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Sturm und Drang
Der Sturm und Drang war eine literarische Strömung in Deutschland in der Zeit von 1760 bis 1785. Die vorwiegend jungen Autoren rebellierten gegen den einseitigen Rationalismus der Aufklärung?, die ständische Gesellschaftsordnung und die naturfernen Lebensformen der damaligen Zeit. Die einflussreichsten Stürmer und Dränger waren Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Jakob Michael Reinhold Lenz?.
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Definition
Der Sturm und Drang (auch bezeichnet als Geniezeit und Genieperiode) war eine geistige und literarische Strömung in Deutschland, die in der Zeit von 1760 bis 1785 angesiedelt ist. Die Bezeichnung geht auf das Drama „Sturm und Drang“ (1776) von Friedrich Maximilian Klinger? zurück, das ursprünglich den Titel „Wirrwarr“ trug. Im Mittelpunkt der Bewegung standen vorwiegend junge Autoren, die gegen den einseitigen Rationalismus der Aufklärung?, die ständische Gesellschaftsordnung und die naturfernen Lebensformen der damaligen Zeit rebellierten. Der Widerspruch zum Geist der Aufklärung? wird vor allem darin sichtbar, dass der Wert des Gefühls, der Spontaneität und des Triebs höher eingeschätzt wurde als Verstand und Vernunft.
Der Sturm und Drang erstrebte die natürliche Gesellschaftsordnung für den natürlichen Menschen. Diese Revolte blieb politisch und sozial vollkommen wirkungslos, dagegen erwies sie sich als sehr bedeutend für die Literatur der späteren Epochen: Ihr Einfluss reichte von der Romantik über den Naturalismus bis hin zum Expressionismus und zu Bertolt Brecht. Die Autoren des Sturm und Drang, die vorwiegend aus bürgerlichen Familien stammten, wollten das Leben erneuern und das herrschende Menschenbild verändern. In der Lyrik, weniger in der Prosa, vor allem aber in der Dramatik? brachten die Stürmer und Dränger das neue Lebensgefühl und eine von großer Spontaneität inspirierte moderne Ästhetik zum Ausdruck.
Natur und Genie
Natur und Genie sind die zentralen Begriffe des Sturm und Drang.
- Das jugendliche Lebensgefühl vergöttlichte die Natur: Dem gebildeten Kulturmenschen wurde der Naturmensch als etwas Höheres und Reineres entgegengestellt. Viele Autoren des Sturm und Drang schwärmten vom einfachen Leben, von den ersten Menschen, den Griechen Homers, den alten Germanen und urwüchsigen Kraftgestalten. Charakteristisch sind ihre Forderungen nach mehr Individualität, mehr Selbstbewusstsein und einem gesteigerten Sinnenleben.
- Die Literatur war für den Sturm und Drang nicht mehr Mittel zu einem Zweck (z. B. Unterhaltung, Erziehung), sondern eine den ganzen Menschen erfordernde und ergreifende Offenbarung – Medium dieser Offenbarung war das Genie?. Das Genie galt als der Begnadete Gottes und zugleich als Gottes Nacheiferer. Symbol dieser schöpferischen Macht ist Prometheus?, der sich über alle Regeln hinwegsetzt. Geniale Dichtung war Erlebnisdichtung. In den Dichtungen William Shakespeares und des frühen Johann Wolfgang von Goethe sahen die Stürmer und Dränger unverfälschte und kraftvolle Genies am Werk.
Entstehung
Die Grundlagen des Sturm und Drang lieferten die Autoren der Empfindsamkeit (z. B. Göttinger Hain?), Gotthold Ephraim Lessings und Jean-Jacques Rousseaus? grundlegende Kulturkritik? an der französischen Klassik sowie Johann Gottfried Herders? neuartiger Geschichtsbegriff („Fragmente über die neuere deutsche Literatur“, 1766/1767; „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“, 1772).
Ausgehend von Herder?, war es nun möglich, die einzelnen Völker, Kulturen und Sprachen von ihrem natürlichen Ursprung her zu betrachten und daraus den Begriff einer Volksdichtung? zu entwickeln. Diese Volksdichtung? wurde als Urquelle? jeder Art von Literatur und Kunst angesehen. Von Herders? Ideen beeinflusst, schuf Johann Wolfgang von Goethe zwei Werke?, die heute als typisch für die Literatur des Sturm und Drang gelten: „Götz von Berlichingen“ (1773) und „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774; das "s" entfiel bei einer späteren Bearbeitung).
Entwicklung
Der Sturm und Drang brachte das neue Lebensgefühl in der Lyrik, weniger in der Prosa, vor allem aber in der Dramatik? zum Ausdruck.
