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locus amoenus

Der locus amoenus (lat. locus: Ort; amoenus: lieblich, anmutig, reizend, wonnig) ist ein literarischer Topos?. Er beinhaltet eine idealisierte Naturbeschreibung?. Das Gegenstück ist der locus terribilis, der "schreckliche Ort".

Bestandteile

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Klassisch wird der locus amoenus in drei Bereiche eingeteilt: Ruheplatz; Baum; Quelle. Im Mittelpunkt steht immer das schattige Lager, welches dem Reisenden Ruhe und Erholung verspricht. Bäume (Vertikale) spenden Schatten und das fließende Wasser (Horizontale) unterstützt die Kühle des beschatteten Ruheplatzes.

Flach- und Fließgewässer erfüllen viele Bedingungen innerhalb einer amönen Landschaft. Das sanfte Rauschen dient als Geräuschkulisse und wirkt auch heute noch beruhigend. Das Fließgewässer verdeutlicht Bewegung und Lebendigkeit und spiegelt den Lauf des Lebens wider. Das Wasser ist ein Symbol der Hygiene und Gesundheit, vor allem in der Antike und dem Mittelalter.

Ein Ausschnitt aus Homers "Odyssee" zeigt, dass der Ruheplatz eindeutig den Mittelpunkt des locus amoenus darstellt und sich alle anderen Elemente um jenen gruppieren:

„Und ein Wald wuchs um die Höhle, kräftig sprossen:
Erlen Pappeln und auch die wohlduftende Zypresse.
Da nisteten flügelstreckende Vögel: Eulen, Habichte
und langzügige Krähen, Wasserkrähen, die auf die
Erträge des Meeres aus sind.“

Vögel singen wohlklingende Lieder und so schwingt der Raum von Musik und bereitet alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Die amöne Landschaft ist frei von negativen Natureigenschaften, wie z.B. Hitze. Glück? ist hier nicht nur auf den Augenblick beschränkt, sondern scheint ewig zu währen.

Das Licht ist ein weiteres wichtiges Element, denn nur durch dieses kann der kühle Schatten unter der Baumgruppe entstehen und nur durch helles Licht können die Farblichkeiten an jenem Ort besser hervortreten.

Foto: Rainer Sturm / www.pixelio.de

Entwicklung

Antike

Gerade in der Antike galt der locus amoenus als Wunschlandschaft, auch als Land des Glückes. Römische Gärten, wie auch im 18. und 19. Jahrhundert die französischen Gärten, stützen sich in ihrem Erscheinungsbild auf den locus amoenus.

Mittelalter

Im Mittelalter? stand die Natur für die Stimmung des jeweiligen Textes. So bedeuteten Frühjahr und Sommer Hoffnung auf Minne und Liebesglück. Herbst und Winter bedeuteten stets Abschied, Tod und Sehnsucht. Amöne Landschaften werden immer im Zusammenhang mit Sommer oder Frühling beschrieben.

„Dô der sumer komen was --- Da der Sommer eingezogen war
Und die bloumen dur daz gras --- und die Blumen wundervoll
Wunneclîche sprungen, --- durch das Gras sprossen
Aldâ die vogele sungen --- als dann die Vögel sangen,
dô kom ich gegangen --- da ging ich an einem langen
an einen anger langen. --- Anger entlang.
Dâ ein lûter brunne entspranc --- Dort entsprang ein heller Quell,
Vor dem walde was sîn ganc --- welcher den Wald entlang floss,
Dâ diu nahtegale sanc. --- Dort, wo die Nachtigall sang.

Bî dem brunnen stuont ein boum --- Bei der Quelle wuchs ein Baum
Dâ gesach ich einen troum: --- welcher mir einen Traum bescherte:
Ich was von der sunnen --- Ich war aus der Sonne
Entwichen zuo dem brunnen, --- zur Quelle gewichen,
daz diu linde maere --- damit die Linde mir
den küelen schaten baere --- dort ihren kühlen Schatten spendete.
Bî dem brunnen ich gesaz --- Bei der Quelle saß ich nun
Mîner swaere ich gar vergaz, --- und vergaß all meine Sorgen,
schier entschlief ich umbe daz. --- Sodass ich einschlief.“

In diesem Sangspruch? von Walther von der Vogelweide? finden sich alle drei Merkmale des locus amoenus wieder: der Ruheplatz, der Baum und die Quelle. Das lyrische Ich steht der amönen Landschaft wohlgesonnen gegenüber, sucht nicht erst nach Gefahren, sondern ist von Beginn an fasziniert und träumt Tagträume, wie es wohl wäre an diesem Platz zu ruhen. Alles an dem Ort verspricht Glückseligkeit und Atemholen.

