diesen Kommentar bitte stehen lassen

Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | W | Wäre es schön? Es wäre schön!


Bitte Krümelpfad oben nicht verändern, erst ab hier nach unten Texte ändern

Wäre es schön? Es wäre schön!

von<br> Irina Liebmann

Ihr war es früher nicht eingefallen. Irina Liebmann, geboren 1943, wollte zunächst ihr eigenes Leben führen: Sie studierte Sinologie, war bis 1975 Redakteurin? der Zeitschrift? „Deutsche Außenpolitik“ und arbeitete danach als freie Autorin. Erst mit sechzig begann sie, über ihren Vater zu schreiben: Rudolf Herrnstadt, den begabten Journalisten, den bekanntesten Pressemann der frühen DDR, 1903 in Gleiwitz geboren, gestorben 1966 in Halle/Saale. Eine widersprüchliche, schillernde Persönlichkeit, Jude, Kommunist, ein Mensch, der sich nicht einordnen lässt in Kategorien von Gut und Böse, der nicht immer richtig handelte (was immer dieses „richtig“ bedeutet ), der eintrat für seine Überzeugungen in aller Konsequenz.

Gelungen ist Irina Liebmann die fesselnde Lebensgeschichte eines Mannes aus bürgerlichem Elternhaus, der früh die Gefahr des Faschismus erkannte, der Kommunist wurde und dort kämpfte, wo die Partei ihn einsetzte, bis sie ihn 1953 schasste, ausschloss und in die Verbannung schickte nach Merseburg. „Wäre es schön? Es wäre schön!“ entwirft in drei großen Bildern das Porträt? eines Mannes, der für seine Vision kämpfte, der „wir“ sagte anstatt „ich“ und der schließlich totgeschwiegen wurde in der DDR. Irina Liebmann spannt den Bogen weit über das 20. Jahrhundert, entstanden ist die Biografie des Rudolf Herrnstadt und das eindringliche Bild einer Epoche, ein Buch, das im Frühjahr 2008 mit dem „Preis der Leipziger Buchmesse“ in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet wurde.

Liebmann schreibt aus der Distanz

Irina Liebmann schreibt aus der Distanz, kaum Privates, Familiäres wird offenbart, nur ihre Eindrücke beim Lesen seiner Artikel? gibt sie kund, ihre Gespräche mit alten Weggefährten ihres Vaters, inzwischen 80-, 90-jährig. Sie nennt ihn Herrnstadt, nur selten Rudi, und das auch nur, wenn sie eigene Erinnerungen einflicht in die Rekonstruktion seines Lebens: Rudolf wächst auf als Sohn des jüdischen Rechtsanwaltes Ludwig Herrnstadt, Sozialdemokrat seit 1894. Drei Jahre habe er an dramatische Versuche vergeudet, so schreibt er später in einem Lebenslauf für den Nachrichtendienst der Roten Armee. 1928 wird er Journalist beim „linksdemokratischen“ „Berliner Tageblatt“ unter Theodor Wolff?; er sucht Aufnahme in die KPD, wird 1930 Agent für den sowjetischen Auslandsnachrichtendienst GRU.

Als arrivierter Korrespondent des „Berliner Tageblatt“, gut bekannt mit hochrangigen Militärs, Diplomaten und Schriftstellern, berichtet Herrnstadt zunächst aus Prag, ab 1932 aus Warschau, von hier verfolgt er den Machtantritt Hitlers, macht weiter unter der gleichgeschalteten Presse Nazideutschlands und als Mann des GRU, wird Chef ihres polnischen Netzes. Neun Jahre spielt er ein Doppelspiel, lebt mit der Schlinge um den Hals. Herrnstadt ist Jude, 1936 wird sein deutscher Pass nicht mehr verlängert, die Rückkehr nach Berlin ist unmöglich. „Bis 1933 war es Gefahr, in die er sich begab, ab 1936 war er in Lebensgefahr“, schreibt Irina Liebmann, „und es sind Menschen dabei gestorben, er aber nicht. – Am Ende seines Lebens ist das sein größtes Unglück.“

In der Presseabteilung der Komintern

Ende August 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, setzt sich Herrnstadt ab in die Sowjetunion. Er lebt in Moskau, lernt dort seine spätere Frau Valentina kennen (erst 1944 zieht er ins Hotel „Lux“, wo die kommunistischen Emigranten wohnen und aus dem tagtäglich Menschen verschwinden). Er gehört nun zur Presseabteilung der Komintern, untersteht den Befehlen der PUR, der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee, und muss, wie er es später unklar benennt, den Journalismus neu lernen. In diesen Jahren wird Herrnstadt zum Parteijournalisten, er übernimmt die Leitung der deutschen Zeitung? für die Emigranten und Kriegsgefangenen „Freies Wort“, leitet ab 1943 die Zeitungsredaktion? des in Krasnogorsk gegründeten NKFD (Nationalkomitee „Freies Deutschland“).

