diesen Kommentar bitte stehen lassen Hauptseite | Buchmenschen | Buchmenschen A-Z | R | Reventlow, Fanny (Franziska) Gräfin zu


Bitte Krümelpfad oben nicht verändern, erst ab hier nach unten Texte ändern

Reventlow, Fanny (Franziska) Gräfin zu

Fanny Gräfin zu Reventlow (geb. 18. Mai 1871 in Husum, Schleswig-Holstein; gest. 27. Juni 1918 in Muralto bei Locarno) war eine deutsche Malerin, Übersetzerin und Schriftstellerin der Münchner Bohème?. Sie ist heute eher als Franziska zu Reventlow bekannt denn als Fanny. Den Namen Franziska hat sie selbst jedoch nur gelegentlich verwendet. Zu Lebzeiten erschienen ihre Veröffentlichungen unter der Abkürzung? "F. Gräfin zu Reventlow".

Leben und Schreiben

Franziska zu Reventlow wurde am 18. Mai 1871 als viertes Kind von Ludwig Graf zu Reventlow und seiner Frau Emilie, geb. Reichsgräfin zu Rantzau, geboren. Getauft wurde sie auf die Namen Fanny Liane Wilhelmine Sofie Auguste Adrienne. Ihr Vater war preußischer Landrat im Kreis Husum, die Familie gehörte zu den besten Kreisen und war unter anderem mit Theodor Storm befreundet. Fanny wuchs auf einem Schloss auf und genoss die Erziehung einer höheren Tochter zu jener Zeit.

Eine höhere Tochter im Widerstand

Fanny zu Reventlow, Cover der rororo-Biographie - (c) Rowohlt Taschenbuch Verlag

Über deren Nachteile war sie sich jedoch schon früh im Klaren. Im Jahr 1900 schrieb sie über den typisch weiblichen Lebenslauf: "... Als kleines Mädchen artig in die Schule und manierlich mit Eltern oder 'Fräuleins' spazieren gehn, als großes Mädchen je nach den Verhältnissen als Nutzobjekt oder Dekorazjonsgegenstand im Hause figurieren, als Braut sittlich errötend an der Aussteuer nähen ..."

Sie selbst wollte sich dem nicht unterwerfen und verstand sich deshalb vor allem mit ihrer Mutter schlecht. Sie fühlte sich als deren Stiefkind, das im Vergleich zu den vier Brüdern ungerecht behandelt wurde. In ihrem autobiographischen Roman "Ellen Olestjerne" (1903) geht das so weit, dass die Protagonistin Ellen als Kind in ihren Alpträumen befürchtet, die Mutter wolle sie töten.

Und später lässt Fanny ihr Alter ego Ellen in einem Brief? schreiben, sie "habe ... erfahren, dass man mich möglichst viel auf Bälle und solche Sachen schickt, weil Mama hofft, es würde sich doch mal jemand zum Heiraten finden. Momentan ist hier das ganze Haus voll von Offizieren zur Jagd. Ich halte ihnen Reden über Ibsen? und moderne Ideen. Wenn sie morgens in den Garten kommen, sitze ich im Kirschbaum, und sie müssen bitten, dass ich ihnen Kirschen hinunterwerfe. Die werden sich schwer hüten, mich zu heiraten. Überhaupt macht es mir furchtbaren Spaß, die Leute vor den Kopf zu stoßen, besonders diese aristokratische Bande."

Aus einem Mädchenpensionat im thüringischen Altenburg wurde Fanny zu Reventlow 1887 nach nur einem Jahr hinausgeworfen, weil sie sich nicht fügen wollte. 1889 wurde der Vater pensioniert und die Familie zog nach Lübeck. Fanny durfte ein Lehrerinnenseminar besuchen, das sie 1892 erfolgreich abschloss. Sie konnte nun Mädchen an mittleren und höheren Schulen unterrichten, was damals für Töchter aus Adelskreisen selten war. Doch den Beruf übte sie niemals aus. Denn eigentlich hatte sie Malerei studieren wollen.

