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Hölderlin, Friedrich

Friedrich Hölderlin - (c) gemeinfrei

Johann Christian Friedrich Hölderlin (geb. am 20. März 1770 in Lauffen (Neckar); gest. am 7. Juni 1843 in Tübingen) zählt zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Er wird dem Klassizismus zugerechnet, seine Werke weisen jedoch auch frühromantische Züge auf. Bekannt wurde vor allem seine Lyrik. Doch auch sein Briefroman? "Hyperion" ist bedeutend.

1826 gaben Ludwig Uhland? und Gustav Schwab? einen Lyrikband heraus, der jedoch nicht einmal die Hälfe der Gedichte des damals 56-Jährigen enthielt. Hölderlin galt als junger romantischer Melancholiker und als bloßer Nachahmer Schillers. Mit dem 1759 geborenen Schiller und dem zehn Jahre älteren Goethe als Zeitgenossen hatte Hölderlin einen schweren Stand, da beide Dichter-Ikonen zum kulturellen Establishment der damaligen Zeit gehörten und sich abfällig über ihre jüngere Konkurrenz äußerten. Eine Renaissance erfuhr die Hölderlin-Rezeption im 20. Jahrhundert.

Die Romantik

In die unruhige Zeit der Romantik (um 1780 bis 1850) hinein wuchs Johann Christian Friedrich Hölderlin, der in seinem Werk gekonnt die Essenz griechischer Dramen? und rhythmische? Lyrik mit den damaligen Zeitströmungen verbindet. Die Romantik verstand sich als Gegenbewegung zur Aufklärung und deren Vernunftbetontheit. Die jungen Romantiker setzten auf Gefühl, Phantasie, Erleben und Sehnsucht. Das Individuum wurde entdeckt. Eine schier grenzenlose Verehrung des Ich wurde heraufbeschworen und das künstlerische Genie als Idol des romantischen Persönlichkeitskults gefeiert: Der Dichter voller Seelenqualen erhebt sich in seinen Seufzern zu Höherem. Mitglieder der romantischen Glaubensgemeinschaft verglichen den Künstler gar mit Gott.

Bereits während der Epoche des Sturm und Drang (1760 bis 1785) war dem Dichter höchste Bewunderung gezollt worden. Das Bild eines Menschen, der aus einer plötzlichen Inspiration? heraus rauschartig Prosa oder Lyrik verfasst, wurde gepflegt und Kreativität als eine Art von Hypnose betrachtet. Hölderlin entsprach jedoch nie dem Mythos des genialen Dichters, der seine Worte in inspirierten Phasen wie im Rausch auf Papier bannt. Er formulierte seine Texte mit großem Bedacht, feilte immer wieder an ihnen und unterwarf seine Verse und Strophen? strengen Regeln.

Auch die Sehnsucht nach etwas Fernem, Unerreichbaren und nach vergangenen Zeiten gehört zu den Merkmalen jener Epoche. Noch das heutige Fernweh ist ein Relikt der Romantik, deren Jünger sich nach dem Morgenland und seiner Mystik sehnten. Reiseschilderungen über das Leben der „Naturvölker“ boten Projektionsflächen für ein Bedürfnis nach Phantasien, in denen der Mensch mit der Natur noch ganz vereint und schöpferischer und glücklicher war. Doch die Romantiker sehnten sich nicht nur nach paradiesischen Zeiten zurück, sie verehrten auch die Schattenseiten des Lebens: die Nacht, das Übernatürliche, das Unheimliche und das Mythische. In diesem Sinne wird auch Hölderlin gerne als „Dunkler aus Deutschland“ tituliert.