„So paradox es klingt. Vielleicht ist er als Journalist nie wieder so frei gewesen, so identisch mit sich selbst“, schreibt Irina Liebmann. Am 19. Juli 1943 erscheint das „Manifest“ des NKFD in der ersten Nummer der neuen Zeitschrift?: Die Deutschen an den Fronten und in der Heimat sollen Hitler stürzen, ihre Truppen kampflos an die Reichsgrenzen zurückziehen und unter Verzicht auf alle eroberten Gebiete Friedensverhandlungen einleiten. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, das weiß Herrnstadt. Schon Ende November 1943 treffen sich die „Großen Drei“, Großbritannien, die USA und die Sowjetunion, in Teheran, Anfang 1945 dann erneut in Jalta, Deutschlands Zukunft wird ohne den deutschen Widerstand beschlossen.

Kriegsende: Rückkehr nach Ost-Berlin

Mai 1945, Deutschland in der Stunde Null: Herrnstadt kehrt zurück nach Ostberlin. Die „Berliner Zeitung“ wird unter seiner Leitung die erste deutsche Zeitung? nach Hitler, „überparteilich“, populär, demokratisch soll sie sein. Sein Ziel ist die freie kommunistische Gesellschaft. Eine Utopie, eine Vision. Der reale Zwang, die Einengung, die Inhaftierungen? Weil es anders nicht geht. Weil der Kapitalismus im Westen den Krieg will. Die Antworten sind bekannt, die Geschichte auch. Nicht der sozialistische Arbeiter- und Bauernstaat entsteht 1949, sondern die DDR unter der Parteidiktatur der SED. Herrnstadt übernimmt die Leitung des „Neuen Deutschland“ (ND), des zentralen „Parteiorgans“.

„Wäre es schön? Es wäre schön!“ lautet sein Leitartikel im ND am 25. November 1951. Die Bevölkerung Berlins soll ein Zeichen setzen beim Aufbau der „deutschen Hauptstadt“, aus Trümmern und Schutt sollen in gemeinsamer Anstrengung neue Wohnhäuser entstehen in der Stalinallee. Doch die DDR ist wirtschaftlich am Ende, steckt in der schwersten Krise ihrer jungen Geschichte, es fehlen Kohle und Strom, Zucker und Brot, täglich fliehen Tausende in den Westen, andere verschwinden in den Gefangenenlagern der DDR. Der Ministerrat beschließt die Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent, eine Provokation. Am 17. Juni 1953 gehen die Arbeiter auf die Straße, sowjetische Panzer rollen über die Stalinallee. Herrnstadt kritisiert die bisherige Politik der SED. Seine Artikel werden ihm zum Verhängnis, seine Tage sind gezählt.

Die Utopie und Tragik des Rudolf Herrnstadt

„Er ist durchgeschwommen. Gegen den Strom und gegen seinen Willen hat er den Punkt erreicht, dass er rausfliegt“, schreibt Irina Liebmann. Zehn war sie damals, „als wir ins Kaputte fuhren, so war ja das Land, kaputt stand es da, und die Häuser wurden kleiner und der Himmel dunkler. Das ist jetzt keine Symbolik, sondern das war das Merseburger Chemiegebiet.“ Herrnstadt hat noch 13 Jahre zu leben, als Archivar in Merseburg und Halle. Ende 1963 beginnt er mit der Niederschrift seiner Erlebnisse in Moskau. Seine Tochter Irina wird Reportagen?, Prosa, Hörspiele und Theaterstücke schreiben, sie wird auf Distanz gehen zu ihrem Staat und 1988 übersiedeln nach West-Berlin. Sie wird lange warten, bis sie beginnt, seine Geschichte aufzuschreiben, die Geschichte von der Utopie und Tragik des Rudolf Herrnstadt.

Literaturangaben

  • Liebmann, Irina: Wäre es schön? Es wäre schön. Mein Vater Rudolf Herrnstadt. Berlin Verlag, Berlin 2008. 416 S., 19,90 €, ISBN: 978-3827005892

Bitte Krümelpfad unten nicht verändern


Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | W | Wäre es schön? Es wäre schön!

Daten hochladen
Buecher-Wiki Verlinken
FacebookTwitThis
Pin ItMister Wong
RSS-Feed RDF-Feed ATOM-Feed

schliessen