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Lesen

Lesen ist eine wichtige Kulturtechnik zum Zweck der Kommunikation und der Teilnahme am kulturellen Leben. Der historische Rückblick zeigt, dass es in der Geschichte des Lesens zwei folgenreiche Leserevolutionen gab, die das Lektüreverhalten der Menschen nachhaltig gewandelt haben.

Definition

Lesen macht Spaß - (c) Stephanie Hofschlaeger/PIXELIO

Lesen (ahd. lesan; lat. legere: auflesen, sammeln, auslesen) ist eine erlernte Kulturtechnik, die der Kommunikation dient und in modernen Gesellschaften eine zentrale Voraussetzung für die Teilnahme am kulturellen Leben bildet. Wenn ein Mensch liest, dann sieht das auf den ersten Blick sehr entspannt und gemütlich aus. Man kennt das ja: Die Leute lesen in der Bahn, im Urlaub, vor dem Einschlafen, im Gehen und Stehen. Tatsächlich laufen in dem Moment aber viele komplexe Prozesse ab, die den Leser unterschiedlich fordern und beanspruchen.

Das beginnt mit der persönlichen Motivation (lieber Gedichte von Gottfried Benn? lesen oder mit Freunden ins Kino gehen?), geht über das optische Erkennen (habe ich meine Brille auf?) und Entschlüsseln der Schrift (mein russischer Kollege hätte mit dem kyrillischen Alphabet? bestimmt weniger Probleme als ich) bis zum intellektuellen Verstehen (kluger Gedanke, der Autor gefällt mir!) und kreativen Verarbeiten (hätte der Roman nicht auch ganz anders ausgehen können?) des Gelesenen.

Das Bild stammt von Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de.

Ein konstruktiver und interpretativer Kommunikationsprozess

Die Feststellung klingt banal: Der Leser lebt in seiner eigenen Welt. Aber es ist tatsächlich so! Wenn zwei Menschen auf einer Parkbank sitzen und über die Spargel-Ernte in Beelitz reden, dann nennt man das einen Dialog?. Ein Dialog übrigens, der nicht nur mit Worten geführt wird (verbal), sondern auch mit Mimik und Gestik (nonverbal). Ein heftiges Kopfschütteln und genervtes Abwinken könnte zum Beispiel bedeuten: Nein, lass mich, grünen Spargel esse ich nicht!

Diese verbalen und nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten stehen Buch und Leser in ihrer Interaktion nicht zur Verfügung. Der Mensch, der gerade liest, ist damit beschäftigt, den Text vor seinen Augen zu verarbeiten und unzählige Bedeutungen zu konstruieren. Man bezeichnet deshalb das Lesen als einen konstruktiven und interpretativen Kommunikationsprozess.

Eine zeit- und raumversetzte Kommunikationstechnik

Im Unterschied zur zwischenmenschlichen Kommunikation (mit dem Mann auf der Parkbank, mit der Kassiererin im Supermarkt, mit der Schwiegermutter beim Kartoffelnschälen) kann der Leser immer und überall in zeitliche und räumliche Fernen schweifen. Der Leser ist also in der utopisch anmutenden Situation, Gedanken und Ideen in sich aufzunehmen, die ein anderer Mensch vor langer Zeit und an einem sehr entlegenen Ort gedacht und niedergeschrieben hat.

Lesen - (c) Markus Hein/PIXELIO

Man stelle sich nur einmal vor, da lebte im antiken Griechenland ein Philosoph namens Sokrates?. Und das, was dieser Sokrates?, immer im Gespräch mit seinen Schülern und als wandelnder Stein des Anstoßes in seiner Heimatstadt Athen unterwegs, gedacht und gesagt hat, können wir heute aus dem Bücherregal nehmen und lesen - Platon? sei Dank! Vorausgesetzt, wir haben die Motivation dazu, können die Schrift visuell erkennen und entschlüsseln, das Gelesene verstandesmäßig (kognitiv) aufnehmen und kreativ verarbeiten … Das ist der Grund, weshalb man das Lesen auch als eine zeit- und raumversetzte Kommunikationstechnik bezeichnet.

Diese Technik ist übrigens nicht nur Gegenstand der Literaturwissenschaft, sondern auch der Kognitionspsychologie und der Linguistik sowie deren gemeinsamer Unterdisziplin, der Psycholinguistik?. Auf diesen Feldern wird z. B. das Zusammenspiel von Blickbewegung, visuellem Erkennen und geistigem Verstehen erforscht.

Historischer Überblick

Geschichte des Lesens in China

Hier geht es zum Bücher-Wiki-Artikel Geschichte des Lesens in China.

"Litterati" und "illiterati"
Eike von Repgow - (c) gemeinfrei

Im Mittelalter? und in der Frühen Neuzeit unterschied man zwischen „litterati“ (Schrift- und Lateinkundigen) und „illitterati“ (volkssprachige Analphabeten). Charakteristisch für die mittelalterlichen Lesegewohnheiten war eine Mischung aus Hören und Sehen, aus Mündlichkeit? und Schriftlichkeit?. Es gab z. B. reichlich illustrierte Bilderbibeln, aus denen öffentlich vorgelesen wurde. Die Menschen umstanden Vorleser? und Bibel und hörten und sahen, was die Märtyrer gelitten hatten. Das reine Lesepublikum bestand aus der kleinen Gruppe der Gebildeten, zumeist Klerikern und Adligen. An den Höfen des Mittelalters gab es eine enge persönliche Verflechtung zwischen Autor, Auftraggeber und Benutzer von Literatur.

