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Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch

von<br> Simon Borowiak

Wissen Sie eigentlich, was in Ihrem Schädel passiert, wenn Sie sich ordentlich einen anzwitschern? Wenn Sie sich die Weizenbiere stangenweise in den Schlund schieben? Wenn Sie mal wieder mit Alex, Eros und Michi am Tisch sitzen – mit Puschkin, Ramazotti und Gorbatschow also? Wenn Sie mit einem Sektfrühstück in den Tag gleiten und mit nicht mehr ohne Schlummertrunk in die Koje fallen können? Nein? Interessiert Sie am Ende gar nicht? Hauptsache, es wirkt, gell? Gutes Argument. Dennoch sei jedem, der mit Alkoholika schnell per Du wird, der Kauf eines Sachbuchs schwer empfohlen. Es heißt wie der Stoff, aus dem die Träume vieler sind: „Alk“ von Simon Borowiak?.

Es ist „fast ein medizinisches Sachbuch“ geworden, wie es auch im Untertitel heißt, aber wirklich nur fast. Borowiak erklärt zwar bisweilen auch mit Hilfe medizinischen Vokabulars?, was der Rausch mit Kopf und Körper anstellt, illustriert selbiges mit selbst gemalten und erhellenden Skizzen, aber er vermeidet jede Form rhetorischer? Weißkittelei. Kurzum, ein aufklärendes Werk, das seinem Gegenstand angemessen überhaupt nicht trocken daher kommt.

Ultimative Alk-Fibel

Borowiak weiß, wovon er schreibt. Er ist – oder vielmehr war – selbst Problemtrinker, Quartalssäufer, bisweilen nur Gelegenheitszwitscherer. Im Zuge einer Entwöhnungstherapie las er sich durch die gängige Alkoholismus-Literatur. Und war wenig angetan. „Die Fachbücher waren mir zu fachlich, die Bücher von Betroffenen zu betroffen und die Bücher von Nicht-Betroffenen zu anmaßend. Also beschloss ich anmaßend, das ultimative Alk-Buch zu schreiben. Fachlich fundiert, aber verständlich: geschrieben von einem Betroffenen ohne Betroffenheit. Und das alles im Dienste von Aufklärung, Verständnis, Naturwissenschaft und Komik.“

Mission accomplished, Mr. Borowiak! Der Autor hat tatsächlich die ultimative Alk-Fibel? geschrieben, eine äußerst komische zumal. „Das Buch für Genusstrinker, Profi-Trinker, Ärzte, Therapeuten, Winzer, Angehörige, Minderjährige, Getränkelieferanten, Hirnforscher und Penner“, klopft er sich selbst auf die Schulter und zwar völlig zu Recht. Denn die einschlägige Literatur zerfällt ja vornehmlich in jene zwei Sparten, vor denen es Borowiak gruselt: wenig erbauliche Betroffenheitsprotokolle und Werke, die mit neuesten Erkenntnissen der suchtspezifischen Grundlagenforschung aufwarten und dabei die zu kurierende Zielgruppe mit einem drögen und dreuenden Jargon direkt in die nächste Eckkneipe peitschen.

Die Rechnung, bitte!

Borowiaks Buch ist auch eine Abrechnung mit Suchtberatern und Therapeuten, die sich auf veraltete und lebensferne Typologien oder Therapien berufen oder ihre Patienten wie den letzten Dreck behandeln. Borowiak wurde etwa von seiner Beraterin gebeten, sich auf der Jellinek-Skala einzuordnen, einem wenig differenzierten Trinker-Katalog, der gerade mal fünf Säufer-Typen kennt: den Problemtrinker, den Gelegenheitstrinker, den „klassischen“ Trinker mit Kontrollverlust, den Gewohnheits- bzw. Spiegeltrinker und schließlich den Quartalssäufer. Borowiak konnte sich selbst nirgends einordnen, seine Trinkerkarriere deckte von allem ein bisschen ab. Davon wollte seine Jellinek-gläubige Beraterin nichts hören. „Mangelnde Krankeneinsicht“, lautete ihre Diagnose.

Auch so ein heikles Ding, die Krankeneinsicht. Borowiak mag diesen Begriff nicht gerne, aus guten Gründen. „Es klingt mir zu sehr nach Pädagogik, ins Direx-Zimmer gerufen werden, Geständnis mit hängendem Kopf und Brief an die Eltern.“ Bei Therapien durfte Borowiak erleben, wie „kurzfristig entgleiste Hobby-Trinker“ so lange mit dem Schlagstock „Krankeneinsicht“ traktiert wurden, bis sie zugaben, Alkoholiker zu sein. „Was sie – wie die Zeit zeigte – gar nicht waren“. Der Autor plädiert daher für die Einführung des viel treffenderen Begriffs des ALK-Bewusstseins. „Das klingt positiv, aktiv, selbstbestimmt und nach Entwicklung. ‚Krankeneinsicht‘ dagegen: wie aufgepfropft und rausgeprügelt.“

Spritzig wie ein Weißbier

Borowiaks Buch ist hochkomisch, auch für Leute übrigens, die mit Alkohol rein gar nichts zu tun haben. Aber bei aller Leichtigkeit, mit der er vom Saufen spricht, schont er seine Leser nicht. Genüsslich führt er auf, mit welchen körperlichen Schäden der geübte Trinker rechnen muss. Etwa mit der berühmten Leberzirrhose, bei der die Zellen massenhaft absterben und Knötchen und Narben Platz machen. Das Blut kann dann nicht mehr fließen wie gewohnt, sondern staut sich (Pfortaderhochdruck). „Durch den Hochdruck wird freie Flüssigkeit (seröse Flüssigkeit, Galle) in den freien Bauchraum gepresst. Der Bauchumfang nimmt zu; das nennt man dann Aszites (Bauchwassersucht). Wenn Sie sich vor Ekel schütteln möchten, schlagen Sie bitte unter Aszites in Ihrem Pschyrembel? nach. Dort müsste sich ein OP-Foto befinden: eröffneter Bauchraum mit freiem Blick auf Gekröse in gelber Suppe. Da kann Stephen King einpacken.“

Nein, keine Angst, liebe Hobby-Schlucker, Simon Borowiak verteufelt den Teufel Alkohol nicht. Und keine Angst, liebe Abstinenzler und leidgeprüfte Betroffene, Borowiak verharmlost auch nichts. Simon Borowiaks Alk-Buch ist Erklärstück, Ratgeberbuch und Unterhaltungslektüre? in einem. Spritzig wie ein kühles Weißbier. Oder eben – je nach Trinkgewohnheit – wie eine Apfelschorle. Hoffen wir, dass Borowiak seine Ankündigung wahr macht und demnächst das ultimative Werk über die andere große Sucht der Menschheit vorlegt: „Nik“.

Literaturangaben

  • Borowiak, Simon: Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch. Eichborn, Frankfurt am Main 2006. 175 S., 14,90 €.
  • Simon Borowiak Bücher bei Jokers

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