Leben

Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar als Sohn der Pastorentochter Johanna Christina, geborene Heyn, und des Klosterpflegers Heinrich Friedrich Hölderlin geboren. Als Friedrich zwei Jahre alt war, starb der Vater. Die Witwe heiratete 1774 Johann Christoph Gok, der in Nürtingen Bürgermeister war und 1779 ebenfalls verstarb. Für den jungen Friedrich Hölderlin war eine Laufbahn als evangelischer Pfarrer vorgesehen. Zunächst besuchte er daher die Lateinschule in Nürtingen und dann die evangelischen Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn. Danach studierte er Theologie im Tübinger Stift Hegel? und Schelling? begegnete. Alle drei beeinflussten einander. Schelling (1775 bis 1854) wie Hegel (1770 bis 1831) gehörten später zu den wichtigsten Philosophen des Deutschen Idealismus?.

Im Tübinger Stift, dessen klösterliche Disziplin die Bewohner schwer belastete, wurden die Ideen der Französischen Revolution begeistert aufgenommen. Dazu hatte vorbereitend auch die Lektüre Rousseaus? beigetragen. 1788, ein knappes Jahr vor dem Sturm auf die Bastille, verfasste Hölderlin die Ode? „Männerjubel“. Die Ode im Stil Klopstocks? war zunächst auch seine dichterische Ausdrucksform, wobei er Klopstock nicht einfach nachahmte, sondern sehr eigenständig die antiken Metren in die deutsche Sprache integrierte. Noch während der Studienzeit wandte sich Hölderlin dann der Hymne? zu.

1790 legte Hölderlin sein Magisterexamen ab, 1793 sein kirchliches Konsistorialexamen. Die Theologie sagte ihm jedoch überhaupt nicht zu, er war nur seiner pietistischen Mutter zuliebe im Stift geblieben. 1793 verließ er es, um eine Stelle als Hauslehrer bei Charlotte von Kalb in Waltershausen anzunehmen. Mit der Angestellten Wilhelmine Kirms begann er ein Verhältnis und zeugte die gemeinsame Tochter Louise Agnese, um die er sich jedoch nie kümmerte.

1794 besuchte Hölderlin die Universität Jena, um dort Fichtes? Vorlesungen zu hören, und lernte neben seinem Dozenten auch Goethe und Schiller kennen. Im Mai 1794 machte Hölderlin in Jena die Bekanntschaft mit Isaac von Sinclair, mit dem ihn eine lange Freundschaft verbinden sollte. Beide bewohnten ab April 1795 ein Gartenhäuschen in Jena. Im Juni 1795 verließ er die Universitätsstadt aus unbekannten Gründen fluchtartig und kehrte nach Nürtingen zurück.

Liebe zu Susette Gontard

1796 nahm Hölderlin eine Hofmeisterstelle bei Jakob Gontard an, einem Frankfurter Bankier hugenottischer Herkunft. Dessen Frau Susette (17681802) wurde die größte Leidenschaft seines Lebens. Susette Gontard war eine sensible, faszinierende und kluge Frau, die in der Frankfurter Bourgeoisie mit all ihren gesellschaftlichen Regeln und Ritualen emotional und intellektuell völlig unterfordert war. Sie wurde zum Maßstab von Hölderlins Ästhetik. Die von ihm erdichtete Diotima in seinem Briefroman? „Hyperion“ trägt ihre Züge, und später, nach der erzwungenen Trennung, würde Susette ihm „Briefe der Diotima“ schreiben.

Diese Beziehung war ganz und gar keine rein platonische, wie es dem Klischee eines vergeistigten Dichters entsprechen würde. Casimir Ulrich Karl Böhlendorff (1771 bis 1825), ein unbekannt gebliebener Schriftsteller, Dichter und Historiker, der Hölderlin jedoch gut genug kannte, schrieb dazu, : „Eine lehrte ihn ganz was Liebe sei.“ Auch Pierre Bertaux (1907 bis 1886), der in Frankreich als einer der bedeutendsten französischen Germanisten? nach dem Zweiten Weltkrieg galt und der Hölderlin-Forschung nicht zuletzt durch seine Dissertation über Hölderlin Impulse gegeben hat, urteilt über die Liebesbeziehung: "Wer da noch an eine ,platonische' Liebe, wie man es versteht, an einen amour de tête glauben will ... dem sei es nicht verwehrt." Bertaux’ These, dass Hölderlin nicht geisteskrank sondern ein "edler Simulant" war, ist heute widerlegt, seinem Kommentar zur Liebe des schwäbischen Dichters zu Susette darf man hingegen Glauben schenken.