Flucht durch Heirat

In ihren Vorstellungen von einem freien Leben wurde Fanny zu Reventlow durch ihren Freundeskreis bestärkt, den Ibsen-Club?. In Henrik Ibsens Frauengestalten fand sie ihre eigene Sehnsucht nach Freiheit vorgezeichnet. Dennoch, so die These von Marlis Gerhardt?, hatte Fanny zu Reventlow vor allem wegen ihrer gestörten Mutterbeziehung zeitlebens kein weibliches Rollenvorbild, an dem sie sich hätte orientieren können. Das führte dazu, dass sie sich zu den Männern flüchtete, um an deren Freiheiten teilhaben zu können - was damals unmöglich war. Fluchtphantasien hegte zu Reventlow ihr Leben lang. Noch kurz vor ihrem Tod träumte sie davon, mit einem chinesischen Artisten um die Welt zu reisen.

Die erste Flucht erkämpfte sie sich durch eine Heirat. Nachdem sie wegen einer heimlichen Liebesaffäre mit einem älteren Mann "zur moralischen Besserung" in ein Pfarrhaus gegeben worden war, aus dem sie mit Erreichen der Volljährigkeit floh, lernte sie in Hamburg den Juristen Walter Lübke kennen. Er ermöglichte ihr im Sommer 1893 einen Studienaufenthalt als Malstudentin in München. 1894 heirateten die beiden.

1895 ging Fanny zu Reventlow erneut nach München, um nun ernsthaft Malerin zu werden. Das führte letztlich zur Trennung von ihrem Mann. Die Ehe wurde 1897 geschieden.

Die Münchner Bohème

Im München wurde Fanny zu Reventlow mit einem Problem konfrontiert, das sie von da an nicht mehr loslassen würde: Geldsorgen. Zwar genoss sie mit den Münchner Maler-Gruppen "Lebensrausch" und "Ekstase", wie sie in ihr Tagebuch schrieb. Doch sie hielt sich dabei nur mühsam mit Gelegenheitsjobs über Wasser. So arbeitete sie zeitweise als Animierdame und als Malerin und Schauspielerin, als Aushilfsköchin und Sekretärin. Außerdem fertigte sie schlecht bezahlte Übersetzungen französischer Texte an. In ihrer Novelle "Der Geldkomplex" (1916) beschrieb Fanny zu Reventlow später ihre Schwierigkeiten, Geld zu verdienen - und zu behalten. Hatte sie welches, gab sie es rasch wieder aus. Zuweilen verstreute sie Münzen in ihrem Atelier und hoffte, sie dann überraschend wiederzufinden, wenn sie sie gebrauchen konnte.

Rolf, das "Göttertier"

Am 1. September 1897 gebar Fanny zu Reventlow ihren Sohn Rolf (er starb 1981) - die "Maus", das "Göttertier". Wer der Vater war, verschwieg sie zeitlebens - sie nannte ihn einen "fremden Herrn". "Mein Kind soll keinen Vater haben, nur mich. Und mich ganz. Oh, das Geliebte!", schrieb sie in ihr Tagebuch. Das Kind, so empfand sie es, erlöste sie von dem Grundübel, das noch schlimmer war als ihre Geldsorgen: die Einsamkeit. "Das Kind ist mein unermesslicher Reichtum", schrieb sie, und: "Mit einem Kind sollte man immer allein sein. Es gehört nicht unter mehrere große Menschen." Ein Foto von 1898 zeigt sie, ganz in Weiß, mit ihrem Sohn, als "Madonna mit dem Kinde".

Die "Kosmiker"

In München, genauer in Schwabing, war Fanny zu Reventlow zu einer Gruppe von Männern gestoßen, die sich "kosmische Runde" nannten. Zu dem Kreis gehörten unter anderem Stefan George?, Ludwig Klages? und Karl Wolfskehl?. Beeinflusst von den Ideen Nietzsches und von den Theorien Bachofens? über ein frühes Matriarchat, hatten diese Männer ein weibliches Ideal geschaffen: die Hetäre - eine Mischung zwischen großer Mutter, dionysischer Göttin und Geliebter.

