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Flieh mit dem Löwen

von<br> Benito Wogatzki

Irgendwas Großes - so ist das bei Löwen - wird sich ergeben ...

Flieh mit dem Löwen, Buchcover - (c) Verlag Das Neue Berlin

Benito Wogatzkis Roman "Flieh mit dem Löwen" ist in der Art eines Thrillers verfasst. Bei diesem Genre stellt niemand die Frage: Who don'it? - die Täter werden schnell bekannt. Wir sind lediglich gespannt, wie der Kampf zwischen den „Gegnern“ ausgeht. Man könnte auch sagen, der bekannte Fernsehdramatiker und Prosaist Wogatzki bedient sich – erstmalig in der Prosa – makaberer Mittel, um seelische Erschütterung im Wust dieser Zeit sichtbar zu machen.

Und das macht er so: In der großen Stadt Babelin treten seit einiger Zeit Schlingenmorde auf, mit einer heimtückischen Plastikschlinge, mit der man große Säcke verschließen, aber auch Rohre und Kabel bündeln kann. Das Komische daran: Es sind die großen Kriminellen der Stadt, die auf diese Weise zu Tode kommen - die Zigarettenmafia, Bankräuber, Erpresser, Kinderschänder. Nicht lange, und wir vermuten, dass den Schlingenmörder jemand steuert. Womöglich wichtige Amtsträger der Stadt und die Verantwortlichen großer Unternehmen?!

Das Schöne am Thriller ist ja, dass der Leser mehr weiß, als – sagen wir – der Hauptkommissar. In unserem Falle heißt der Bendix, und wir verfolgen seine verzweifelten Ermittlungen bis zum verstörenden Schluss. Ein Hase-Igel-Spiel: Immer wenn Bendix eintrifft oder gar mit der schwerbewaffneten Einsatztruppe einen „Täter“ umstellt hat, waren Killer oder Auftraggeber „schon hier“. Der „Hase" Bendix im aussichtslosen Hin-und-Her. Wie im wirklichen Leben, möchte man sagen – nur eben zugespitzter. Ein Erwürgter hält noch die verzurrte Schlinge, mit der er selber einen erwürgt hat. Ist das jetzt der Trend?

Kriminalhauptkommissar Bendix ist ein nicht zu ehrgeiziger, ein eher gelassener Beamter mit etwas skurrilen Zügen jenseits des Mainstream. Er gerät in das bizarre Spiel der Macht und in Zwangslagen, in denen andere die Contenance verloren hätten ... Nur dass er dabei seine große Liebe, nämlich Nele, verliert. Da finden hinreißende Liebesszenen neben makabren Todesfällen statt, der Krieg neben dem Frieden, der Todessturz des Ikarus? in der idyllischen? Landschaft, Blut und Blumen, Sarkasmus bis zum Ersticken. Kaum jemand ahnt, dass er Teil eines verbrecherischen Treibens ist. Und auch jene, die es wissen, verhalten sich wie jedermann: Sie gehen ihren banalen Interessen und kleinen Bewerbchen nach, bescheiden, unauffällig, alltäglich ... Das Verbrechen vollzieht sich „normal", ganz nebenbei - zwanglos.

Wogatzki setzt souverän die Mittel ein, die wir aus seiner Prosa bereits kennen: die einfache, volkstümliche Sprache, den flotten Witz?, die hintergründige Ironie?. Und dann die Wogatzkischen Dialoge?! Knapp und zugespitzt, spritzig und originell, verleihen sie der Handlung ihre außerordentliche Dynamik und machen darüber hinaus die Lektüre mühelos. Denn: Das lebt ja alles! Das Polizeipräsidium, die Dante-Disco, das Jugendstilhotel, das Restaurant Maibach, die Wohnung von Nele oder die einer sehr alten Pianistin, die mit ihrem Klavierspiel eine große Liebe erzeugt ...

Sein erzählerisches Talent gerät Wogatzki zum unverschämt amüsanten Werkzeug eines Anliegens: Er rechnet mit der Schlußphase der DDR ab, mit der herzlosen und wissenschaftsfeindlichen Führungstätigkeit. Dabei dient die triviale Form des Thrillers dazu, etwas so Vielschichtiges, Mehrdeutiges und Hintergründiges wie den Untergang einer ganzen Epoche dennoch zu bewältigen. Täterprofil und Tätersuche erscheinen als Gleichnisse für gesellschaftliche Zustände.

Der Polizeipräsident von Babelin: Um an der Macht zu bleiben, scheut der keine Mittel, auch den Missbrauch der Jugend nicht. Dieser Mann namens Gamke, ehemals ein Hürdenläufer, hat fast „bruchlos" weitergemacht, sprang sozusagen auch über die „Wende“ und aus der „zweiten Reihe“ nach fast ganz oben. Sein seltsames Leben gerät zur Metapher.

Und dann erleben wir das sportliche und schöne Mädchen Lena, eine berührend hilflose und rätselhafte Gestalt. Die kleine Welt der Lena, mit einem Eichelhäher, einem Rehkitz und Opa Lintow ... Wir leiden darunter, wie ihre erste große Begegnung mit einem Mann nicht funktionieren will, weil sie es für eine sportliche Aufgabe hält, weil sie die Beine, pardon, nicht auseinanderkriegt. Lustig? Nein, gleichnishaft brutal: die Unfähigkeit zu lieben.

Nun beginnt und endet der Roman damit, dass ein Schreiber, um sein Haus in Frankreich zu bezahlen, den wahrheitsgemäßen? Bericht? eines offenbar an der Welt irre Gewordenen unter seinem Namen erscheinen lässt. Der Irre ist ein gewisser Felix. Felix sagt, er sei wie der Eichelhäher, aus dessen Perspektive? wir die ergreifenden Ereignisse der überaus spannenden Handlung vorgeführt bekommen. Dieser doppelte Boden – quasi ein Roman im Roman – macht, dass wir hinter die Wirklichkeit oder hinter das, was wir dafür halten auf eine neue Weise zu schauen meinen. Dass es in diesem Roman keinen Helden, daß es in dieser Geschichte keine Sieger gibt ...

Auch der Schlingenmörder erscheint nicht als das Böse, Schlechte, für das wir Abscheu empfinden, nein: Wir sind geschüttelt von tiefem Mitleid, denn er ist selbst arm dran. Wir möchten ihm raten, den Roman-Titel zu beherzigen: Willst du raus aus dem Dschungel und dich retten - dann spring auf einen Löwen! Flieh mit ihm. Er ist gefährlich, und er ist stark. Irgendwas Großes - so ist das bei Löwen - wird sich ergeben ...

Literaturangaben

  • Wogatzki, Benito: Flieh mit dem Löwen. Roman. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2007. 461 S., 19,90 €, ISBN: 978-3360019028

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