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Stefan George. Die Entdeckung des Charisma

von<br> Thomas Karlauf

George-Biographie, Cover - (c) by Blessing Verlag

Auch die Gebrüder Stauffenberg gehörten zum inneren Zirkel des George-Kreises?. Bis heute konnte nicht eindeutig geklärt werden, was Claus von Stauffenberg unmittelbar vor seiner Hinrichtung rief. Waren es die vier Worte „Es lebe das geheiligte Deutschland“ oder das an George gemahnende „Es lebe das geheime Deutschland“? Thomas Karlauf? erwähnt erst im Nachwort, dass er selbst dem George-Kreis? angehörte, bis sich dieser 1984 endgültig auflöste. Die Frage, welcher Ausspruch wohl der authentischere gewesen sei, kann freilich auch er nicht beantworten.

Ansonsten bleiben jedoch kaum Fragen offen. Wer sich also für das Georgesche? Oeuvre interessiert, der nehme das „Jahr der Seele“ oder den „Siebenten Ring“ zur Hand und gehe in den „totgesagten park und schaue“ – oder aber er lese diese Biographie. Denn sie bietet dem Leser ein längst überfälliges Kompendium? über das Werk? des Dichters Stefan George. Lange fehlte eine Gesamtdarstellung seines Lebens und Wirkens. Nachdem lediglich unzureichende Versuche unternommen worden waren, einzelne Dekaden und Aspekte in Georges Schaffen näher auszuleuchten, gelang Thomas Karlauf mit dieser umfassenden Lebensbeschreibung der große Wurf. Er bietet: das „Faszinosum George“ zum Greifen nahe.

Urkatastrophe Erster Weltkrieg

Der Biograph versucht außerdem, die Zeit der Jahrhundertwende und somit den Wirkungskreis Georges? zu erhellen. Von Naturalismus, Realismus, Jugendstil?, Symbolismus und Expressionismus geprägt und in die Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges mündend, beinhaltete sie sämtliche Inspirationen.

Karlauf geht es eindeutig um mehr als um das bloße Nachzeichnen einer großen Künstlerbiographie. Der Untertitel verrät auch sogleich, worum es sich noch dreht: um „Die Entdeckung des Charisma“, die dem Soziologen Max Weber? zuzuschreiben ist. Und dieser hatte für seine Theorie ein Vorbild: den Dichter Stefan George?. Doch bevor Karlauf auf solche Netzwerke und intellektuellen Errungenschaften der Epoche zu sprechen kommt, führt er den Leser zurück in die Vergangenheit.

1868 wurde Stefan George? in Büdesheim am Rhein geboren. Frühzeitig wählte er den „anderen Weg“, lebte seine Exzentrik aus und erkannte bald seine wahre Berufung: das Schreiben. Bereits auf dem Internat in Darmstadt begann er Dramen zu verfassen, Übersetzungen vorzunehmen und gründete eine Schülerzeitung?. Reisen führten ihn später quer durch Europa. Er knüpfte Kontakte zu den Großen der Literaturszene? und etablierte kurz darauf selbst einen Zirkel – den George-Kreis?. Dieser bestand über mehrere Generationen hinweg und entzieht sich daher der Singularverwendung des einen Kreises.

Hugo von Hofmannsthal mit Aufdringlichkeit erdrückt

Was Karlauf über diese Zirkel zu berichten weiß, ist äußerst spannend. So enthüllen die Beziehungsgeflechte zu vielen Zeitgenossen und Literaten? einige Mythen rund um das „Rätsel“ George?. Während dieser Rainer Maria Rilke oder Thomas Mann lieber aus der Ferne beobachtete, erdrückte er andere beinahe mit Aufdringlichkeit, wie beispielsweise den jungen Hugo von Hofmannsthal?.

Schwer einzuordnen zwischen Symbolismus, Fin de Siècle? und anderen Strömungen der Moderne, erscheint George? dem Betrachter als genau das, was er sein wollte: ein Mysterium. Seine Verse, so sah er es, sprachen für ihn. Wer sie nicht verstand, war seines Intellekts und seiner Visionen nicht würdig, denn „wer höchstes lebte braucht die deutung nicht.“ So nimmt es nicht wunder, dass recht bald erste Gerüchte um George? kursierten, was er auch sehr wohl wusste und durch seine Eigentümlichkeit forcierte. Er stilisierte seine visionären Vorhaben und seinen Anspruch auf Einzigartigkeit, deshalb verbot er sich auch, auch die gesellschaftliche Skepsis, die bisweilen in Häme umschlug, zu reagieren.

