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Ruhm

von<br> Daniel Kehlmann

Ruhm, Hörbuch-Cover - (c) Rowohlt/Universal Music

Scheherazade? richtet es immer so ein, dass die Geschichten, die sie dem Sultan erzählen muss, beim Schlafengehen nicht zu Ende sind, er muss am nächsten Abend weiterhören, tausend und eine Nacht lang. Bis zum guten Ende. Daniel Kehlmann erzählt seinen "Roman in neun Geschichten" so, dass man weiterlesen muss, will man nicht düpiert werden. Was soll einem auch – in der ersten Geschichte – ein Telefontechniker sagen, der einen falschen Mobilfunk-Anschluss bekommen hat, über den er ständig für einen "Ralf" gehalten wird, bis er schließlich entnervt so tut, als sei er der wirklich? Einer, der sich verabredet, aber es wird nichts daraus? Er findet nur heraus, "dass er alles sagen konnte, so lange er keine Fragen stellte, die Leute aber sofort Verdacht schöpften, wenn er etwas wissen wollte". Der geneigte Leser schöpft Verdacht, der Telefontechniker Ebling kann abtreten.

Wenn jemand mit einem Roman einen Welterfolg hat, stürzen sich Leser und Kritiker auf den nächsten. Kehlmann ist Hype. Er ist klug – also weiß er es. Und macht seinen Ruhm zu "Ruhm" – dem neuen Buch mit diesem Titel. Andy Warhol, der jedem Menschen seine fünfzehn Minuten Ruhm versprach, lässt grüßen.

Wir lesen also weiter und werden gleich in der zweiten Geschichte bekannt gemacht mit einem erfolgreichen Autor namens Leo Richter und dessen Freundin Elisabeth, die für "Ärzte ohne Grenzen" arbeitet. Er will einen „Roman ohne Hauptfigur“ schreiben, sie will nicht, dass sie darin vorkommt. Beide begeben sich „in Gefahr“, klappern auf seiner Lesetour obskure lateinamerikanische Länder ab, obwohl er doch eigentlich gar nichts erleben will: „Eigentlich interessiert mich das alles nicht. Ich schreibe nur. Ich erfinde. Eigentlich will ich gar nichts sehen.“

Es gibt einiges aufzuklären

Daniel Kehlmann ist nicht Leo Richter. Aber er hat die Geschichte geschrieben, die als die Richters folgt: „Rosalie geht sterben“. Sie handelt von einer alten Frau mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, die ihr Leben in einem Schweizer Freitod-Institut beenden will. Richter will ihre letzten Tage schildern, bis hin zum tödlichen Schluck aus dem Becher, Rosalie spuckt ihrem Erfinder (und Kehlmann), der auf ihrem Tod besteht, weil anders seine Geschichte nicht aufgeht, in die Suppe. Könnte sein, dass sie überlebt. So wie Ralf Tanner, Eblings Ralf, den die falsche Mobilfunk-Nummer (alle Geschichten haben mit Mobiltelefonen zu tun) aus der Bahn kippt: Aus einem bekannten Filmschauspieler wird wieder ein Nobody, der das ebenso akzeptiert wie Maria Rubinstein, die statt Leo Richter zu einer Journalistenreise nach Zentralasien gereist ist und dort verschwindet - als Magd bei Bauern. „Eine falsche Regung, und man fand nicht mehr zurück, und schon war das alte Dasein dahin und man fand nicht mehr zurück.“ Solcher Weisheit kann nur eine Geschichte vom berühmten Miguel Auristos Blanco aus Rio folgen, der so fatal an Paulo Coelho und dessen Lebensweisheiten erinnert. Blanco schreibt an eine Äbtissin, dass alle seine Lebensberatung Schund sei: Es gebe gar keinen Gott. Und er greift zum Revolver. Wird er abdrücken?

Es gibt noch einiges aufzuklären, die Sache mit der vertauschten Mobilfunk-Nummer zum Beispiel, da tritt ein Internet-Freak auf, der nur im Slang? der Blogger redet und sein Chef, der an einer Doppelbeziehung (Frau und Kinder hier, Geliebte dort) scheitert: So gut ist das Mobiltelefon nun auch wieder nicht. Und mit der letzten Geschichte schließt sich der Kreis: Richter und Elisabeth begeben sich an deren afrikanischem Einsatzort wieder in Gefahr und Richter hat wieder mit Elisabeths (wie Rosalies) Weigerung zu tun, Figur in einer Geschichte zu werden. Am Ende klingelt das Telefon. Keiner nimmt ab. „Wie merkwürdig, dass man jetzt fast jeden Menschen überall erreichen kann, ohne zu wissen, wo er ist.“ Fast jeden!

Kleine Leute kriegen halt nur fünf Minuten Ruhm

Kehlmann versteht sich auf den Wechsel von Tonarten? und Erzählklimata, mal begnügt er sich mit genau gesetzten Beschreibungen? seiner Figuren, mal gibt er sich als Psychologe, mal schreibt er eine Parodie, mal appelliert er an die Bildung seiner Leser und spielt gleich zweimal auf den Unterwelts-Schiffer Charon an (einen Autoknacker mit wohlfeilen Weisheiten), mal wird er mitleidlos ironisch?, mal macht er sprachliche Kunststücke, mal ist er gemein, mal empfindsam. Er behandelt seinen Leo Richter ausnehmend mies, aber er lässt ihn am Leben. Er lässt (wahrscheinlich!) alle weiterleben, vernichtet bloß Existenzen, je durchschnittlicher sie erfunden sind, desto gemeiner. Kleine Leute kriegen halt nur fünf Minuten Ruhm.

Die neun Geschichten sind Virtuosen-Etüden, bodenlos und verlockend leichtsinnig. Man will schließlich hinter ihr Geheimnis kommen, alles noch einmal lesen, weil man denkt: Da muss noch etwas sein. Da ist aber nichts, außer einer schlackenlosen Prosa - nur bei den Liebesszenen schwitzt der Autor manchmal ein bisschen (nicht sehr) - und außer einer stupenden Intelligenz, die die Figuren als Scherenschnitte so behänd zu schnippeln weiß, dass man den Fingern kaum folgen kann.

Ob das wirklich etwas mit Theologie zu tun hat (einer negativen, versteht sich), wie ein Rezensent meinte, mag dahingestellt bleiben. Weil ja alles dahingestellt bleibt. Wörtlich so: Kehlmann stellt seine neun Geschichten hin. Punktum. Sollen doch die Leser Metaphern erkennen, schwankende Identitäten untersuchen, Allegorien finden, Tiefsinn schürfen. Er ist nicht Blanco, nicht Richter, vielmehr ein Seiltänzer der Literatur, der allenfalls beinah vom Hochseil abstürzt. Manchmal sehnt man sich nach Gauß und Humboldt?, weil Mathematik und Kosmos reeller sind als Mobiltelefone. Es dürfte ihn kaum scheren. Er ist schon weiter. So etwas nennt man im Jargon: Postmoderne.

Originalbeitrag unter Die Berliner Literaturkritik

Literaturangaben

  • Kehlmann, Daniel: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten. Rowohlt Verlag, Hamburg 2009. 203 S., 18,90 €, ISBN: 978-3498035433
  • Kehlmann, Daniel: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten. Gelesen von Ulrich Matthes und Nina Hoss. CD. Universal Music, Berlin 2009, 24,47 €,ISBN: 978-3829122597

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