Gleichwohl bestimmt noch immer das tradierte Hölderlin-Bild die Vorstellung: ein zarter, beinahe anämischer Jüngling, feinnervig, feinfühlig und blass. Doch so zart, wie der Zeitgeist und die klischeehafte Vorstellung vom romantischen Dichter es wollen, war Hölderlin nicht. Er maß fast 1,80 Meter, hatte breite Schultern, und war das, was man einen schönen Mann nennt, bevor ihn die psychische Krankheit zeichnete. Er war von gewinnendem Äußeren und einnehmendem Betragen, was beides nicht ohne Eindruck auf die Frauen blieb. Der Lyriker war weder ein kränklicher, schwächlicher Mann, noch war er ein „reiner“, keuscher, gar impotenter Poet. Ein Mitstudent im Tübinger Stift erinnert sich an einen „unverkennbaren Ausdruck des Höheren in seinem ganzen Wesen“. Wie ein Apoll sei er durch das Stift geschritten, berichtete sein erster Biograph Schwab. Auch war er gut zu Fuß. Vierzig bis fünfzig Kilometer am Tag und mehr legte er per pedes auf seinen Reisen zurück.

Hölderlin selbst war von seinen Gefühlen zu Susette berauscht, als er schrieb: „Ich bin in einer neuen Welt. Ich konnte wohl sonst glauben, ich wisse, was schön und gut sey, aber seit ich's sehe, möcht' ich lachen über all' mein Wissen. Lieber Freund! es giebt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird, und dann noch sehn, wie schülerhaft all unser Denken und Verstehn vor der Natur sich gegenüber findet. Lieblichkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, und Geist und Gemüth und Gestalt ist Ein seliges Eins in diesem Wesen. Du kannst mir glauben, auf mein Wort, daß selten so etwas geahndet, und schwerlich wieder gefunden wird in dieser Welt.“

Die Hausherrin und der Hauslehrer regierten als Liebespaar gemeinsam in einer geheimen eigenen Welt, die erfüllt war mit Kunst, Erziehungsfragen, dem Erlebnis der Natur. Als im Sommer 1796 Truppen der französischen Republik bis nach Frankfurt am Main vordrangen, reiste Hölderlin mit Susette und deren Kindern über Kassel nach Bad Driburg, wo er mit ihr die vielleicht schönsten Wochen seines Lebens verbrachte. Schon im Herbst kehrte die Gesellschaft nach Frankfurt zurück.

Doch diese Liebe war zum Scheitern verurteilt. Jakob Gontard entdeckte das Verhältnis seiner Gattin mit dem Bediensteten, als den er Hölderlin betrachten musste. Andeutungen in Susettes Briefen an Hölderlin sprechen von einem „einen Auftritt mit Jakob Gontard“, was darunter genauer zu verstehen ist, bleibt fraglich. Fest steht, dass Hölderlin Ende September 1798 Frankfurt verließ und nach Homburg vor der Höhe zog. Ein Zusammenleben mit Susette Gontard kam nicht in Frage, da der Hofmeister nicht über die finanziellen Mittel verfügte, um die Geliebte zu versorgen und ihr ein standesgemäßes Leben an seiner Seite zu ermöglichen.

Hölderlin flüchtete zu seinem einstigen Studienfreund Isaac von Sinclair, der ihn als Hessen-Homburgischer Regierungschef auch finanziell unterstützte. In Homburg attestierten die Ärzte Hölderlin eine schwere Hypochondrie. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich, nachdem er im Jahr 1800 seine große Liebe Susette Gontard wiedergesehen hatte.