Der Brunnen wird des Öfteren genannt und scheint die Sorgen des lyrischen Ichs fortzuschwemmen. In freier Wildnis kann nur jener einschlafen, welcher sich rundherum sicher fühlt.

Barock

„In grünem Wald ich neulich saß,
Gen einer steinen Klausen;
Da kam durch zartes Laub und Gras
Ein sanftes Windlein sausen.
Ein Brünnlein klar
Bei Seiten war,
So frisch und fröhlich spritzet,
Ein Bächlein rein
Auch eben fein
Von hohen Felsen schwitzet.“

In diesem barocken? Gedicht von Friedrich von Spee? sitzt das lyrische Ich im Wald, lässt sich vom Wind umwehen und beschreibt das kleine Bächlein, welches neben ihm entlangfließt. Das Wasser wird mit den Adjektiven "frisch" und "fröhlich" beschrieben?, ebenso ist das Bächlein "rein" und "fein": Die Natur ist frei von Lastern. Das Fließgewässer zeigt besonders deutlich, dass er von klarer Beschaffenheit und gesund ist, "frisch" und "fröhlich" unterstreichen die Lebhaftigkeit des Gewässers. Auch dieses lyrische Ich scheint sich keiner Gefahr bewusst und genießt den Augenblick in der Natur.

„Es lispeln und wispeln die schlupfrigen Brunnen, Von ihnen ist diese Begrünung gerunnen. Sie schauren, betrauren und fürchten bereit Die schneiichte Zeit.“

In diesen Versen aus "Landschaft" von Johann Klaj? kommt die Bedeutung des Wassers im Zusammenhang mit dem Leben zur Sprache. Gewässer lassen Grünflächen entstehen und bedeuten auch maritimes Leben. Die kalte Jahreszeit wird hier als Bedrohung verdeutlicht, welche die Quellen für einige Zeit zum Erliegen bringen wird. Zugefrorene Flüsse und Seen bieten keine Nahrungsquellen. Zur Zeit des Barocks war man nur in der Unterschicht den Launen des Winters wirklich ausgesetzt. Dennoch hat sich die Furcht vor der kalten, fast nahrungslosen Jahreszeit in der Literatur erhalten.

Romantik

Die Romantik ist jene literarische Epoche, in welcher die Dichter zurück zur ursprünglichen Natur fanden. Künstlich geschaffene Anlagen waren verpönt, und nur wuchernde Natur spiegelte den Geist des Lebens wider.

Fasziniert vom Wasser, entdeckten die Romantiker das Vergnügen von Schiffsfahrten auf dem Rhein und anderen Flüssen. Es entstanden Schauerfiguren wie die Loreley?, welche Schiffsreisende ins Verderben lockten. Natur galt nicht nur als schön, sondern schon fast als mystisch, wie etwa in diesen Versen von Clemens Brentano?:

„Hörst du, wie die Brunnen rauschen? Hörst du, wie die Grille zirpt? Stille, stille, laß uns lauschen! Selig, wer in Träumen stirbt; Selig wen die Wolken wiegen, Wem der Mond ein Schlaflied singt.“

21. Jahrhundert

Heute hat der locus amoenus vor allem in der Werbung überlebt. Bier verkauft sich dann gut, wenn man es am Meeresufer zwischen den Dünen trinkt. Margarine schmeckt besonders gut, wenn sie vorher aus dem Bach gezogen wurde und selbst in Werbespots von Mobiltelefonanbietern rudert der Anpreisende über einen klaren See innerhalb eines idyllischen Waldes. Die Vorstellung vom locus amoenus scheint im Menschen unwiderruflich verankert.

Sekundärliteratur

  • Heidenreich, Joachim: Natura delectat. Zur Tradition des locus amoenus bei Eichendorff. Konstanzer Dissertationen Band 62. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 1986
  • Schönbeck, Gerhard: Der locus amoenus von Homer bis Horaz. Heidelberg 1962

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