diesen Kommentar bitte stehen lassen Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | S | Sanssouci


Bitte Krümelpfad oben nicht verändern, erst ab hier nach unten Texte ändern

Sanssouci

von<br> Andreas Maier

Nachdem Andreas Maier nach der kleinen Provinzposse um eine neu ausgeschriebene Stelle eines Stadtschreibers von Potsdam das schon zugesagte Stipendium zurückgab, ist sein neuer Roman „Sanssouci“ nun der ostdeutschen Landeshauptstadt gewidmet. In dem Skandälchen hatten die Medien gemeldet, die Kulturbeigeordnete der Stadt hätte gesagt, der westdeutsche Autor habe sich aus Geschmacksgründen geweigert, in die ihm angebotene Plattenbauwohnung einzuziehen, was dieser wiederum bestritt. Man sieht: Andreas Maier begibt sich im Entfachen von öffentlichem Aufsehen in die Fußspuren seines größten literarischen Vorbildes, Thomas Bernhard.

Der „große Stammtisch“, wie die Medien in seinem neuen Roman „Sanssouci“ genannt werden, und die Diskrepanz von Sprache und Wirklichkeit sind die großen Themen in Maiers Buch, das sich der Ökonomie der Sprache widmet. Dass nämlich „viel Unglück und Falschheit in die Welt kommt durch die Unmäßigkeit im Reden“, ist eine seiner Thesen. Nicht, dass dieses Thema seine letzten Bücher nicht auch schon beherrscht hätte. Es zieht sich beharrlich durch alle seine Romane und findet hier nun eine weitere Variation. War der Autor in seinem letzten Roman „Kirillow“ jedoch noch der Gefahr der Unmäßigkeit des Niederschreibens referenzloser Rede, der feindlichen Übernahme der Form durch den Inhalt, erlegen, gelingt ihm hier eine beeindruckende Balance, die Maier – nach seinem Debüt? als Bernhard-Epigone mit „Wäldchestag“ – nun als eigenständigen Sprachkünstler in den Vordergrund treten lässt.

Bettler, Säufer und Obdachlose

Wie zuvor probiert sich der hessische Autor am Genre des Kriminalromans, und er vermag es ganz vorzüglich, um das gängige Dreieck aus Opfer-Täter-Aufklärer ein dostojewskisches Figuren- und Sprachdickicht aufzubauen, das den Leser bis zum Ende im Bann der Unklarheit hält. Nur das Opfer scheint von Anfang an festzustehen. Man kann sich fragen, ob sich der Autor in dem ebenfalls hessischen Regisseur Maximilian Hornung, der in seiner Wahlheimat Potsdam, wo er eine umstrittene Fernsehserie namens Oststadt produzierte, tödlich verunglückt, eine Spiegelfigur gesetzt hat.

Der Roman setzt mit Hornungs Beerdigung in Frankfurt am Main ein und verfolgt dann einige Personen aus der illustren Besucherschar zurück nach Potsdam: Da ist der russlanddeutsche Mönchsnovize Alexej, der an der orthodoxen Kirche in Potsdam eine vorübergehende Stelle angeboten bekommt. Da sind die beiden verwahrlosten Zwillinge und möglichen Kinder Hornungs Heike und Arnold. Da ist Merle Johansson, die radikale Vegetarierin und Ex-Frau Hornungs, die ausgefallenen Sexpraktiken nachgeht. Diverse andere Personen tauchen rund um Hornungs Haus in Potsdam auf. Sie bewegen sich vor dem neu eröffneten Kaufhaus, im Park, auf einer Demonstration, in Cafés, im Rathaus und in den unterirdischen Räumen, die den Park Sanssouci durchziehen, und reden. Zufällig treffen sie sich, verlieren sich und versuchen sich zu orientieren in dem merkwürdigen Menschen- und Wissensgeflecht, das sie umgibt und in dem „überhaupt alles so eigenartig miteinander verwoben war“. Es wird angedeutet, dass Heike und Arnold sexuell missbraucht wurden, dass der Tod Hornungs kein Unfall war und dass er gerächt werden soll. Wie am Anfang steht auch am Ende ein Tod, der jedoch mit all dem nichts zu tun hat, oder vielleicht doch?

