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Zitrus

von<br> Valérie Mréjen

„Wir saßen auf einer Bank bei Les Halles unter einer Art Holzpergola. Es war schön draußen. Er sagte zu mir, ich liebe dich nicht.“

Sie liebt ihn, er liebt sie nicht. Er mag vielleicht eine andere, aber am meisten sich selbst. Sie strengt sich an, versucht jeden seiner Wünsche im Voraus zu erahnen, studiert und analysiert ihn. Seine Liebe kann sie damit nicht gewinnen. Valérie Mréjen beschreibt in dem autobiografischen Prosatext „Zitrus“, im Original: L’agrume, die Beziehung einer Frau zu ihrem Exfreund Bruno. Lakonisch, witzig und selbstironisch, schafft es die Videokünstlerin und Dokumentarfilmerin spielerisch mit dem recht abgegriffenen Thema „Unerwiderte Liebe“ zu jonglieren. Das Drama eines unglücklichen Lebensalltags zeigt sich in ihren Texten nur mittels der Summe aus momentanen Eindrücken und Gefühlen. Durch die Sprache der Protagonisten, kleine abgedroschene und eher banale Sätze, die von Menschen in schwierigen Situationen unfreiwillig immer wieder verwendet werden, bildet sie aus einzelnen Szenen, ähnlich wie in ihren Filmen, eine Collage aus befremdlichen Lebenserfahrungen. Es passiert nicht viel, und doch lauert im Hintergrund eine Verzweiflung, die hier von der Icherzählerin mehr erahnt, als gespürt wird.

Klein, dunkelhaarig und kurzsichtig - alles andere als ein Traummann

Klein, dunkelhaarig und ziemlich kurzsichtig. Bruno ist nicht unbedingt ein Traummann. Er nennt sich Zitrus, weil er den Geruch von getrockneten Zitrusfrüchten liebt und sie in seiner Wohnung hortet. Und er hat, abgesehen von seiner Leidenschaft für Zitronen, noch andere, recht spezielle Angewohnheiten und Macken – ist nahezu ein zwanghafter Charakter. „Er machte aus allem ein Ritual. Die Croissanttüte öffnen, seine Augengläser reinigen, Tee ausschenken. Vor allem öffnete er Verpackungen gerne supervorsichtig. Er nahm das Seidenpapier zwischen die Fingerspitzen und zog es von der Mitte zum Rand hin auf. Er hätte dicken Karton wie eine Mohnblüte behandeln können, einzig aus Freude an der Schönheit der Bewegung“.

Diese Sensibilität Dingen gegenüber lässt er bei Menschen, vor allem bei der Icherzählerin, komplett vermissen. Er verletzt die Protagonistin immer wieder und weist sie zurück. Sie wird von ihm versetzt, weil er spontan etwas Besseres vorhat. Er kommt häufig zu spät zu Verabredungen, meist mit fadenscheinigen Erklärungen. Bruno verspricht sie anzurufen – sie wartet vergeblich. Sie möchte, dass er ihre Freunde kennen lernt – er entzieht sich. Bleibt vage, unverbindlich, nebulös und unberechenbar. Sie kann „sich nie auf etwas einstellen“. Doch mit seinem Charme wickelt er sie immer wieder ein. Er ist wie ein Kind, spielt das Leben, egoistisch und narzisstisch, ohne Rücksicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen. Lieben kann er nicht – die Liebe der anderen nimmt er hin, gibt aber nichts Wirkliches von sich preis. Dinge kann er gefahrlos bewundern und perfektioniert seinen Ästhetizismus bis ins kleinste Detail. Selbst das Ende der Affäre zur Icherzählerin nimmt er lakonisch entgegen, es berührt ihn scheinbar nicht. Sie bleibt zurück, ernstlich erstaunt darüber, dass „die Apokalypse“ ausbleibt. „Letztendlich passierte gar nichts: Das Telefon klingelte nicht mehr. Ich hatte mir den Übergang durchaus drastischer vorgestellt.“

Die Sprache der einfachen Leute

Valérie Mréjens Lieblingsthema ist die Sprache des Alltags, die der einfachen Leute. Diese durchzieht all ihre Filme und ihre viel beachteten Buchveröffentlichungen. Aneinandergereihte, sinnentleerte Floskeln, Begrenzungen, Defizite und Widersprüche dominieren. Dadurch entstehen kleine Lehrstücke über menschliche Kommunikation, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. So auch in „Zitrus“. Man ist amüsiert und entsetzt zugleich. Denkt man an Situationen des eigenen Lebens, erkennt man die Grenzen des täglichen Miteinanders. Selbst ein hoch emotionales Thema wie lieben oder nicht lieben, äußert sich in der Regel in Kleinigkeiten, in Puzzleteilen aus Sätzen und Handlungen, die erst im Gesamtbild über Glück oder Unglück entscheiden. Das Tragische am Banalen herauszuarbeiten, ist der Autorin gut gelungen und durchaus lesenswert.

Und doch vermisst man ein wenig die ganz großen Gefühle, ein bisschen Leid, Herzschmerz und die Lebendigkeit in Valérie Mréjens Prosa. Sie berührt mit ihren kurzen Sequenzen lediglich die Oberfläche der Liebesgeschichte. Deshalb wirkt der Roman auf den Leser ein wenig leblos und konstruiert und bleibt flüchtig wie ein „Schmetterlingskuss“.

Literaturangaben

Mréjen, Valérie: Zitrus. Roman. Aus dem Französischen von Doris Nobilia. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 75 S., 7,50 €, ISBN: 978-3518125236

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