In Fanny zu Reventlow glaubten sie die Verkörperung dieses neuen Frauenideals gefunden zu haben. Die Schwabinger Künstler bewunderten sie denn auch für ihren Mut, allein ein Kind großzuziehen. Rainer Maria Rilke schrieb täglich ein Gedicht für die "Madonna mit dem Kinde". Doch was sie als Männer konnten - eine Existenz jenseits der Regeln der Gesellschaft führen, ohne ausgestoßen zu sein - das konnte Fanny zu Reventlow als Frau eben nicht. Kein Wunder, dass sie immer wieder vom idealisierten Märchenprinzen träumte, der sie vorbehaltlos lieben und unterstützen würde.

Ludwig Klages war dieser Märchenprinz jedenfalls nicht, auch wenn er zeitweise eine wichtige Bezugsperson für sie darstellte. Klages projizierte in Fanny zu Reventlow die fantasierte "heidnische Heilige" hinein. Er ermutigte sie auch zu ihrem autobiografischen Roman "Ellen Olestjerne", der noch ganz im Stil der damals üblichen Selbstfinungsliteratur gehalten ist (später distanzierte sich die Autorin von dem Buch). Doch die Beziehung scheiterte daran, dass Klages das Leben Fanny zu Reventlows zu sehr kontrollieren wollte. Ihre Lebensgestaltung in finanzieller und sexueller Hinsicht ertrug er - trotz seiner Theorien von Hetärentum - in der Praxis schlecht.

Die Schriftstellerin

Die Trennung von Ludwig Klages erfolgte 1903. Sie bedeutete auch einen Bruch mit den "Kosmikern" - und mit der Rolle als Muse? männlicher Künstler. Fanny zu Reventlow erschloss sich nun eine andere, zuvor immer mit Skepsis und Ablehnung betrachtete Rolle: die der Journalistin? und Schriftstellerin. Ihr Bekanntenkreis bestand nun zunehmend aus anarchischen, oft jüdischen Schriftstellerin, die später größtenteils emigrieren mussten oder im KZ starben. Von 1903 bis 1906 wohnte sie mit Bohdan von Suchocki und dem Schriftsteller Franz Hessel? in der Münchner Kaulbachstraße 63 - die WG wurde berühmt. Mit Hessel und anderen verfasste sie 1904 den "Schwabinger Beobachter", ein Pamphlet?, das kopiert? und in die Briefkästen geworfen wurde. Darin erscheint Schwabing als "Wahnmoching" und Stefan George? als "Weihenstefan".

Später verarbeitete sie in dem Schlüsselroman? "Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil" (1913) ihre Schwabinger Erfahrungen. Ihre Romane und Novellen geben ein bis heute gern gelesenes, lebendiges Bild der Schwabinger Künstlerszene jener Zeit. Ihr humoristisch?-satirischer Stil rückte Fanny zu Reventlow, so M. Gerhardt, in die Nähe zu Kurt Tucholsky. Ihr letzter Roman "Der Selbstmordverein" blieb unvollendet.

Ihre Schwabinger Romane schrieb Fanny zu Reventlow in Ascona, wohin sie 1910 gezogen war, um dort im Jahr darauf eine Scheinehe mit dem kurländischen Baron Alexander von Rechenberg-Linten einzugehen. Das Erbe des Barons hatte von einer standesgemäßen Ehe abgehangen. Fanny zu Reventlow erwarb sich durch diese Heirat 20 000 Mark, velor sie jedoch 1914 durch einen Bankenkrach.

"Von Paul zu Pedro" (1912)

1912 erschien Fanny zu Reventlows Briefroman? "von Paul zu Pedro". Auch er hat die Schwabinger Erlebnisse zum Gegenstand, erzählt vom unkonventionellen Liebesleben einer Schwabinger Bohémienne. In den ersten neun Kapiteln befindet sich die Protagonistin (sie hat keinen Namen) in einer "Regenstadt" und berichtet über vergangene Erlebnisse. Im zehnten Kapitel bricht sie nach Italien auf, nach Venedig. Aber noch immer erzählt sie im Rückblick?. Die Briefe elf bis 19 spielen in der Gegenwart, sie handeln von der Italienreise der Ich-Erzählerin.

In allen Briefen aber geht es um Männer-Beziehungen und um den Mann als solchen. Die Literaturkritik hob daher anlässlich der Neuausgabe 2011 besonders diese Seite des Buches lobend hervor.

