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Serge Gainsbourg

von<br> Tony Frank

Von „Ginette“, wie man Serge Gainsbourg in seiner Schulzeit nannte, weil er so schüchtern und mädchenhaft wirkte, findet man in diesem Bildband? keine Spur. Die Schwarzweißfotos zeigen einen selbstbewussten Mann in lässiger Pose, der mit filterlosen Gitanes im Mundwinkel fast chauvinistisch wirkt. Erst recht, wenn man neben ihm eine spärlich bekleidete Schönheit sieht. Mit den erotischsten Frauen jener Jahre hatte er zu tun: geschäftlich oder privat. Man kennt die kurze Liaison mit Brigitte Bardot und die Amour fou zwischen ihm und Jane Birkin. Bewusstseinserweiternde Substanzen, der Hang zum Alkohol sowie sein früher Tod machten Serge Gainsbourg zum Mythos. Dabei sind all diese Dinge zu vordergründig, als dass sie zur Stilisierung des größten französischen Singer-Songwriters? des letzten Jahrhunderts genügten.

Eine fotografische Annährung, ein Blick auf und von Serge Gainsbourg kompensieren dieses Defizit. Die Bilder tragen zwar einen Großteil zur Mystifizierung bei, beleuchten aber den Menschen Gainsbourg genauer als jede wortreiche Biografie. Der Bildband bezeugt eine ungeheuerliche Selbstinszenierung: Serge Gainsbourg kokettiert mit seinem Image, er setzt sich und sein Umfeld unaufhörlich in Szene. Die eigentümliche Mischung aus Wahrheit und Gerücht, aus Sagenhaftem und Tatsächlichem hat den „Mythos Gainsbourg“ begründet. Tony Frank bietet in seinem Bildband die Gelegenheit, dem „Blick eines desillusionierten Dandys“ zu folgen und sich diesem Mythos rein visuell anzunähern, obwohl er sich dabei auf die Jahre von 1962 bis 1991 beschränkt.

Lucien Ginsburg wurde am 2. April 1928 als Sohn russisch-jüdischer Eltern geboren. Diese waren lange vor seiner Geburt aus Russland geflohen und hatten sich in Paris ein neues Leben aufgebaut. Diese neue Existenz wurde vom Nationalsozialismus bedroht: Lucien musste gemeinsam mit seinen Eltern fliehen. Es blieb ihm nicht erspart, den Judenstern tragen zu müssen und sich zu verstecken. Erst Jahrzehnte später hat er diese Erfahrungen künstlerisch umgesetzt: Das Album „Rock around the bunker“ erschien 1975.

Wie sein Vater verdiente auch Lucien sein erstes Geld als Barpianist und finanzierte sich so sein Studium. Er spielte abends in Bars und Tanzlokalen, während er tagsüber Zeichen- und Malkurse sowie Architekturvorlesungen besuchte. 1947 gab er dem väterlichen Drängen nach: Er schrieb sich in der Pariser École Normale de Musique ein und studierte Musik- und Harmonielehre. Wäre er dem Rat des Vaters gefolgt, der ihm bereits im zarten Alter von vier Jahren zum Pianisten erziehen wollte, hätte er eine klassische Musikerkarriere angestrebt. Im Elternhaus hörte man Strawinsky, Bartók, Debussy und Chopin. Diese Prägung wird ihn auch später, als er längt ins „unseriöse“ Chansonmetier eingestiegen ist, nicht loslassen. So adaptierte Gainsbourg beispielsweise in dem Song „Jane B.“ die „Prélude E-Minor“ von Frédéric Chopin.

1952 hörte er sein großes Vorbild Boris Vian erstmalig live und war begeistert. Er beschloss, „weil ich ihn singen hörte, in dieser niederen Kunst mein Glück zu versuchen“. Also folgte er nicht länger dem väterlichen Rat, sondern wendete sich seiner wahren Liebe zu: dem Chanson. Zur gleichen Zeit ließ er sich von seiner Frau Elisabeth Levitsky scheiden und legte seinen bürgerlichen Namen ab. Unter dem 1957 gewählten Pseudonym Serge Gainsbourg wird er es wenige Jahre später zu Weltruhm bringen. Er textete fortan für Michèle Arnaud und Juliette Gréco. 1958 erschien seine erste Platte „Du chant à la une!“.

Noch standen seine Kompositionen für andere Künstler im Vordergrund. Songs wie „Poupée de cire, poupée de son“ und „Les sucettes“ für France Gall erzielten hohe Verkaufszahlen. Am liebsten ließ der schüchterne und publikumsscheue Gainsbourg seine Kompositionen von schönen Frauen singen, wie Valérie Lagrange, Brigitte Bardot, Régine und Marianne Faithfull.