Psychischer Absturz

Im Januar 1801 reiste Hölderlin nach Hauptwil in der Schweiz, um im Hause des Kaufmanns Emanuel von Gonzenbach zu unterrichten. Er blieb nur drei Monate, dann wurde ihm gekündigt und er trat die Heimreise an. Anfang 1802 fand er eine neue Stelle als Hauslehrer der Kinder des Hamburger Konsuls und Weinhändlers Meyer in Bordeaux, wo er am 28. Januar 1802 eintraf. Die Strecke dorthin hatte er zu Fuß zurückgelegt. Schon ein paar Monate später wanderte er wieder zurück in die Heimat.

Am 22. Juni starb Susette Gontard an den Röteln. Hölderlin wusste von der Erkrankung, wahrscheinlich stellte sie den Grund für seinen überstürzten Aufbruch aus Bordeaux dar, wahrscheinlich wanderte er in den fraglichen Wochen von Straßburg nach Frankfurt, wo er ihren Tod miterlebte oder von ihm erfuhr. Spätestens im Juni 1802 muss ihn die Schreckensnachricht erreicht haben. Was darauf wirklich passierte, ist Gegenstand vielfältiger Spekulationen und kann im Nachhinein nicht mehr geklärt werden.

Historisch belegt ist lediglich, dass Hölderlin die Rheinbrücke bei Kehl am 7. Juni 1802 überquerte und nach dem 22. Juni in Stuttgart weilte. Er war verwahrlost, verwirrt und in einem so desolaten Zustand, dass Freunde ihn kaum wiedererkannten. Er hatte hohle, wilde Augen, war abgemagert und leichenblass, hatte lange Haare und trug einen Bart, war wie ein Bettler gekleidet und bot einen erschreckenden Anblick. Nach Berichten von Schelling war Hölderlin, der nun eine verzerrte Realitätsauffassung hatte und seine Wutausbrüche nicht mehr unterdrücken konnte, nur noch ein Schatten seiner selbst.

Hölderlin blieb in Nürtingen von 1802 bis 1804, er lebte im Haus seiner Mutter. Oft war er müde und apathisch. Sein Gesundheitszustand stabilisierte sich zwar teilweise, er hatte jedoch bereits Probleme, seine Gedanken in Worte zu fassen. So blieben viele seiner Gedichte Entwürfe. Trotz seines bedenklichen Gesundheitszustandes widmete sich Hölderlin aber einigen anspruchsvollen und ehrgeizigen Projekten. So arbeitete er an einer Übersetzung der Trauerspiele des Sophokles?, für die er auch einen Verleger suchte. Er glaubte sich – aufgrund der Trennung – mitschuldig am Tod Susettes, war melancholisch und teilnahmslos gegenüber seiner Umwelt, zugleich stürzte er sich in Arbeit, übersetzte Sophokles und Pindar?, "den ganzen Tag und die halbe Nacht". So nahm das Interesse an der Antike fanatische Formen an.

Seinem Freund und Beschützer Sinclair gelang es, ihn aus dem Haus der Mutter loszureißen. Über Stuttgart fuhren sie im Juni 1804 nach Homburg, Dort verschaffte Sinclair Hölderlin eine Stelle als Hofbibliothekar, eine Arbeit, die dieser jedoch nicht mehr bewältigen konnte, so dass Sinclair das Gehalt für den kranken Freund aus eigener Tasche zahlte – bis er im Februar 1805 verhaftet wurde. Sinclair wurde vorgeworfen, einen Anschlag auf den Kurfürsten von Württemberg geplant zu haben. Auf Antrag des Kurfürsten Friedrich II. von Württemberg wurde ein Hochverratsprozess gegen Hölderlins Gönner angestrengt, der jedoch ergebnislos verlief. Die Ermittlungen, die sich auch gegen den „württembergischen Untertanen“ Hölderlin richteten, wurden aufgrund von dessen psychischer Verfassung eingestellt. Der Homburger Arzt und Hof-Apotheker Müller berichtet in einem Gutachten vom 9. April desselben Jahres, Hölderlin sei zerrüttet, sein Wahnsinn sei in Raserei übergegangen.

