Qualität, die wirkliche Literatur auszeichnet.

Autorin: Kathrin Bomans

Literaturangaben

  • Bayer, Xaver: Die durchsichtigen Hände. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2008. 167 S., 19,80 €, ISBN: 978-3-902497-42-0

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