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Nie wieder achtzig

von<br> Dieter Hildebrandt

Deutschlands dienstältester Satireteufel Dieter Hildebrandt hat mit seinem autobiografisch angehauchten Buch „Nie wieder achtzig“ ein Kabarettstückchen erster Güte abgeliefert. Das „Schandmaul“, das nach eigenen Aussagen mit zunehmendem Alter nicht weiser, sondern nur vergesslicher geworden sei, reiht in seinem Buch zahlreiche Giftpillen in Form vergnüglicher Geschichten aneinander. Er kommt dabei wie gewohnt von „Hölzchen auf Stöckchen“. Der freche Schnellsprecher verknüpft aufs Vortrefflichste das Persönliche mit dem Nationalen.

Sein Rückblick enthält neben aktuellen Texten das Beste seines fünfzigjährigen Schaffens und doch ist es keine Lebensbilanz. Es ist eher ein Kabarettabend in Buchform. In 49 kritischen Beiträgen greift Hildebrandt scheinbar wahllos Themen und Ereignisse aus Politik und Gesellschaft auf, vom Gammelfleisch bis zur Gesundheitsreform, vom Bär Bruno bis zu den Schlagzeilen der Boulevard-Presse. Die doppelmoralische Saubermann-Mentalität, die so genannte bürgerliche Wohlanständigkeit, die Wasserprediger und Weintrinker werden von ihm vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Lieblingsangriffspunkte sind Politiker mit ihren Skandalen und Affären.

Welle der Geschwätzigkeit

Der wortgewaltige Realsatiriker präsentiert im gewohnten Stakkato eine Revue bundesrepublikanischer Realitäten und Irrealitäten. Von Adenauer über Brandt, von Schröder bis Merkel – jeder bekommt sein „Fett weg“. Das hat Tradition bei „Daniel Bühnentrieb“, wie er sich gern nennt. Schon in der ZDF-Sendung „Notizen aus der Provinz“ (1972), vor allem aber im „Scheibenwischer“ – erhob Hildebrandt, Franz Josef Strauß und Helmut Kohl zu seinen Lieblingspopanzen, die passfertige Pointen garantierten.

Die deutsche Medienlandschaft findet keine Gnade in Hildebrandts kritischen Augen. „Die Dummheit hat einen Lauf. Sie hat hohe Einschaltquoten. Und sie verstärkt sich mit einer bedrohlichen Geschwindigkeit“, lästert er. „Superstars“ wie Daniel Küblböck, „dieser singende Homunkulus“, und die Ausweitung des „Castingkäses“ symbolisieren für ihn eine „rasante Zunahme des Verblödungs-Effekts“. „Dass diese Bohlenparade inzwischen zum Fernsehkulturereignis geworden ist, das ist der äußerste Rand des ganz tiefen Tellers, den das Fernsehen nicht erfunden hat“, schreibt er. Einstige Programmmacher würden sich heute blind nach dem Testurteil der Zuschauer richten. „Kein Satz wird in die Kameras hineingesagt, von dem man nicht genau weiß, von wem er gewünscht ist, welche Altersgruppe ihn angeschaltet lässt, welche ihn sofort ausschaltet, welcher Berufsgruppe wiederum diese Altersgruppe zugeordnet ist, und in welcher Sendezeit welche Berufsgruppe in welchem Alter welches Thema akzeptiert oder ablehnt“.

Die heutige Sprachentwicklung befremdet den Kabarettisten. So gebe es kaum noch gute Rhetorik in der politischen Landschaft, und er vermisse sprachliche Individualisten wie Kohl und Strauß, die, wie er, einer anderen Generation angehörten. Der Autor fühlt sich einer „überbordenden Welle der Geschwätzigkeit“ ausgeliefert und ist gleichzeitig amüsiert.