Übergang von der Handschrift zum Druck

Diese Verflechtung löste sich ab Mitte des 15. Jahrhunderts langsam auf. Es begann der Übergang von der Handschrift? zum Druck?. Autor und Leser rückten weiter auseinander. Die lateinische Gelehrtensprache wurde zurückgedrängt. Daran waren zwei Faktoren maßgeblich beteiligt: der Aufstieg der Städte zu Kultur- und Handelszentren und der mechanische Buchdruck?. Da der Alphabetisierungsstand niedrig und die Bücher teuer waren, kam das gemeine Volk noch nicht als Lesepublikum in Frage. Dafür zählte nun das gehobene städtische Patriziat zur wachsenden Leserschaft.

Neuere Forschungen zeigen, dass die Fähigkeit zu lesen bis ins Reformationszeitalter ein Privileg war. Man geht davon aus, dass im 16. Jahrhundert ein Viertel der Stadtbewohner lesen konnte. Die Landbevölkerung war vom Lesen fast vollkommen ausgeschlossen. Die Lektüre der Lesekundigen bestand größtenteils aus Andachts- und Gebetbüchern?, Fastnachtsspielen?, Volksbüchern?, Lieddichtungen? und der Bibel.

Erste Leserevolution

Die Literaturwissenschaft bezeichnet die Lesegewohnheiten der Menschen bis ins 17. Jahrhundert als intensiv. Unter intensiv versteht man die wiederholte Lektüre einiger weniger Bücher. Im 17. Jahrhundert kam es zu einer so genannten Leserevolution. An die Stelle des intensiven Lesens trat die extensive Lektüre. Unter extensiv versteht man die einmalige Lektüre immer neuer Bücher zum Zweck der Unterhaltung oder Information. In der Praxis bedeutete das, dass die Menschen lieber zu Romanen, Biographien und Reisebeschreibungen? griffen als zum Katechismus?. Die Gegner dieser Entwicklung sprachen von einer „Lesewut des Pöbels“ und fürchteten um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung.

Lesegesellschaften und Leihbibliotheken
Lesende Frau v. Jean-Honoré Fragonard, ca. 1770 - (c) gemeinfrei

Im Zeitalter der Aufklärung? kam es in dieser Hinsicht zu einem grundlegenden Wandel. Das Lesen wurde propagiert und intensiv gefördert – mit dem Ziel, den Verstand aufzuklären, den Willen zu bessern und die Sitten zu veredeln. Lesegesellschaften? und Leihbibliotheken spielten in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle (siehe Wiki-Artikel zur Bibliotheksgeschichte). Mit dem Aufkommen des Fortsetzungsromans in den Zeitungen? verloren diese Institutionen schnell an Bedeutung. Denn der Zeitungsroman bot nun die tägliche Unterhaltung und machte den Gang in die Leihbibliothek entbehrlich.

Allerdings gab es im 18. Jahrhundert auch Wissenschaftler, die befürchteten, das Lesen könne bei Kindern und Frauen die schlimmen Krankheiten "Lesewut" und "Lesesucht" auslösen. So warnte vor allem der Pädagoge Karl G. Bauer vor übermäßigem Lesen: "Der Mangel aller körperlichen Bewegung beym Lesen, in Verbindung mit der so gewaltsamen Abwechslung von Vorstellungen und Empfindungen führt zu Schlaffheit, Verschleimungen, Blähungen und Verstopfung in den Eingeweiden."

Zweite Leserevolution

Im Gefolge der Frauenemanzipation und der Arbeiterbildung kam es im 19. Jahrhundert zu einer zweiten Leserevolution, unter deren Einfluss der Buchmarkt gewaltig zu expandieren begann. Moderne Produktionsmethoden, die die kostengünstige Herstellung von Büchern und Druckerzeugnissen ermöglichten, leisteten einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden außerdem die Volksbibliotheken und Lesehallen?, die das Fundament für die modernen Stadtbibliotheken legten.

Nicht ganz ernst gemeint - (c) khv24/PIXELIO

Im 20. Jahrhundert erlebte der Buchmarkt einen wahren Boom. Immer mehr Menschen nahmen als Leser am literarischen Leben teil. Erstmals wurden auch sozial niedere Leserschichten in großem Umfang mit literarischen Werken versorgt, insbesondere mit Kolportageromanen? und Romanheftchen. Erst in der Gegenwart kann man jedoch davon sprechen, dass die Leselust der Menschen in vollem Umfang befriedigt wird. Das hat seine Gründe vor allem darin, dass heute die Verfügbarkeit von Büchern, ein hoher Alphabetisierungsgrad und eine nicht durch Zensur? eingeschränkte Buchproduktion zusammentreffen. Und das sind optimale Bedingungen zum Lesen!

Literatur

  • Mehr übers Lesen bei Jokers
  • Bertschi-Kaufmann, Andrea: Lesekompetenz - Leseleistung – Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien. Seelze, Kallmeyer Verlag 2007, ISBN: 978-3780080066
  • Franzmann, Bodo: Handbuch Lesen. Hohengehren, Schneider Verlag 2001, ISBN: 978-3896764959
  • Schiefele, Ulrich: Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden, Vs Verlag 2004, ISBN: 978-3810042293

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