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Schöner unsere Paläste. Berlin-Fotografien 1978-1998

von<br> Gerd Danigel

Was für ein wundersamer Fotoband?! Wer Gerd Danigels? „Schöner unsere Paläste!“ zur Hand nimmt, merkt schon nach wenigen Augenblicken: Die Geschichte, das Vergangene kann sehr nah und sehr fern zugleich sein. Zwar stammen Danigels? „Berlin-Fotografien 1978-1998“ aus äußerlich bewegten Jahren, doch muten die meisten seiner Bilder an wie die in sich gekehrten Zeugnisse einer längst vergangenen, im Atem der Geschichte gründlich verblassten Zeit.

* lehmstedt-verlag_gerd_danigel-2011-u-bahnhof-dimitroffstraße.jpg Δ

Der Berliner Osten, mit unermüdlicher Leidenschaft und schwer nachzuempfindender Zärtlichkeit spürt Danigel? der herben Melancholie seiner Heimatstadt nach. Der Berliner Osten, mit seinen Bahnhöfen, Gaststätten, Fabriken, Plätzen, Büros, Hinterhöfen, Straßenzügen treibt er dem Fotografen immer wieder neue, auf einer tieferen Ebene aber auch immer wieder verschwisterte Motive vor die Kamera. Und am Ende, was hat Danigel? schließlich im Kasten? Verschleierte Alltagspoesie, realsozialistische Morbidezza, die beim Betrachter viel Freiraum lässt für Assoziationen, Erinnerungen, Vor- und Nachurteile.

Es war einmal eine Stadt, eine halbe Stadt … aber wie lange mag das her sein? Zum Beispiel gleich das erste Foto, einfach überwältigend: Ein alter Mann, schwarzes Brillengestell, verbeulter Mantel, widerspenstige Hosenbeine, die breiten Schuhe sonderbar nach außen gekehrt – vielleicht geht er, vielleicht steht er, der Mann, und um ihn herum: Steintreppen, Stahlkonstruktionen, die lange, sehr lange und tunnelartige Flucht des U-Bahnhofs Dimitroffstraße (heute Eberswalderstraße), am Bildrand Hausfassaden hoch und grau, der Wind hat spärliche Schneereste über das Kopfsteinpflaster geweht. Doch der Clou kommt erst noch: keine Menschenseele weit und breit, nur der zerknautschte Brillenmann – zwischen zwei Mülleimern, mitten in Berlin. Mehr Einsamkeit, mehr fotografische Dramaturgie? ist wohl kaum vorstellbar. Wer dieses Foto aus dem Jahr 1989 gesehen hat, braucht die Stücke Samuel Becketts? wirklich nicht mehr zu lesen.

Und so geht es weiter durch den Band?, immer Alltag, immer Poesie, Efeu und Scherben, Schienen und Ruinen, und plötzlich taucht eine prosaische Plastiktüte aus dem Westen auf, die an der Hand einer Frau in schwarzem Jackett über die Prenzlauer Allee zuckelt. Fantastische Momentaufnahmen! Und so geht es weiter durch den Band, an skurrilen Schaufensterdekorationen vorbei, in denen der Sozialismus sich selbst veralbert, an Münztelefonen, die aussehen wie futuristische Särge, bis man schließlich am Ostbahnhof steht und im Mitropa-Speisewagen der Deutschen Reichsbahn die Stadt verlässt. Es folgen einige Bilder aus Dresden, Zingst, Ahlbeck, und ein Junge steht Kopf in einer Schaukel in Neustrelitz, Rummelplatz, wenige Jahre vor der Wende.

Mai-Demonstration 1996 - (c) Lehmstedt Verlag, Gerd Danigel 2011

Nach der Wende scheint Danigel? von seinen Motiven, von den Objekten seiner Leidenschaft auf sonderbare Weise verlassen worden zu sein. Der Band? endet mit einem Foto von der Mai-Demonstration 1996: Polizist in Kampfmontur verfolgt Mann mit herabgezogenen Mundwinkeln. Nur das zur Faust geballte Nahkampf-Gesicht des Beamten ist deutlich zu erkennen, alles andere, Straße, Bäume, Kopfsteinpflaster, Fassaden, Hauseingänge – Danigels vertraute, ureigene Motive – sind verwischt und unscharf.

Autor: Daniel Möglich

Literaturangaben

  • Danigel, Gerd: Schöner unsere Paläste! Berlin-Fotografien 1978-1998. Herausgegeben von Mathias Bertram. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2011, 159 Seiten, 24,90 Euro, ISBN: 978-3942473088

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