Seniorenterrorismus

Er zitiert die Mitteilung einer jungen Mutter, die er nicht mehr „voll checken“ könne: „Heute Shopping gemacht. Beanie gekauft. Für Bobby. Einen Zip-Sweater für Sven. Er wollte lieber einen Turtle-Neck, weil’s besser zu seinen Slimfits passt. Ich habe mir Baggy-Pants gekauft und einen Hooney. Die Sneakers sind scheiße, lieber hätte ich Over-Knees, aber dufte Tubesocks habe ich geschossen und Fat-Slim-Cases für die Sneakers. Bibi war sauer, hat keine Boot-Cut-Jeans erwischt. Aber sonst: „Klasse prima Superprelook“. Kurz: Anglizismen bis zur Unverständlichkeit und die zunehmende Geräuschkulisse in der modernen Welt nerven ihn. „Um mich herum tutet, piept, hupt und pfeift es“. All dies veranlasst ihn zu der süffisanten Fragestellung, ob es möglicherweise am Lärm läge, „dass alte Leute heute nicht sterben wollen“.

Ältlich kommt er nicht rüber - im Gegenteil! Man wünscht manchem der konturlosen Hampelmänner des heutigen Comedianstadls, sie mögen sich etliche Scheiben von dem rebellischen Achtzigjährigen abschneiden. Der gebürtige Niederschlesier und heutige Wahlbayer wirkt authentisch und verblüfft durch Einfallsreichtum und Schwung. Manchmal kommentiert er die Ereignisse der heutigen Zeit milde und nachsichtig, an anderen Stellen erhebt er fast anklagend den erhobenen, sarkastischen Zeigefinger, um ihn gnadenlos bissig in die Wunde unserer gesellschaftlichen Realität zu bohren.

„Altern in unserer Gesellschaft“ ist ein Thema, das in seinem Werk als Wegweiser fungiert. Dass Jung und Alt nicht zusammenpassen, ist nicht neu, doch Hildebrandt versteht es exzellent seine Erkenntnis in ansprechende Anekdoten zu verpacken. In dem Abschnitt „Geschlossene Gesellschaft“ setzt er sich mit der heutigen Altenpflege auf eine erschreckend offene Weise auseinander. „Alte muss man zusammenhalten. Möglichst kaserniert, sagen die Sicherheitshüter, denn sie werden gefährlich. Sie rotten sich zusammen, scheinen zu Seniorenterrorismus zu neigen, wollen sich nicht mehr beugen, wenn sie den Befehl: ‚Kusch, Opa!’ erhalten. Sie scheinen tatsächlich ihre letzten Kräfte mobilisieren zu wollen, um über die normalen Grenzen des Alters hinaus mitleben zu können“. Und an anderer Stelle zeigt er sogar Verständnis für die Angst der jungen Menschen, „wenn sie diese tsunamiartige Altenwelle auf sich zukommen sehen“.

feinsinnig, ironisch, eloquent

Es scheint, als sei Dieter Hildebrandt nichts entgangen. „Nie wieder achtzig“ ist eine Abrechnung mit allem, was ihm aufstößt. Sei es die politische Landschaft der Vergangenheit oder die lärmende Gegenwart, die sich in seinen Augen immer mehr zu allgemeiner Verdummung und Unehrlichkeit hin entwickelt. Den gesellschaftlichen Missständen versucht er mit seiner feinsinnigen und spitzfindigen, ironischen Feder beizukommen. Ein Lesegenuss und ein Muss. Keiner kann es so wie er auf den Punkt bringen, und dies macht er mit einer sprachlichen Eloquenz, die ihresgleichen sucht. Einfach lesen, lachen, nachdenken und seiner Renitenz folgen.

„Viele Menschen sind zu gut erzogen, um mit vollem Mund zu sprechen, aber sie haben keine Scheu, es mit leerem Kopf zu tun.“ (Dieter Hildebrandt)

Literaturangaben

  • Hildebrandt, Dieter: Nie wieder achtzig! Zeichnungen von Dieter Hanitzsch. Karl Blessing Verlag, München 2007. 238 S., ISBN: 978-3896673312

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