Der erste eigene große Erfolg stellte sich mit dem dritten Album „L’eau à la bouche“ ein, womit er zugleich sein Eintrittsbillet ins Filmgeschäft löste. Unzählige weitere Soundtracks folgten, u. a. für „Anna“ mit Jean-Claude Brialy und Anna Karina oder für „Der Bulle“ mit Jean Gabin. Jetzt trat er sogar als Schauspieler neben den ganz Großen des Showgeschäfts auf. Wieder einmal erfand Gainsbourg sich neu. Und wieder einmal trennte er sich von seiner Ehefrau. Diesmal trug der Scheidungsgrund langes, blondes Haar und hörte auf den Namen Brigitte Bardot. Von ihr inspiriert entstanden die Songs „Les initials B.B.“ und „Je t’aime moi non plus“, die heute Kultstatus genießen.

In „Les initials B.B.“ beschreibt er die Vision einer Frau, während er sich in einem Pub im Herzen Londons langweilt. Diese Frau, die lediglich einen Hauch Guerlain im Haar, aber Sklavenringe an jedem Finger trägt, stellt lyrisch verschlüsselt eine Hommage an seine Geliebte, Brigitte Bardot, dar. Für sie schrieb er auch „Je t’aime moi non plus“, was sie gemeinsam aufnahmen. Doch auf Bardots Bitten hin blieb diese Version des größtenteils gestöhnten Liebeslieds bis 1968 unter Verschluss. Im Duett mit Jane Birkin avancierte der Song dann jedoch 1969 zum weltweiten Nummer-Eins-Hit.

Mit Jane Birkin war Serge Gainsbourg die längste Zeit seines Lebens liiert. Er hatte die zarte Engländerin 1968 in London während der Dreharbeiten zu dem Film „Slogan“ von Pierre Grimblat kennen gelernt. Sie war bereits als Zwanzigjährige durch eine Rolle in Michelangelo Antonionis Klassiker „Blow Up“ bekannt geworden. Fortan drehte und sang Gainsbourg mit Jane Birkin und war damit höchst erfolgreich. Songs wie „L’anamour“, „Elisa“ oder „69 année érotique“ entstanden. Gemeinsam mit Birkin erreichte Gainsbourg seinen künstlerischen Zenit. Sie waren das Glamourpaar der wilden Sechziger und zierten als Duo infernale sämtliche Hochglanzmagazine.

Im Jahr 1971 wurde ihre gemeinsame Tochter Charlotte geboren. Einige Bilder aus Tony Franks Fotoband zeigen überglückliche Eltern, die sich liebevoll um ihr Baby kümmern: Gemeinsam tragen sie ihr Töchterchen in einem Bastkorb spazieren. Serge hatte für seine Familie ein Haus inmitten von Paris gekauft. In der Rue Verneuil befindet sich noch heute ein Gainsbourg-Museum, das von Charlotte Gainsbourg betreut wird. Die intimen Familienbilder Franks zeigen die Eltern bei der Zubereitung des Fläschchens oder beim Kuscheln mit Charlotte. Man fühlt sich beim Betrachten dieser privaten Bilder wie ein Spion, der durch die heiligen Hallen eines großen Stars streift. Man sieht ein gemütliches, bücherreiches Wohnzimmer, das dem Chaos anheimfällt. Man beobachtet einen verträumten Serge, der am Glastisch in der mediterranen Küche einen guten Wein genießt.

An diese recht intimen Einblicke reihen sich Auszüge aus Fotosessions und Tourbilder. Tony Frank hat hier vor allem Aufnahmen anlässlich des zwanzigjährigen Bühnenjubiläums versammelt. Sie zeigen einen strahlenden Gainsbourg, der zusammen mit Bob Marleys Bandkollegen tourt. Jane Birkin ist deren stete Begleiterin und häufig auf den Fotos zu sehen. Doch Tony Frank widmet auch ihr allein Shootings. Einzelaufnahmen zeigen sie im aufreizenden Mini und Overkneestiefeln, als kurzhaariges Babydoll oder verträumt mit Kuscheltier.

Doch mit dem Bühnenjubiläum schien gleichzeitig der Zenit überschritten. Die Fotos von Tony Frank dokumentieren den schleichenden Verfall des Superstars: Bilder des in Zigarettenqualm gehüllten, einsamen Serge Gainsbourg bilden das Kontrastprogramm zu den Plattencovern am Beginn des Bandes. Auch die Aufnahmen von Gainsbourg und seiner letzten Frau Bambou täuschen nicht über seinen schlechten Zustand hinweg. Zwar hält er auch seinen Sohn „Lulu“ wie einst Charlotte trophäengleich übers Klavier, doch sieht man ihm die Erschöpfung an. In den siebziger Jahren hatte er bereits einen ersten Herzinfarkt, worauf er aber weder auf Alkohol noch auf Zigaretten verzichtete und auch weiterhin viel arbeitete. Am 2. März 1991 starb Serge Gainsbourg an einem zweiten Herzinfarkt in seinem Pariser Haus. Das letzte Bild im Album zeigt ihn, wie er aus seiner nur einen Spalt weit geöffneten Haustür schaut, auf der geschrieben steht: „Viva Rock and Roll“.

Literaturangaben

Frank, Tony: Serge Gainsbourg. Unter Mitarbeit von Jane Birkin, Bambou und Charlotte Gainsbourg. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2009. 160 S., 29,90 €. ISBN: 978-3896029232

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