Avantgarde? und Dandytum? vertragen sich per se nicht mit dem herkömmlichen Leben des Spießbürgertums. George?, der selbst aus einem streng katholischen Elternhaus stammte, wandte sich zwar nicht gegen solche Traditionen, aber er wollte sie sehr wohl nach seinem Gusto weiterentwickeln und dichtete dementsprechend.

Solche „Schnittstellen“ zwischen Exzentrikern und der „Gesellschaft“ beschreibt Karlauf anhand bewusst ausgewählter Ereignisse. Er erinnert beispielsweise an eine Faschingszene im Schwabing der Jahrhundertwende. München galt zu jener Zeit als das Mekka aller Lebemenschen und Künstler. George? erschien dort als Dante? verkleidet, während andere Georgeaner unter anderem als „Lustknaben“ erschienen. Verve und Stimmung jener Tage werden atmosphärisch wiedergegeben und verraten mehr über den Dichter Stefan George?. Das Skurrile wird zum gnadenlosen Spiegelbild des Alltäglichen und in seiner Schlüsselposition in Georges? Leben betont.

Briefwechsel zwischen Meister und Jüngern

Ebenso aufschlussreich wie derartige Anekdoten sind zahlreiche Korrespondenzen? zwischen Meister und Jüngern. Die Biographien einzelner Schüler werden zum Teil recht detailliert vorgestellt, um die Bedeutung für Georges? Wirken und den Kreis erklären zu können. Dem Verruf des George-Kreises? als Sekte wirkt Karlauf? an dieser Stelle entgegen. Er klärt über die pädagogische Intention desselben auf und lässt an geeigneter Stelle die Jünger in einigen tradierten Briefen? zu Wort kommen. Der Bann, der von Georges? Physiognomie und Versen ausging, wird so verständlich.

Dabei fällt das moralische Urteil über George? nicht immer zu seinen Gunsten aus. Was viele Einzelpublikationen über den Dichter Stefan George?, den George-Kreis? oder George? und das "Dritte Reich" bislang erörterten, fusioniert hier zum großen Ganzen. Karlauf? beschreibt keine Phasen und Abschnitte separat, sondern lässt jedes Phänomen und dessen Konsequenz gemeinsam erscheinen. So wird auch Georges? Homosexualität nicht exponiert thematisiert, sondern dort erwähnt, wo es für Georges? Vita oder Dichten Relevanz besaß. Karlauf erklärt das Mysterium George?, ohne jede Unbestimmtheit zu dechiffrieren.

Der Mythos George? lebt auch deshalb in unserer Gegenwart weiter, weil das Kapitel „George und der Nationalsozialismus“ immer wieder Anlass für wilde Spekulationen bietet. Wie ist sein letzter Band „Das Neue Reich“ zu interpretieren? Handelt sich um ein visionäres Dichteropus? oder um verheißungsvolle Propaganda? Stefan George? selbst konnte und wollte darauf nicht mehr antworten. Avancen nationalsozialistischer Größen wich er aus, bevor er im Dezember 1933 in Minusino starb.

Damals begann der Streit um sein Erbe, das zunächst sein Vertrauter Robert Boehringer? antrat. Dieser veranlasste auch das Begräbnis in der Schweiz, während andere Georgeaner eine Überführung nach Deutschland wünschten. Bis heute ist Georges? Erbe nicht recht in den Köpfen der Deutschen angekommen.

Thomas Karlaufs Biographie hat jedoch das Potenzial, dies zu ändern.

Literaturangaben

  • Karlauf, Thomas: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Blessing Verlag, München 2007. 816 S., ISBN: 978-3896671516
    Broschierte Ausgabe: Pantheon Verlag, München 2008, ISBN: 978-3570550762
  • Die Werke von Stefan George sowie weitere Bücher über ihn bei Jokers

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