- Prägenden Einfluss auf die Lyrik des Sturm und Drang übten die Oden? von Pindar? und Horaz? aus. Vor allem ihre freie Rhythmik? wirkte stilbildend. Einflussreich waren außerdem die ästhetischen Schriften („Gedanken über die Natur der Poesie“, 1759) von Friedrich Gottlieb Klopstock? und dessen „Oden und Elegien“ (1771). Als größter Lyriker? des Sturm und Drang gilt Johann Wolfgang von Goethe, der vor allem in seinen „Sesenheimer Liedern“ (1771) das Ideal einer schlichten, volksliedartigen Erlebnisdichtung verwirklichte. Beherrschende Themen waren Natur, Liebe und das unmittelbare Erlebnis. Neben Goethe sind Gottfried August Bürger?, Christian Friedrich Daniel? Schubart und Jakob Michael Reinhold Lenz? zu nennen. Unter dem Einfluss von Thomas Percys? „Reliquies of ancient English poetry“ (1756) wurde auch die Ballade wieder populär, da sie die Möglichkeit der Darstellung irrationaler Kräfte bot.
- Im Zentrum der Epik standen autobiographische Werke?, da sie eine reizvolle Verbindung aus Selbstbespiegelung, Kulturkritik und subjektiver Weltsicht ermöglichten. An erster Stelle ist Johann Wolfgang von Goethes Briefroman? „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) zu nennen, der vom Schicksal eines jungen leidenschaftlichen Menschen und dessen unglücklicher Liebe erzählt. Weitere bedeutende Werke? stammen aus dem geistigen Umfeld des Sturm und Drang: Johann Heinrich Jung-Stillings? „Heinrich Stillings Lebensbeschreibung. Jugend“ (1777), Karl Philipp Moritz’ „Anton Reiser“ (1785-1790) und Ulrich Bräkers? „Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg“ (1789).
- Die bei weitem wichtigste Gattung des Sturm und Drang war das Drama, mit Schwerpunkten auf Tragödie, Tragikomödie? und Farce?. Diese Genres boten den jungen, rebellierenden Autoren genug Freiraum für ihr leidenschaftliches Engagement. Angeregt von Jakob Michael Reinhold Lenz’? theoretischer Schrift „Anmerkungen übers Theater“ (1774), fanden die Stürmer und Dränger eine neuartige Ausdrucksform?: Sie ignorierten die Regeln der klassischen Tragödie, sie überwanden die drei Einheiten? zugunsten eines häufigen Ortswechsels, einer flüchtigen, oft nur durch den Helden zusammengehaltenen Handlung und eines großzügigen Umgangs mit der Zeit. Die Sprache war eine alltagsnahe Prosa mit starker Tendenz zum Affekt. Die vorherrschenden Themen waren geniale, mit gewaltigen Mächten ringende Menschen wie z. B. Prometheus? und Faust. Die bedeutendsten Dramen der Sturm und Drang sind „Götz von Berlichingen“ (1773) von Johann Wolfgang von Goethe, „Die Soldaten“ (1776) von Jakob Michael Reinhold Lenz’? und „Die Räuber“ (1781) von Friedrich Schiller.
Wirkung
Politisch und sozial blieb die Rebellion der Stürmer und Dränger vollkommen wirkungslos. Dagegen erwies sie sich als sehr bedeutend für die Literatur der späteren Epochen: Ihr Einfluss reichte von der Romantik über den Naturalismus bis zum Expressionismus und hin zu Bertolt Brecht. In der Literaturwissenschaft gilt der Sturm und Drang als Wegbereiter der Weimarer Klassik? und Anbahner der Romantik. Vor allem auf dem Gebiet der Dramentheorie? erwies sich der Sturm und Drang durch die Überwindung der drei Einheiten? als sehr folgenreich.
Literatur
- Werke des und über den Sturm und Drang bei Jokers
- Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werther. Reclam Verlag, Ditzingen 2001, ISBN: 978-3150000670
- Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater. Reclam Verlag, Ditzingen 1986, ISBN: 978-3150098158
- Schiller, Friedrich: Die Räuber. Reclam Verlag, Ditzingen 1986, ISBN: 978-3150000151
Sekundärliteratur
- Kaiser, Gerhard: Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. UTB, Stuttgart 2007, ISBN: 978-3825204846
- Karthaus, Ulrich: Sturm und Drang. Epoche - Werke - Wirkung. C.H. Beck, München 2007, ISBN: 978-3406461897
- Luserke, Matthias: Sturm und Drang. Autoren, Texte, Themen. Reclam Verlag, Ditzingen 1997, ISBN: 978-3150176023
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