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Porète, Marguerite

Marguerite Porète (geb. 1250 oder 1260 in Hennegau; gest. 1. Juni 1310 in Paris) war eine Mystikerin und Autorin im Frankreich des Spätmittelalters. Sie verfasste die Schrift "Le miroir des simples âmes anéanties" (Spiegel der einfachen Seelen, erschienen vor 1296) und wurde als Ketzerin verbrannt.

Eine Ketzerverbrennung

Erster Juni 1310: Auf der Place de Grève in Paris hat sich, unweit des Seine-Ufers, eine neugierige Menschenansammlung um einen hoch aufgeschichteten Holzstoß gebildet. Eine Ketzerverbrennung steht an. War es wenige Tage zuvor eine Gruppe von Angehörigen des Templerordens, die angeleitet von dem Großinquisitor Wilhelm von Paris aus dem Dominikanerorden, verbrannt wurde, so gilt die öffentliche Hinrichtung diesmal Marguerite, genannt: die Porète. Sie ist Verfasserin eines von der Kirche als Irrlehre indizierten Buches. Sie soll ebenfalls den Feuertod erleiden. Und nachdem namhafte Theologen anhand von ausgewählten Sätzen aus Porètes Schrift ihr vernichtendes Anáthema gesprochen und die Verfasserin als rückfällige Sünderin angeprangert haben, steht dem Vollzug dieser schmachvollen Kirchenstrafe nichts mehr im Wege ...

Leben und Schreiben

Sieht man von den spärlichen Auskünften ab, die sich aus den Prozessakten der Inquisitoren ergeben, so ist recht wenig über Person und Herkunft von Marguerite Porète bekannt. Sie war Französin und lebte im nördlichen Grenzgebiet zwischen Frankreich und Belgien. In Valenciennes an der Schelde gehörte sie einer Gruppe von Beginen an: Frauen, die seit dem 12. Jahrhundert einzeln oder in kleinen Gruppen außerhalb der Frauenklöster in Beginenhöfen lebend ein zwar frommes, aber relativ ungebundenes religiöses Leben führten, der Krankenpflege oder einer handwerklichen Tätigkeit nachgingen und auf ihre Weise die apostolische Armut praktizierten.

Was diese Frauen in Kreisen der kirchlichen Obrigkeit verdächtig machte, das war ihr Versuch, den Impulsen einer Bewegung des „freien Geistes“ zu folgen, ohne sich den im Mittelalter üblichen vielfältigen einengenden Normie-rungen in Kirche und Gesellschaft zu unterwerfen. Für sie bedeutete das mitunter Verzicht auf die Erfüllung bestimmter Tugendübungen und Gehorsamsleistungen. Erheblichen Anstoß verursachten jene Beginen, die es trotz des generellen Predigtverbots für Laien, insbesondere als Frauen wagten, das Evangelium eines freien Geistes zu verkünden. Zu ihnen gehörte Marguerite Porète.

Und sie tat nicht nur den Mund auf. Durch theologische Bildung ausgewiesen, legte sie schriftlich nieder, was ihr am Herzen lag, nämlich die Sehnsucht, von der göttlichen Liebe geleitet, in das Land der Freiheit zu gehen und gleichgesinnte Frauen dazu anzuleiten. Das sei, wie sie sagte, nur einer Seele möglich, die nicht länger blindlings den kirchlichen Anordnungen folge, die sich von sklavisch zu befolgenden Tugenden verabschiede, im Übrigen unter bestimmten Umständen selbst das sakramentale Leben infrage stelle. Überzeugt war Porète, dass man nicht durch bloße Frömmigkeitsleistungen sich einen Weg zu Gott, zu ihm, den Fernen und zugleich Nahen, bahnen könne. Vielmehr habe Gott selbst dieses Werk des Heils bereits vollbracht. Selbstlose Liebe und der allein auf die Gottestat trauende Glaube sei eigentlich gefragt. Diese Aussage erhebt Marguerite Porete geradezu in den Rang einer Vorreformatorin, zwei Jahrhunderte vor Martin Luther?.

Wie die Forschung gezeigt hat, gibt es eine zum Teil frappierende Gemeinsamkeit zwischen dieser französischen Begine als unmittelbare Zeitgenossin von Meister Eckhart?. Beide betonen, wie wichtig es ist, einen mystischen, das heißt inneren Wandlungsprozess zu durchlaufen, der bei der Preisgabe des eigenen Willenslebens beginnt und die in eine hingebungsvolle Ge-Lassenheit einmündet. Dazu kommt, dass beide, der berühmte Magister an der Pariser Hochschule und die bislang nahezu vergessene Frau, sich für die Ausformung ihrer Erkenntnis der Volkssprache bedienten: Eckhart des Mittelhochdeutschen, Porète des Mittelfranzösischen.

