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Die Henri Quatre-Romane

von<br> Heinrich Mann

Die Romane um Henri Quatre von Heinrich Mann sind ein ungewöhnliches Stück Literatur. Zwei umfängliche Bände?: der eine handelt von der Jugend dieser bedeutenden Persönlichkeit europäischen Maßstabs, der andere trägt den Titel: „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“. Es soll also um die Vollendung eines bemerkenswerten, auch wohl – bei dem Moralisten, der Heinrich Mann ist – um ein exemplarisches Leben gehen.

Henri Quatre, ein französischer König an der Wende zum 17. Jahrhundert, zu Beginn der europäischen Neuzeit, der erste Bourbone auf dem Lilienthron, gibt den Titel und steht im Mittelpunkt eines Romans, den einer der bedeutendsten deutscher Schriftsteller in seinen reifen Jahre schrieb. Ohne Frage erwartet man einen historischen Roman. Und eine solche Erwartung wird nicht enttäuscht.

Band 1: Die Jugend des Königs Henri Quatre

Bereits im ersten Teil, dem Roman der Jugend des Königs, „findet man den großen historischen Atem“. Geschildert wird die Herkunft und Kindheit des Prinzen Henri von Navarra, im Bekenntnis des reformierten Glaubens – und das Trauma seiner Jugend, seine Hochzeit mit der französischen Königstochter Margot, die berüchtigte „Bluthochzeit“, die Bartholomäusnacht. Dem knapp zwanzigjährigen jungen Adligen Henri stellt sich zum ersten Mal im Leben die Frage nach Schuld und Verantwortung. Um sie zu bewältigen, um in einem von Religionskriegen zerrissenen Land die eigene Stellung zu finden und zu behaupten, hat er außer Intelligenz und Witz den tiefen Glauben an seine Herkunft als eines Prinzen von Geblüt. Alles andere: taktische Klugheit und die Kunst der Verstellung, die Auswahl guter Berater und das Täuschen seiner Feinde muss er lernen. Und er lernt es im Verlaufe von fast zwanzig Jahren, ja, er wird ein Meister darin. Er wird ein ausgezeichneter Heerführer, gewinnt Schlachten, ist mutig und einfach, und Menschen strömen ihm zu.

Heinrich Mann lässt uns dessen Zeuge werden. Am Ende des ersten Romans ist Henri, der uns nun nahe ist wie es Menschen sind, die wir gut kennen, der uns liebenswert erscheint, weil er nicht vollkommen ist und nicht alle seine Fehler nur einmal macht, dem man manches nachsehen muss, wie es die vielen Frauen, für die er leidenschaftlich brannte, getan haben mögen, Henri, der „Bruder Leichtfuß“, der Draufgänger, leicht entflammt, immer begeistert und beglückt durch die Gunst der Frauen, vergesslich, gutartig: dieser Henri ist schließlich König von Frankreich. Er ist es wegen seiner Herkunft, seiner, wenn auch entfernten, Abstammung von Königen. Er ist es noch nicht wirklich: soviel Macht er in blutigen Kämpfen und geschickten Verhandlungen erworben hat, die ganze Macht im Lande besitzt er noch nicht. Er ist nicht gekrönt, seine Hauptstadt Paris bleibt ihm verschlossen.

So treten wir ein in den Roman über die Vollendung dieses Königs, des vierten seines Namens, dieses Menschen Henri. Wie gelangt ein Mensch zu seiner Vollendung? Heinrich Mann zeigt und gestaltet die Stufen dorthin. Zuerst die eine große Liebe. Gabriele. Eine kleine Adlige, vielleicht schöner als andere, blond, kühl und käuflich. Der Preis allerdings für ihre Gunst ist hoch, nicht zuletzt, weil der Mann der König ist und äußerlich nicht gerade mehr ein jugendlich-strahlender Held. Die Verwandlung der Gabriele zu einer großen Liebenden, von der eitel und berechnend Fordernden zur Gewährenden, von der Gewährenden zur Begehrenden und Gebenden: das ist die erste Wegstrecke Henris zu seiner Vollendung. Er, der sich ungezählte Male dem Genuss des Augenblicks hingab, er findet nun in der Beständigkeit dieser einen Leidenschaft den stärksten Rückhalt für seine Entscheidungen.

Und die Entscheidungen sind schwer und greifen das Zentrum seines Wesens an: den Glauben, die Treue, das Empfinden, wer man sei. Henri kann sein Land nur vor erneutem Bürgerkrieg bewahren und der Herrschaft des spanisch-habsburgischen Weltreichs entziehen, wenn er sich, wie alle französischen Könige vor ihm, gut katholisch krönen und salben lässt. Er hat aber seine Erfolge und seinen Siegeszug durch das Land bis in diese Tage des Jahres 1593 vor allem durch die unverbrüchliche Gefolgschaft und den Opfermut seiner reformierten Glaubensgenossen erreicht. Nun soll er diesen Glauben abschwören, den „Todessprung“ wagen, wie er es nennt. Es gibt Gründe und genauso viele Gegengründe für diesen Glaubenswechsel – sie helfen ihm nicht bei der Entscheidung. Henri sammelt sich, um diese fundamentale Veränderung in seinem Dasein nicht nur mit einem Teil seiner selbst, z.B. der Staatsklugheit (Paris ist eine Messe wert), zu vollziehen, um nicht in Teile zu zerfallen, unglaubwürdig zu werden.