1916 zog Fanny zu Reventlow nach Muralto am Lago Maggiore. Hier erlitt sie bei einem Fahrradsturz schwere Verletzungen, an denen sie am 26. Juli 1918, erst siebenundvierzig jährig, in einer Klinik in Locarno starb. Die Grabrede hielt der Schriftsteller Emil Ludwig?. Fanny zu Reventlow ist auf dem Friedhof der Kirche Santa Maria in Selva in Locarno beerdigt.

Ihre Werke wurden von ihrer Schwiegertochter Else zu Reventlow herausgegeben. Zuerst 1925 in einer einbändigen? Werkausgabe? ihrer gekürzten?, anonymisierten? und literarisierten? Tagebücher. 1928 wurden die Briefe? herausgegeben, aber ebenfalls nicht im Original. 2004 erschien eine Werkausgabe in fünf Bänden, die jedoch die autobiographischen Schriften immer noch nicht authentisch ediert enthielt. Für das Tagebuch trifft dies erst auf eine Ausgabe von 2006 zu. Auf Else zu Reventlow geht auch die Etablierung des Autorennamens Franziska zu Reventlow zurück.

Übrigens ...

... existierte über Fanny zu Reventlow manche irrige Annahme: Weil sie in ihren Texten immer wieder auch autobiographisches Material verarbeitete, hielt man oft auch die fiktionalen Teile für selbst erlebt. So konnte sich aufgrund der Erzählung "Das gräfliche Milchgeschäft" lange die Annahme halten, sie habe einmal ein Milchgeschäft gepachtet, mit dem sie nach kurzer Zeit pleite gegangen sei.

Auszeichnungen (Auswahl)

Werke (Auswahl)

  • Bücher von Fanny Gräfin zu Reventlow bei Jokers
  • Ellen Olestjerne. Roman. OA 1903. Neuauflage mit einem Nachwort von Gisela Brinker-Gabler, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1985
  • Der Selbstmordverein. Zwei kleine Romane und drei Aufsätze. Hg. von Ursula Püschel. VDN, Berlin 1991
  • "Wir üben uns jetzt wie Esel schreien …" - F. Gräfin zu Reventlow, Bohdan von Suchocki, Briefwechsel 1903-1909. Hg. von Irene Weiser, Detlef Seydel u. Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz, Passau 2004
  • "Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich" - Tagebücher 1895-1910, aus dem Autograph textkritisch neu herausgegeben und kommentiert von Irene Weiser u. Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz, Passau 2006
  • Sämtliche Werke, Tagebücher und Briefe in fünf Bänden. Hg. von Michael Schardt u. a., Igel Verlag, Oldenburg 2004
  • Ach, das liebe Geld! Roman meinen Gläubigern zugeeignet. (Originaltitel: Der Geldkomplex, 1916). Edition Ebersbach, Berlin 2008, ISBN: 978-3934703483
  • Herrn Dames Aufzeichnungen. Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, München 2008, ISBN: 978-3866156432
  • Von Paul zu Pedro. Amouresken. OA 1912. Europäischer Literaturverlag, Bremen 2011, ISBN: 978-3862671403

Sekundärliteratur

  • Bücher von und über Fanny Gräfin zu Reventlow bei Jokers
  • Ulla Egbringhoff: Franziska zu Reventlow. OA 2000. rororo, Reinbek 2000, ISBN: 978-3499506147
  • Gerhardt, Marlis: Franziska zu Reventlow. In: Schulz, Hans Jürgen (Hg.): Frauen. Porträts aus zwei Jahrhunderten. Kreuz Verlag, Stuttgart, 2. Aufl. 1982, S. 226-243
  • Kaya Presser: Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro als Spiel mit Genres und Geschlecht. Online-Veröffentlichung der Wissenswerkstatt 2007

Links

Bitte Krümelpfad unten nicht verändern


Hauptseite | Buchmenschen | Buchmenschen A-Z | R | Reventlow, Fanny (Franziska) Gräfin zu

Daten hochladen
Buecher-Wiki Verlinken
FacebookTwitThis
Pin ItMister Wong
RSS-Feed RDF-Feed ATOM-Feed

schliessen