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Drei Schwestern Kafkas. 100 Gedichte

von<br> Rolf Hochhuth

Rolf Hochhuths? Gedichte kann man auch als kleine Tragödien bezeichnen. Sie umspannen einen zeitlichen Rahmen, der sich von der Antike bis in die Gegenwart erstreckt. Oftmals handeln sie von historischen Persönlichkeiten wie Marc Aurel und Winston Churchill, oder sie erzählen von wagemutigen Menschen, die heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind: darunter die gescheiterten Hitler-Attentäter Johann Georg Elser und Elfriede Scholz, Schwester des Schriftstellers Erich Maria Remarque.

Tod und Zerstörung sind in diesen anprangernden Versen stets präsent. Selbst wenn Hochhuth? in „Salzburg Hauptbahnhof“ über den „süß korrumpierenden“ Festspielort schreibt, schlägt er eine Brücke zu den Juden-Vernichtungs-Transporten. Ein ähnliches Beispiel ist das Gedicht „Alter Matthäi-Kirchhof Yorckstraße“: Einerseits letzte Ruhestätte der Brüder Grimm, andererseits wurde dort Stauffenberg nach seiner Hinrichtung am 20. Juli 1944 für einige Stunden verscharrt. Über geniales literarisches oder musikalisches Schaffen aus Deutschland legt der Autor also gern anklagend den Schatten der Nazi-Verbrechen. Diese starken Gegensätze lösen Bestürzung aus, weshalb sie sich schon beim ersten Lesen tief einprägen. Andererseits wirken sie wie ein ständig wiederkehrender Vorwurf gegen das deutsche Volk, wie eine Erbschuld, mit der Hochhuth? selbst positive Leistungen schwarz übertüncht – auch wenn zwischen ihnen und dem "Dritten Reich" keine Verbindung existiert.

Gewohnt politisch-kämpferisch

Hochhuths? Lyrik ist dichterisch aufgearbeitete Gesellschaftskritik: Die Gier der Mächtigen und das damit einhergehende Leid des kleinen Mannes werden in zahlreichen Gedichten aufgegriffen – die Übermacht des Kapitals, die den Menschen wertlos macht und zu einer Nummer degradiert. In „Stilljelegte Stadt“ schildert der Autor mit authentischem Brandenburger Dialekt? die Arbeitslosigkeit im Osten, den Mangel an Lehrstellen und den Zusammenbruch von Betrieben. Er entzündet sich inbrünstig und voller Skepsis am tagespolitischen Geschehen (zum Beispiel in „Kein künstliches Hüftgelenk“) oder an Ausländerhass, Abschiebung, Verdummung durch das Fernsehprogramm, Anglizismen? in der deutschen Sprache und an der Brutalität des Walfangs.

Neben diesen politisch kämpferischen Gedichten befasst sich der erste Teil der Sammlung ausschließlich mit Sexualität. Wer romantische Blümchen-Erotik bevorzugt, der sollte ihn am besten überspringen, denn das Thema ist meist roh und drastisch verpackt - beispielsweise in „Bettsonett?“. In „Löffelstellung im Herbst“ sind die körperlichen Freuden die einzigen, die einem an allen Plänen gescheiterten, arbeitslosen Paar bleiben. Das Gedicht „Tacheles reden? – lieber nicht!“ stellt Monogamie mit klaren Worten infrage: „Liebe wird Lüge – monogam. / Treu aus Zwang nur, unter Eid? / Liebe, die so unduldsam, / wäre sie denn ideal? (…)“

Maßgeschneiderte Gesellschaftskritik

Hochhuth? thematisiert darüber hinaus eine Affäre zwischen Chef und Sekretärin, Mozarts sexuelle Ausschweifungen oder die Probleme einer Distanzbeziehung – immer auf dem Scheideweg zwischen Poesie und Vulgarität wandernd. Die Sammlung ist aber auch mit privaten Gedichten für seine verstorbene Ehefrau Ursula Euler gespickt. Darin erhebt ein wesentlich sensibleres lyrisches Ich seine trauernde Stimme.

Sprachlich wirken einzelne Zeilen von Hochhuths? Lyrik recht plakativ, vor allem wenn er mit erhobenem Zeigefinger mahnt. Ein Teil von „Sprache“ könnte auch einer bissigen Kolumne? gegen den US-amerikanischen Einheitsbrei entnommen sein: „Deutsch stirbt bald ab durch erzwungene Importe / der Englischsprechenden … Selbst wer singt / Tut’s in unserem US-fixierten, verrockten Land / nie mehr ohne transatlantisches Vokabular.“

Die Zeile „Sind wir nicht alle Ausländer – fast überall?“ aus „Asylanten“ ist längst Massenware - millionenfach auf Plakatwänden oder auf Flugblättern der Antifa verbreitet. Es entsteht der Eindruck, dass Hochhuth? seine Kritik maßgeschneidert fürs Volk servieren möchte. Er hätte für diesen Zweck allerdings eine andere literarische Form? wählen sollen als Lyrik.

Literaturangaben

  • Hochhuth, Rolf: Drei Schwestern Kafkas. 100 Gedichte. Herausgegeben von Dietrich Simon. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006. 184 S., 18,90 €, ISBN: 978-3100312105

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