Eine psychologische Studie? über das Reifen eines Menschen an der Macht. Man könnte auch sagen, dass hier eine Heinrich-Mannsche Ästhetik der Königebene anklingt. Die Gestaltungskraft dieses Autors bewegte sich schon je im Spannungsfeld von Gegensatzpaaren: Geist und Tat, Macht und Mensch ... War Heinrich Mann bisher in die Psychologie des Intellektuellen vorgedrungen, ist es nun die Psychologie des Menschen an der Macht, die er gestaltet. Geist versteht Heinrich Mann dabei als Inbegriff des humanistischen? Denkens, wie oft betont wurde. Es geht also um das Verhältnis von Geist und Macht und ob sie sich auch hier, buchstäblich in der Brust unseres Helden Henri, feindlich gegenüberstehen. Nein, mit Henri Quatre erleben wir einen Mächtigen, der den Geist nicht fürchtet und ihn auch nicht zum Pragmatismus verkleinert, sondern die geistige Auseinandersetzung mit seiner Welt ganz organisch betreibt wie jede andere Lebensäußerung auch.

Die Vernunft, für Henri steht sie über allem. In der geschilderten Situation jedoch stößt er an ihre Grenzen. Nach vielen eindringlichen und sarkastischen Bildern dieser Entscheidungszeit, die uns sämtlich vorkommen als erlebten wir sie im seelischen Innenraum des Henri, ist es ein Geigenton aus himmlischer Höhe, der ihm anzeigt, die Entscheidung sei gefallen. Heinrich Mann führt das Geistige vor als etwas Ganzheitliches, das alle seelischen Kräfte organisch umfasst. Henri hat mit seiner Entscheidung für den Glaubenswechsel in seinem Innern auch ein neues Bild von sich geschaffen, könnte das wohl heißen. Es ist nicht das eines Verräters. Es ist das eines großen Königs, der er nun bereit ist, zu werden.

Henri während der folgenden Zeremonien, einschließlich seiner Krönung. Feierliche Handlungen, die ganze Pracht, ausführlich und bildhaft geschildert. Wer aber macht sich lustig? Henri, so sehr er gerungen hatte um den „rechten“ Weg, nun er auf ihm wandelt, bleibt er frei, unabhängig, souverän, auch distanziert, immer skeptisch, gerade bei feierlichen Handlungen, so sehr er sie auch für seine Machtausübung zu nutzen weiß. Als den Sieger führen ihn uns die folgenden Abschnitte nun vor, wir erleben: Größe und Besitz. Wir begleiten Henri und Gabriele auf einer Stromfahrt auf der Loire, blumenbekränzte Menschen am Ufer, sie winken ihnen zu. Das Leben hält eine ruhige Mitte. Es ist Frieden, Frieden mit Spanien und unter den Untertanen, denn Henri hat das Edikt von Nantes durchgesetzt: zum ersten Mal Gewissensfreiheit in Europa. So kann es bleiben – so kann es nicht bleiben ...

Größe: Henri weiß, dass er sie darstellen muss, um die großen Adligen in Schach zu halten, um Garant zu sein für den Ausgleich im Innern seines Landes und gegenüber Spanien. Er hat einen großen Traum von einem friedlichen Europa. Aber Größe? Ist und bleibt er nicht der einfache Mensch, der immer nur das Nächstliegende tut? Und Besitz? Noch hat er keine Königin und also auch keinen Thronfolger, noch ist seine Herrschaft nicht von Dauer. Henri muss heiraten und er will Gabriele heiraten. Das aber verstößt ein weiteres Mal gegen jede Tradition und vor allem gegen die eine Regel: die neue Königin sollte – sie muss reich sein!

Heinrich Mann gestaltet diesen Abschnitt der Vollendung des Königs Henri Quatre wie ein Traumgeschehen. Die Episoden vollziehen sich in „der Wirklichkeit“, man verhandelt und spielt, kämpft zuweilen und reitet und jagt und tanzt. Aber das Licht, in das sie alle getaucht sind, ist ein dunkelbraunes, von Nebelschwaden durchzogen. Der Boden schwankt – Henri zweifelt an der Liebe. "Und hätte der Liebe nicht ..." Heinrich Mann lässt ihn in den Versen des ersten Korintherbriefs denken. Wenn man der Liebe nicht hätte, erdrückten einen Größe und Besitz, die wären nur das Klingen einer Schelle und tönernes Erz – was Henri ohnehin von ihnen hält. Er sollte – er müsste Gabriele auf der Stelle heiraten! Er zögert wie man in Träumen zögert, in Träumen, in denen man nie ans Ziel gelangt. Gabriele stirbt. Wohl nicht an Gift oder an der Unentschlossenheit des Königs, sondern an ihrer vierten Schwangerschaft ... Henri schreibt an seine Schwester jenen berühmten – und verbürgten – Satz: „Die Wurzel meines Herzens ist tot und wird nicht mehr treiben“.

