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Erzähltheorie

Die Erzähltheorie untersucht den Aufbau und die Struktur von Prosawerken. Sie fragt z. B. nach Stoff, Gattung oder Stil. Die Ursprünge der Erzähltheorie reichen in Deutschland bis ins 18. Jahrhundert zurück.

Definition

Die Erzähltheorie oder Erzählforschung ist ein Teilgebiet der Literaturwissenschaft. Sie untersucht den Aufbau und die Struktur von Erzählwerken, also von Texten aus dem Bereich der Epik. Für Drama und Lyrik gibt es eigene literaturwissenschaftliche Theorien. Die Erzähltheorie fragt hauptsächlich nach Stoff, Gattung, Stil, Erzählperspektive, Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit, aber auch nach besonderen Merkmalen, die epische Werke? voneinander unterscheiden.

Die Vergleichbarkeit ist ein wichtiger Aspekt der Erzähltheorie. Sie sollte bei erzähltheoretischen Untersuchungen grundsätzlich gegeben sein. Das bedeutet in der Praxis: Man vergleicht Romane mit anderen Romanen, Novellen mit anderen Novellen, usw. Dagegen macht der Vergleich zwischen einem mittelalterlichen? Epos und einer modernen? Kurzgeschichte nur wenig Sinn. Denn weder die Gattung noch die Entstehungszeit beider Werke? bieten hier ausreichend Spielraum für vergleichende Forschungen. Denkbar wäre hier allenfalls eine sehr spezielle stoffgeschichtliche Untersuchung.

Von der Novelle zur Gebrauchsanweisung

Zentraler Forschungsgegenstand der klassischen Erzähltheorie, so wie sie im 18. Jahrhundert in Deutschland entstanden ist, sind ausschließlich fiktive Prosatexte, wie z. B. Roman, Erzählung, Novelle oder Kurzgeschichte. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelangte allmählich auch nicht-fiktive Prosa – wie z. B. Reportage?, Sachliteratur?, Geschichtsschreibung oder Gebrauchsanweisungen – in den Fokus erzähltheoretischer Forschung. Die Jahre um 1960 markierten aus heutiger Sicht einen bedeutenden Wandel innerhalb der Disziplin.

Zu dieser Zeit galten die Begriffe Erzähltheorie und Erzählforschung aus vielerlei Gründen als veraltet: Stattdessen sprach man nun überwiegend von Narratologie, die, ausgehend vom Strukturalismus? der späten 1960er Jahre in Frankreich, als moderne, stark soziologisch getönte Weiterentwicklung der Erzähltheorie galt. Gegenwärtig ist eine umgekehrte Entwicklung zu beobachten: In Forschung und Fachliteratur? muss der Terminus Narratologie vielfach wieder den Bezeichnungen Erzähltheorie und Erzählforschung weichen.

Entstehung

Die Ursprünge der Erzähltheorie reichen in Deutschland bis ins 18. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit entwickelten sich verschiedene geisteswissenschaftliche Forschungszweige, die uns heute vertraut sind, zu eigenständigen Disziplinen, wie z. B. Literaturwissenschaft, Literaturkritik oder Dramentheorie?. Maßgeblich beteiligt an der Ausformung der jungen Disziplinen waren u. a. Lessings Überlegungen über die Fabel, Goethes und Schillers Reflexionen über epische und dramatische Dichtkunst, aber auch die Märchentheorien der Brüder Grimm.

Während im 18. Jahrhundert auch im Bereich der Dichtung die Dinge noch weitgehend universal betrachtet wurden, setzte im 19. Jahrhundert eine Trennung in autonome Fachbereiche sowie eine bis heute andauernde Spezialisierung ein. Als wichtigster ideengeschichtlicher Hintergrund dieser Entwicklung gilt das moderne Individualitätsverständnis, das sowohl dem einzelnen Menschen als auch seinen künstlerischen Hervorbringungen im Bereich der Kunst und Literatur eigenständigen Rang beimaß.

Entwicklung

Traditionell unterscheidet man innerhalb der Erzähltheorie drei Schwerpunkte, die sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert herausgebildet haben und noch heute in der Literaturwissenschaft lebendig sind.

  • historische Erzählforschung bzw. Erzähltheorie

Sie fragt hautsächlich nach der Herkunft und dem Wandel von Stoffen und Motiven. Gegenstand der Forschung war zunächst mündlich überlieferte Dichtung, wie z. B. Sage, Märchen oder Fabel. Man versucht vor allem, durch Vergleiche zu Erkenntnissen über die Beschaffenheit von Dichtung zu gelangen. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Volksdichtung?, die als besonders tief, rein und wahrhaftig gilt. Ihren Höhepunkt erlebte die historische Erzählforschung in der Romantik.

  • kulturwissenschaftliche Erzählforschung bzw. Erzähltheorie

Sie empfing bedeutende Anregungen von der historischen Erzähltheorie, besonders von der Märchenforschung. Untersucht wird vor allem volkstümliche Dichtung?, wobei das Spektrum breit gefächert ist: Kalendergeschichte und Anekdote gehören ebenso dazu wie Unterhaltungsliteratur? und pornographische Literatur?. Erstmals tauchte in diesem Zusammenhang die revolutionäre Frage nach den soziologischen und psychologischen Hintergründen auf: Wer schreibt das? Wer liest das? Ist der Mangel an Kunst charakteristisch für eine moderne Gesellschaft? Ihren Höhepunkt erlebte die kulturwissenschaftliche Erzählforschung gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Zeit der beginnenden Moderne?.

  • literaturwissenschaftliche Erzählforschung bzw. Erzähltheorie

Sie wendet sich von der volkstümlichen Dichtung? ab und befasst sich vor allem mit der Literatur der Moderne?, die seit dem frühen 20. Jahrhundert die Welt der Literatur revolutionierte. Bahnbrechend wirkte Sigmund Freud, der in seinen Schriften die Macht des Unbewussten und der Triebe betonte; zudem erschütterte der Erste Weltkrieg nicht nur die Staaten und das vom Humanismus des vergangenen Jahrhunderts geprägte Menschenbild, sondern auch die Literatur. In den Mittelpunkt des Interesses rückten die Rolle des Erzählers, Erzählsituationen?, Erzählzeit, Gattungsdiskurse, verborgene Strukturen in epischen Erzählwerken.

Von hier aus führte ein direkter Weg zum russischen Formalismus? und später zum Strukturalismus?, der in den 1960er Jahren die Literaturwissenschaft erneuerte und die Narratologie hervorbrachte, in der nach Strukturen gefragt wird, die dem Erzählten möglicherweise zugrunde liegen und Aufschluss über Gattung, Motiv, Stoff, Erzählperspektive usw. geben. Um Erkenntnisse über die Tiefenstruktur von Texten zu gewinnen, wandte die Narratologie bekannte Untersuchungsmethoden aus der Psychologie und Soziologie an.

Grundlegende theoretische Werke? sind: Käte Friedemanns? „Rolle des Erzählers in der Epik“ (1910), Robert Petschs? „Wesen und Formen der Erzählkunst“ (1934) und Eberhard Lämmerts? „Bauformen des Erzählens“ (1955).

Sekundärliteratur

  • Fludernik, Monika: Erzähltheorie. Eine Einführung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN: 978-3534231676
  • Martinez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. C. H. Beck, München 2009, ISBN: 978-3406471308
  • Stanzel, Franz K.: Theorie des Erzählens. UTB, Stuttgart 2008, ISBN: 978-3825209049

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