Der komplette Titel von Porètes Buches lautet: "Der Spiegel der einfachen Seelen, die nur im Wunsch und in der Sehnsucht nach Liebe verharren" (Mirouer des simples Ames aneanties et qui seulement demourent en Desir et Vouloir d'Amour). Die Schrift, vor 1296 entstanden, wurde 1300 in Valenciennes beschlagnahmt und öffentlich verbrannt. 1306 wurde sie erneut für häretisch erklärt. 1307 klagten der Provinzialinquisitor von Hochlothringen, Philipp von Marigny, und der Dominikaner Wilhelm von Paris, päpstlicher Generalinquisitor und Beichtvater des französischen Königs, die Verfasserin der Ketzerei an. Porète widerrief nicht und weigerte sich auch, Erklärungen abzugeben. Im selben Jahr wurde sie in Paris eingekerkert.

Am 11. April 1310 wurde Marguerite Porète als Häretikerin verurteilt und bald darauf der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben. Die Theologen stützten sich dabei auf 15 aus dem Zusammenhang gerissene Sätze ihrer Schrift. Am Pfingstmontag, 1. Juni 1310, starb die Mystikerin als rückfällige Ketzerin auf der Place de Grève in Paris auf dem Scheiterhaufen.

Wirkung

Die Werke Meister Eckharts wie Marguerite Porètes wurden nach deren jeweiliger Verurteilung nahezu sechs beziehungsweise sieben Jahrhunderte hindurch der Veröffentlichung entzogen wurden. Bei Porètes "Miroir" wurde erst um Mitte des 20. Jahrhunderts die Identität von Autorin und Werk wiedererkannt. Wohl erlebte Poretes Buch seit langem anonym verbreiteten Übersetzungen ins Lateinische, Englische und Italienische sowie ins moderne Französische. Ihre Lehre von der befreienden göttlichen Liebe wurde somit europaweit bekannt. Nur wusste man nicht oder wollte man nicht wissen, dass das Werk von einer unscheinbaren, dazu verketzerten Frau stammt, die selbst noch angesichts des Feuertodes zu ihrer Liebeslehre stand. Eher meinte man, diesen Spiegel der einfachen Seelen seines spirituellen Ranges wegen einem anderen mittelalterlichen Mystiker, etwa Jan von Ruusbroec, zuschreiben zu können.

Was die heutige Fortwirkung dieses Buches und ihrer Autorin anlangt, so hat sie nicht allein auf wissenschaftlicher Ebene oder im Rahmen der feministischen Theologie bereits begonnen. Freilich wird man Marguerite Porète und ihrer Schrift nicht gerade eine Massenwirkung vorhersagen können. Das liegt im Wesen mystischer Literatur, die ihre Entstehung oft einem bestimmten Erleben verdankt. Gemeint ist das, was einem – wie Porète schreibt – in einem blitzartigen Spontanereignis zuteil werden kann. Solche Erfahrungen, wie vielgestaltig sie auch sein mögen, sind an keine Zeit gebunden. Oder, um es mit der einst in Zürich lebenden jüdischen Autorin? Margarete Susman? (18721966) auszudrücken: „Alle Mystik ist Heimweh der Seele nach dem, was sie in Wahrheit ist und was durch die Wirrnis ihres irdischen Daseins nur undeutlich hindurchscheint."

Werke

  • Bücher von Marguerite Porete bei Jokers
  • Porete, Margareta: Der Spiegel der einfachen Seelen. Übersetzt von Louise Gnädinger. Artemis Verlag, Zürich 1987
  • Porete, Marguerite: Liebesmystik des Freien Geistes (Texte und Kommentar). Marix Verlag, Wiesbaden (für 2011 angekündigt)

Sekundärliteratur

  • Bücher über Marguerite Porete bei Jokers
  • Arnold, Anne: Liebe und tue, was du willst. Eine historische Biografie der Begine Marguerite Porete. BoD, Norderstedt 2005, ISBN: 978-3833434259
  • Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. München 1984
  • Grundmann, Herbert (1935). Darmstadt 1961
  • Lambert, Malcolm: Ketzerei im Mittelalter. Häresien von Bogumil bis Hus. München 1981
  • Leicht, Irene: Marguerite Porete. Eine fromme Intellektuelle und die Inquisition. Freiburg 1999
  • Riedel, Ingrid: Mystik des Herzens. Meisterinnen innerer Freiheit. Freiburg 2010
  • Ruh, Kurt: Geschichte der Abendländische Mystik. Band II: Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit. München 1993
  • Schweitzer, Franz Josef: Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik. Frankfurt 1981
  • Sölle, Dorothee: Mystik im Widerstand. München 1999
  • Stölting, Ulrike: Christliche Frauenmystik im Mittelalter. Mainz 2005
  • Wehr, Gerhard: Christliche Mystiker. Von Paulus und Johannes bis Simone Weil und Dag Hammarskjöld. Fr. Pustet Verlag, Regensburg 2009
  • Wehr, Gerhard: Meister Eckhart. Texte und Kommentar. Marix Verlag Wiesbaden 2010

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