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Ehrensachen

von<br> Louis Begley

Mit seinem autobiographischen Erstling „Lügen in Zeiten des Krieges?“ kam Louis Begley, der als jüdisches Kind den Nazi-Terror im besetzten Polen überlebte, 1991 zu spätem literarischem Ruhm. Rund fünfzehn Jahre und sieben Romane später – von denen insbesondere der mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmteSchmidt?“ ein großer Erfolg wurde – erscheint mit „Ehrensachen“ im Suhrkamp Verlag das jüngste Werk Begleys, das ebenfalls autobiographisch gefärbt ist, von den Probleme einer jüdischen Identitätsfindung erzählt und darüber hinaus das Bild einer jahrzehntelangen Freundschaft entwirft.

Keine Vorzeigestudenten

Harvard, Anfang der fünfziger Jahre: Der Zufall oder das Schicksal führt die Erstsemestler Sam Standish, den Erzähler der Geschichte, Archibald P. Palmer III., der sich Archie nennen lässt, und Henry White, Sohn einer aus Polen immigrierten, jüdischen Familie, als Zimmergenossen eines Wohnheimappartements zusammen. Sie befreunden sich rasch, womöglich weil keiner von ihnen dem Idealbild eines standesbewussten, elitären Harvard-Vorzeigestudenten entspricht: Sie haben nicht die wichtigen Internate besucht und kommen eher aus einfachen Verhältnissen. Auch Archie, der seinem klangvollen Namen zum Trotz doch nur der Sohn eines Army-Offiziers ist. Sam ist der Adoptivsohn zweier desillusionierter Alkoholiker, die von der einflussreichen High Society-Verwandtschaft verstoßen wurden, während Henry, ein hochbegabter, innerlich zerrissener Stipendiat, unter der gluckenhaften Dominanz seiner kontrollsüchtigen Mutter leidet, die ihren einzigen Sohn mit ständigen Telefonanrufen im Wohnheim traktiert. Dem latenten gesellschaftlichen Antisemitismus, der sich eher subtil äußert, begegnet Henry mit einem entschlossenen Prinzip, wie er Sam anvertraut: „Wenn jemand mich fragt, muss ich sagen, dass ich Jude bin – es sei denn, diese Wahrheit bringt mich in ein Konzentrationslager oder kostet mich das Leben. Das bin ich mir schuldig, sonderbar für einen wie mich, der nicht glaubt, dass er irgendwem irgendwas schuldet. Aber es ist eine Ehrensache für mich.“

Éducation sentimentale - Lehrjahre des Gefühls

Sam und Archie unterstützen Henry dabei, sich im akademischen Umfeld nicht mehr als Außenseiter zu fühlen. Sie nehmen ihn mit zu den Partys, machen ihn mit ihren Freunden bekannt und helfen ihm, die von seiner Mutter ausgesuchte, altmodische Kleidung gegen einen zeitgemäßeren Stil einzutauschen. Henry nimmt die freundschaftliche Erziehung in sozialem Umgang und Mode gerne hin, zumal ihm eine andere Erziehung bevorsteht, und zwar eine Éducation sentimentale. Henry hat sich in Margot verliebt, eine hübsche, aber komplexe Persönlichkeit aus bestem New Yorker Elternhaus. Währenddessen verliert sich Archie, der mit aller Macht den Aufstieg in die angesagten Studentenclubs schaffen möchte, in ausschweifende Partys und wird, unter den kritischen Augen Sams, zu einem heimlichen Alkoholiker. Sam wiederum gelingt der soziale Aufstieg fast ohne eigenes Zutun, als er sich mit seinem Cousin George anfreundet, einem Sprössling des einflussreichen Arms der Standish-Familie.

Die College-Jahre in Harvard nehmen zwar den Großteil der Erzählung ein, der große Rahmen, den Louis Begley spannt, reicht jedoch noch einige Jahrzehnte weiter, in denen vor allem die Beziehung zwischen dem Erzähler Sam und Henry sowie dessen wechselvolle, eher tragische Beziehung zur angebeteten Margot im Zentrum stehen. Während Archie nach einem Autounfall aus dem Leben und aus der Geschichte entschwindet, kommen die verbleibenden Freunde zu beruflichem Erfolg. Sam macht sich als Schriftsteller einen Namen, und Henry hat, ganz Alter Ego? des Autors, großen Erfolg als Anwalt und Wirtschaftsberater. Nach einem beruflichen Zwischenfall wirdt die jahrzehntelange Freundschaft jedoch plötzlich auf eine schwere Probe gestellt.

Konformitätsdruck

Louis Begley betätigt sich in seinem neuen Roman als Chronist? einer wechselvollen Freundschaft und vor allem als kühler Beobachter der gesellschaftlichen Oberschicht, in der eine penible Etikette, unterschwellige Machtspiele und ein strikter Konformitätsdruck vorherrschen. Um dazu zu gehören, verdeutlicht Begley, muss man sich ein Stück weit selbst verraten – ein hoher Preis, den nicht jeder zu zahlen bereit ist. In dieser Hinsicht ist „Ehrensache“ natürlich ein sehr moralischer Roman, der nicht nur in der Beschreibung seines sozialen Sujets? den Gesellschaftsromanen eines Henry James? ähnelt. Louis Begley gelingt eine ebenso klare, analytische und äußerst elegante Prosa wie seinem englischen Schriftstellerkollegen (der ebenfalls Jura in Harvard studierte, etwa neunzig Jahre vor Begley). Die wichtigste Qualität, die beide Autoren verbindet, ist ihr psychologisches Einfühlungsvermögen, mit dessen Hilfe sie über die individuelle mentale Konstitution der einzelnen Figuren hinaus ein psychologisches Gesellschaftsbild entwerfen.

Ein großer Roman

Ähnlich wie auch schon in „Schmidt?“, Begleys Beststeller? aus den 1990er Jahren, erlangt der Leser, hier über die Figur Henry Whites, zudem einen detaillierten Einblick in die komplexen Transaktionen des juristischen Tagesgeschäfts, eine bisweilen ausschweifende Fachsimpelei, die vielleicht manches Mal zu weit führt und einige Geduld erfordert. Abgesehen davon ist Louis Begley zweifellos ein großer Roman gelungen, der mit seinen besten Werken auf einer Stufe steht.

Literaturangaben:

  • Begley, Louis: Ehrensachen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 445 S., 19,80 €, ISBN: 978-3518418703

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