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Die ungerührte Schrift des Jahrs. Gedichte

von<br> Esther Kinsky

Herzensangelegenheit

Johannes Fischer gewidmet

Die ungerührte Schrift des Jahrs - (c) Matthes und Seitz

Manchmal werden mir empfohlener Weise Gedichtbücher ans Herz gelegt und ich merke schon nach dem ersten Lesen, dass ich selber zu anderen sagen werde, dass mir diese Gedichte am Herzen liegen und somit zu einer Herzensangelegenheit werden. So ist es mir mit Esther Kinskys? Lyrikband „die ungerührte schrift des jahrs“ ergangen, der mir mit dem Wort sensationell empfohlen worden ist und den ich genauso empfinde. Nicht, weil er besonders experimentierfreudig daherkommt, sondern weil da eine neue, unverbrauchte Stimme auf ihre eigene, unverwechselbare Weise schreibt und spricht.

In fünf Kapitel hat die Dichterin ihr Buch klug gegliedert: Banat, Als kinder, An die Stille gelehnt, Am steinbruch, Dem pirol. In jedem der siebenundvierzig Gedichte des Bandes wird, meiner Meinung nach, ein ganzes Leben entwickelt und beschrieben, auch wenn diese Leben sich mitunter ähneln, scheint doch jedes ein ganz eigenes zu sein und sich selbst zu erzählen.

Das erste ist mit „Großer Winter“ überschrieben, „in dem/ die sprache gefror.“ Als Leser meint man die Kälte dieses Winters zu spüren und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da auch eine tiefe politische Dimension angedeutet werden soll, sozusagen als Kassiber. Die Dichterin spricht in einer wunderbar poetischen Sprache, egal ob sie einen Mann beschreibt, der ihr Haus richtet: „er nennt/ die dinge beim namen/ sonst nichts“ oder die Tanten: „die tanten/ betten sich zwischen die borstigen/ stängel der sonnenblumen/ halten einander/ tröstend/ am buckel.“

Ihre Gedichte strahlen von Schönheit und Tiefe, „in der/ mundart der dinge/ zuhaus“. Sie ist eine fantastische Beobachterin mit ganz eigenen, ungewöhnlichen Reflexionen: „ich nenne die welt/ wie ich will, mein/ abend- und morgenland und/ schweige dabei.“ Im Kapitel „Als kinder“ hat sie Gedichte gesammelt, die alle einen Blumen- oder einen Pflanzennamen tragen und die Geschichten, die sie unter den Überschriften sammelt, erfährt man, beschreiben das typisch Charakteristische der Blumen und Pflanzen, Erfahrungen und Mythos. Vom Klatschmohn heißt es: „Der Klatschmohn, das grelle/ leisekraut am rand/ aller wege,/ flüchtigstes rot.“ Und vom Holunder: „Schlaf nicht, hieß es,/ schlaf nicht/ unterm holunder,/ sonst/ träumst du den tod.“ Und vom Rittersporn weiß die Dichterin: „An dieser blume,/ mögen sie eines tags/ meinen,/ lernen wir leben.“

Leise spricht die Dichterin, aber eindringlich: „Der abend fiel, jeder laut/ stand allein/ für sich.“ Sie erzählt wie alle Dichter von Liebe, Schmerz und Tod? „Im schulterblatt der erinnerung/ eines gewichts, das/ zu boden zog.“ Oder: „Der finger lief taub/ an der narbe entlang/ zwischen himmel und erde. Ihre Formulierungen sind nicht nur originell, sie bleiben im Gedächtnis und schreiben sich in Herz und Seele: „Du schönes/ heimatland! sei gut/ zu dem, der sich/ verirrt.“ Heimat?, dieses Thema, denke ich, ist ein großes Thema der Dichterin, nicht im Sinn von nationalistischem Gedankengut, sondern im Sinn von Verortung und Zuhause sein, eigentlich selbstverständlich für jemand wie sie, die an und in vielen Orten Europas schon gewohnt hat. Es hat einen ganz persönlichen und eigenwilligen Klang, wenn sie schreibt: Verwachsen/ war alles:/ die stummgestutzten weiden/ mit dem nebel,/ die krähen mit der letzten/ faustvoll winterlicht./ die hand der mutter/ mit dem leisen ruf,/ die stirn des vaters/ mit dem schnee.

Natürlich ist Sehnsucht dabei, wenn man Heimat möchte, auch dann, wenn der Tod anwesend ist. Unnachahmlich liest? sich das bei Esther Kinsky: „Die augen/ schließen und wieder/ dort sein,/ wo mich die hand/ des sommers verließ/ der vater starb. …kein/ engel, der gegenwärtig war/ nicht einmal/ ein schmetterling/ auf seiner wimper.“ Die Dichterin ist nicht nur ein großes Talent. So wie sie mit Sprache umgeht und vor allem in der Natur die Welt und die menschliche Existenz findet in allen Fragestellungen und Beantwortungen darf ich sie zweifellos eine Enkelin Peter Huchels? nennen, dessen Gedichte mir ebenso wie nun die ihren am Herzen liegen.

Autor: Michael Starcke

Literaturangaben

  • Kinsky, Esther: Die ungerührte Schrift des Jahrs. Gedichte. Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2010, ISBN: 978-3882215359, geb., 72 S., 14,80 EUR

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