Die Beziehung zu Sinclair, der mittlerweile zwar freigelassen, aber keineswegs entlastet war, verschlechterte sich zusehends. Im August 1806 schrieb er Hölderlins Mutter, sie solle ihren Sohn, für den er nicht mehr sorgen könne, „entfernen“. Am 11. September wurde Hölderlin unter Gewaltanwendung von Homburg nach Tübingen in eine Anstalt, das Authenriethische Klinikum, gebracht. Er hatte die Mutter und andere Familienmitglieder attackiert, so dass er auf einem Leiterwagen gebunden und abtransportiert werden musste. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Hölderlins Wahnsinn offiziell. Die genaue Diagnose seiner geistigen „Verrückung“ war lange Zeit äußerst umstritten. Bis heute kann eine schizophrene Erkrankung nicht ausgeschlossen werden. Wie schon erwähnt, vertrat Pierre Bertaux sogar die Auffassung, Hölderlin habe seinen Wahnsinn nur simuliert

Die letzten vier Jahrzehnte

Hölderlinturm in Tübingen - (c) Gerald Drews

Nach sieben Monaten, die er in der Klinik verbracht hatte, wurde Hölderlin, nachdem sich sein Zustand beruhigt hatte, mit der Diagnose „unheilbar krank“ in die Obhut einer Pflegefamilie gegeben. Seine Psychose verlief nun chronisch. In seinen letzten vier Lebensjahrzehnten war er nicht mehr fähig, sein Leben allein zu bewältigen. Zwischen den Schüben gab es jedoch kurze ruhige Phasen der Entspannung. Seines Zustandes schien sich er Dichter ganz bewusst zu sein. Er schrieb in seinem Gedicht „Lebenslauf“:

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog
Schön ihn nieder; das Laid beugt ihn gewaltiger;
So durchlauf ich des Lebens
Bogen und kehre, woher ich kam.

Da Hölderlin nicht gemeingefährlich war, kam er 1807 zur Pflege in den Haushalt des Tübinger Tischlermeisters Ernst Zimmer, der Hölderlins Hymnen? und insbesondere den Hyperion bewunderte. Unter dem Namen Scardanelli schrieb Hölderlin weiterhin Gedichte. Bis zu seinem Tode im Jahre 1843 sollte er in den folgenden 36 Jahren eine Turmstube oberhalb des Neckars bewohnen. Die Ärzte gaben ihm noch „höchstens drei Jahre“ zu leben. Stattdessen wurde Hölderlin 73 Jahre alt. Er starb am 7. Juni 1843.

Mündliche Überlieferungen? besagen, Zimmer habe Aufzeichnungen Hölderlins aus all diesen Jahren in großen Mengen post mortem vernichtet. Sicher ist, dass von den zahlreichen Gedichten, die in der ersten Zeit noch entstanden, die meisten verlorengingen. Etwa fünfzig aus den späteren Jahren sind überliefert. Hölderlin zog sich zurück, in eine Stille, in der er seine Liebe und seinen Schmerz bewahrte.

Literarische Arbeiten

Wegen der unterschiedlichen Entscheidungen, welche die Herausgeber? getroffen haben, existiert heute für zahlreiche Werke Hölderlins kein einheitlicher Text.

“Hyperion“ (1797/1799)

Hölderlin arbeitete lange an seinem Romanprojekt „Hyperion“, das zu seinen Hauptwerken zählt. 1797 erschien der erste Band und 1799 der zweite unter dem Titel: „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“.
„Hyperion“ ist ein lyrischer Briefroman?, der durch seinen sprachlichen Rhythmus? und emotionalen Reichtum besticht. Gegenüber dem bewegten Innenleben der Helden nimmt die äußere Handlung einen untergeordneten Rang ein.