Treffender ist „Sanssouci“ wohl nicht zusammenzufassen, denn es gibt für Andreas Maier keine Wahrheit, die mit Sprache zu formulieren wäre. Der Schutzumschlag? zitiert den schönsten Satz aus dem Buch: „Beharren wir nicht zu sehr darauf, nicht zu sein, wie wir geschildert werden, sonst laufen wir Gefahr, genau zu sein, wie wir nicht sein wollen.“ Was dem Autor also bleibt, ist die Vogelsprache der „Bettler, Säufer und Obdachlosen“, die schon lange nichts Rationales mehr ausdrücken können oder wollen: „Ich sage euch, alles ist das Gegenteil. Glaubt keinem ein Wort, glaubt immer genau das Gegenteil! Glaubt immer genau das Gegenteil von dem, was die Leute sagen, dann seid ihr immer im Besitz der Wahrheit etcetera.“ Maiers „Sanssouci“ ist ein einziges großes Etcetera, das seine Sprachskepsis in die Form eines Kriminalromans presst.

Maier at his best

Maiers Protagonisten haben längst vor dem Empire, der globalen gefräßigen Nutzenmaximierungsmaschine, kapituliert. Sie rauchen, trinken, philosophieren und haben keine Arbeit. Sie sind nicht freundlich, denn sie durchschauen Freundlichkeit als kapitalistische Geste. Dabei trägt diese ostdeutsche Multitude durchaus biblische Züge, wie auch am treffenden Motto aus der Apostelgeschichte zu erkennen ist: Arnold, der aus der bürgerlichen Welt früh Herausgefallene, der auf der großen Welle der postmaterialistischen Gesellschaft surft, wirft in einer Jesus-ähnlichen Geste seine Sandale weg. Mit Heike, seiner Zwillingsschwester, repräsentiert er für den Erzähler in einem gewagten Vergleich „Adam und Eva vor dem Sündenfall“, vorbegriffliche Wesen. Alexej, der Orthodoxe, nennt sie seine beiden „Mysterien“ und entwirft Russland als Idee: das große Obskure, das der europäischen Aufklärung entgegengesetzt ist. Immigranten, mit denen, teils verrückt, teils einfach „Esel“, „kein Staat zu machen ist“, ergänzen die Gruppe. Ihnen entgegengesetzt sind die guten Bürger der Stadt, die, um als Ganzes funktionieren zu können, sich im geheimen Gängesystem unter dem Park Sanssouci sadistisch betätigen, die Magistratsratsvorsitzenden, Fernsehredakteure und Ökofanatiker.

All das ist in einer einzigartigen, faszinierenden Sprache verfasst, die nicht durch die Schönheit oder Dichte ihrer Bilder besticht, sondern durch ihren Rhythmus und die Atmosphäre, die sie zu schaffen vermag.

Maier ist ein Epiker?, der die Vagheit und Abgründigkeit der Dinge, die Fragwürdigkeit der Begriffe und unserer Denk- und Verhaltensweisen in eine Sprache zu überführen weiß, die gleißend, verführerisch, kaleidoskopisch fünf Zentimeter über der Erde schwebend uns zu zeigen versucht, wie alles leuchtet, wenn die Gegensätze in eins fallen. „Sanssouci“ ist auch geglückt trotz der so provinziellen Einmischung der Potsdamer Kulturpolitik. Maier at his best.

Originalbeitrag unter Die Berliner Literaturkritik

Literaturangaben

  • Maier, Andreas: Sanssouci. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 303 S., 19,80 €, ISBN: 978-3518420300

Bitte Krümelpfad unten nicht verändern


Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | S | Sanssouci

Daten hochladen
Buecher-Wiki Verlinken
FacebookTwitThis
Pin ItMister Wong
RSS-Feed RDF-Feed ATOM-Feed

schliessen