Wie vollendet sich ein Leben der Größe, das sich im folgenden – durch die Heirat mit der reichen toskanischen Erbprinzessin und die Geburt des Thronfolgers, nur fester verwurzelt, das aber die Liebe verloren hat? Der ersten Band, Die Jugend des Königs Henri Quatre, ist vielstimmig rezensiert und literaturwissenschaftlichen Betrachtungen unterzogen worden. Alle dabei hervorgehobenen Aspekte der Gestaltung dieses Teils der Lebensgeschichte des Henri von Navarra können nur bestätigt werden und machen die Lektüre zu einem großen Erlebnis.

Band 2: Die Vollendung des Königs Henri Quatre

Etwas anders steht es mit Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Weniger rezensiert, harrt dieses Werk? wohl auch noch umfassender wissenschaftlicher Behandlung. Das heißt aber, dass noch nicht alle Seiten? des Werkes, die seine Einzigartigkeit in der deutschen? Literatur ausmachen, jene eingeschlossen, die eher kritischer Nachfrage bedürfen, erschlossen sind. Diese Bemerkung soll eine Lektüre jedoch nur dringlicher empfehlen.

Zu dem unvergleichlichen Gewinn, der daraus zu ziehen ist, gehört die psychologische Ausleuchtung der Persönlichkeit des Helden – es wurde darauf bereits hingewiesen. Eine so zu nennende Ästhetik der Königsebene verbindet diese individualistische Gestaltungsweise mit ausgereiften humanistischen Überzeugungen des Autors in meisterlicher Sprache und Stil. Sprache und Stil: darin findet jeder Leser gleichsam eigene Erfahrungen, eigene Glücksempfindungen und selbst erlebtes Leid so gültig ausgedrückt, dass ihm die Lektüre immer auch Bestätigung und Trost gewährt. Gleich dem eigenen Leben und seinen Erfahrungen liest man dies Buch ebenso wenig zuende.

Kritisch – oder zumindest erstaunt, stellt der Leser fest, dass anders als beim eigenen Leben, der Autor die psychischen Konstellationen des Helden so beschreibt und anordnet, dass sie zu einem quasi vorbestimmten Ende führen. Jenem Ende, das König Henri dann auch wirklich genommen hat: ein Mörder ist bereit, als er seinen Großen Plan ausführen will, und ersticht ihn auf offener Straße. Nun handelt es sich dabei um eine bekannte historische Tatsache. Die aber Henri, als er lebte und handelte, nicht gekannt hat und also konnte er sein Leben darauf nicht ausrichten.

Heinrich Mann hebt, indem er dennoch die, wie er es nennt, „Abkehr“ des Königs als fast zehn Jahre vor diesem Tod beginnend eindringlich beschreibt, in dem Königsmord nicht das tragische Moment, sondern das der Vollendung des Menschen Henri hervor. Es fällt in diesen Lebensabschnitt, da Henri mehrfach über die Vollendung seines Lebens reflektiert: „Der Kampf, in dem wir fallen sollen, ist bei weitem der letzte nicht, und nach uns geht er weiter, als wären wir dabei. Ich ... bliebe immer unvollendet ... Am Schluß wird eine Stimme sprechen: Wir sterben nicht – was aber einfach heißt, daß wir das unsere getan haben.“

Der Roman über die Vollendung des Königs Henri Quatre ist ein großes Werk über den Zweifel. Die menschliche Vollendung, auch eines großen Lebens, in ihrer Widersprüchlichkeit zu begreifen: das setzt uns der Autor nicht mundgerecht vor. Er fordert den Leser vielmehr zu einer Verständigung darüber auf – ein weiterer Verweis auf die Vielschichtigkeit des Buches. Wer es einmal gelesen hat, fühlt sich immer wieder aufs Neue davon angezogen und ist in der Tat bei jeder Lektüre wieder vom Text überrascht.

Literaturangaben

  • Mann, Heinrich: Die Jugend des Königs Henri Quatre. Roman. Rowohlt Verlag, 30. Aufl. Reinbek 1997. 704 S., 9,95 €, ISBN: 978-3499134876
  • Mann, Heinrich: Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Roman. EA 1938, Rowohlt Verlag, 24. Aufl. Reinbek 1994. 903 S., 12,95 €, ISBN: 978-3499134883

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