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Morgengrauen

von<br> Anja Lundholm

Anja Lundholm? wurde 1918 in Düsseldorf geboren. Nach dem Selbstmord ihrer jüdischen Mutter lebte sie jahrelang im Untergrund, bis sie 1944 in das KZ Ravensbrück kam. Nach dem Krieg arbeitete sie im europäischen Ausland, seit 1953 bis zum ihrem Tod im Jahr 2007 lebte und schrieb sie in Frankfurt am Main. In ihren Romanen verarbeitet sie ihre Erlebnisse während des NS-Regimes und in den Nachkriegsjahren.

Grinny, das Skelett mit der dünnen Haut, durch die die Zähne durchschimmern, als würde es grinsen, und Murks, das nichts richtig macht: Das sind die beiden Hauptfiguren in dem Roman, der im Deutschland nach Kriegsende spielt. Kurz vor der Kapitulation der deutschen Armee fliehen die Kommandanten des Konzentrationslagers Ravensbrück und öffnen damit auch die Tore für die mehr toten als lebendigen Häftlinge, die das Grauen bis hierher überlebten.

Wohin sollen sie sich jetzt wenden, wem können sie vertrauen? In den nächsten Tagen müssen sie lernen, wieder für sich selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Und das in einem chaotischen Land, das langsam von der russischen Armee überrollt wird. Wie kann man den Russen klarmachen, dass man zwar deutsch spricht, vielleicht sogar deutscher Staatsangehöriger ist, aber nicht zu den Tätern gehört? Werden die in jeder Hinsicht ausgehungerten Soldaten der russischen Armee überhaupt danach fragen?

Grinny und Murks machen sich zusammen auf den Weg Richtung Westen, wo sie die Stützpunkte der Alliierten vermuten. Sie sind zwei „es“, die früher einmal Frau waren. Grinny ist nach acht Jahren im Lager körperlich gezeichnet und glaubt an keine Zukunft für sich. Sie möchte ihre letzten Tage nur noch in einem bequemen Zimmer schlafen und für Murks kochen. Sie verkleidet sich als Frau und gleicht mit ihrem haarlosen Schädel und den hohlen Wangen doch eher einem Gespenst. Schließlich hat sie nicht nur jegliche Träume, sondern auch den letzten Rest Moral verloren.

Murks dagegen hat das große Ziel, wirklich frei zu sein. Noch wehrt „es“ sich gegen frauliche Gefühle und Bindungen, gegen jede allzu menschliche Regung. Auch andere Weggefährten finden sich auf dem großen Treck, jeder hat sein eigenes Grauen erlebt, mit dem er fertig werden muss. Und jeder wählt dafür einen anderen Weg. Der Professor, der im größten Chaos glücklich ist, wenn er Papier und Muße hat, um seine Abhandlung zu schreiben. Der Holländer, der ein Geheimnis birgt, das ihn unüberwindbar von den anderen trennt. Die deutsche Familie, die, an der Grenze zurückgewiesen, zurück in ihr Haus kommt und um Aufnahme bittet – Sieger gibt es keine mehr, alle werden zu Opfern.

Die Bezeichnung als Sache, als fremdes Wesen, schafft Distanz für den Leser und zeigt durch die Überzeichnung humorige Seiten. Nur so sind die Schilderungen der unvorstellbaren Grausamkeiten im Lager, aber auch in der Zeit davor und danach ertragbar. Sie werden in knappen, aber detailgetreuen Worten geschildert: So war es. Gefühle und Verurteilungen sind nicht wichtig, wichtig ist allein das Überleben. Auch für eine sich anbahnende Liebesgeschichte gibt es keine Zukunft – erst müssen die seelischen Wunden verheilen.

Autorin: Jutta Möller

Literaturangaben

  • Lundholm, Anja: Morgengrauen. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 378 S.

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