Hyperion, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Südgriechenland aufwächst, erzählt rückblickend seinem deutschen Freund Bellarmin von seinem Leben und wichtigen Begegnungen. Da ist der weise Lehrer Adamas, der ihn in die Heroenwelt des Plutarch einführt und in das Reich der griechischen Götter der Antike. Alabanda, sein tatkräftiger Freund, weiht ihn in politische Pläne zur Befreiung Griechenlands ein. Diotima, die er in Kalaurea kennenlernt, bestärkt ihn in seinem Tatendrang, so dass er im Jahre 1770 an dem Befreiungskrieg der Griechen gegen die Türken teilnimmt. Die Brutalität der Schlachtfelder trifft ihn hart. Schwer verwundet, verliert er Alabanda, der fliehen muss, und Diotima, die stirbt. Hyperion macht sich auf nach Deutschland, wo er nicht heimisch wird. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland lebt er dort als Eremit. Die Schönheit der Landschaft und die Fülle der Natur helfen ihm, seine Einsamkeit zu vertreiben und zu sich selbst zu finden. So überwindet er die Tragik, die in seinem Alleinsein liegt.

Die Natur wird gemäß den Insignien der Romantik in den Schlussbriefen hymnisch gefeiert. Gott ist Natur. Die Zeitdimension ist aufgehoben: Vergangenheit und Zukunft verwischen, Traum und Verheißung gehen ineinander über. In der letzten Strophe des „Hyperion“, dem berühmten Schicksalslied, beschwört Friedrich Hölderlin eine pessimistische Vision menschlicher Bestimmung herauf:

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Gleich seinem Protagonisten wird Hölderlin sich aufgrund seiner Krankheit keine zehn Jahre später aus der Welt zurückziehen. Damit nimmt der Dichter seine eigene psychische Isolation vorweg, als wäre er selbst eine seiner romantischen Figuren.

Obwohl die Erfahrung von Leid eine zentrale Rolle spielt, verlieren Hölderlins Helden jedoch nie die Hoffnung. So steht im „Hyperion“ die Überwindung der Isolation des Subjektes am Ende des Romans. Das Allheilmittel liegt in der Natur. In diesem göttlichen Raum findet Hyperion, dessen politische Unternehmungen scheitern und dessen persönliches Glück durch den Tod Diotimas zerstört ist, Zuversicht und Geborgenheit.

Das antike Griechenland steht im „Hyperion“ für ein Zeitalter der Einheit von Natur und Kultur, Seele und Geist, Innen- und Außenwelt – eine untergegangene Epoche, die der Gegenwart verschlossen ist: „Zu wild, zu bang ists ringsum, und es / Trümmert und wankt ja, wohin ich blicke“ , das schreibt Hölderlin in seiner Ode „Der Zeitgeist“


An der vergangenen Größe des Griechentums misst Hölderlin das Deutschland der Dichter und Denker mit seinen Heroen Goethe und Schiller. Hölderlin übt Kritik, obwohl er Heimat und Vaterland immer wieder in seinen Gedichten würdigt. Aufgrund dieses romantischen Patriotismus wurde Hölderlins Werk in der Zeit des Nationalsozialismus zu Propagandazwecken in schlimmster Weise missbraucht.

Hölderlins Griechenlandbild unterscheidet sich von der idealisierten Vorstellung der altgriechischen Kultur, wie sie seine Zeitgenossen betrachteten. Erst im 20. Jahrhundert wurde verstanden, dass Hölderlin es war, der die griechische Kultur von den klassizistischen Regeln befreite. Für Hölderlin waren die griechischen Götter, denen Schöpfung und Zerstörung oblagen, keine abstrakten Gebilde, sondern aus Fleisch und Blut.

“Der Tod des Empedokles“ (1798/1800)

Hölderlins unvollendetes Romanprojekt „Der Tod des Empedokles“ (1798/1800) widmet sich der antiken Titelfigur des Philosophen, Arztes, Politikers, Sühnepriesters und Dichters Empedokles?, der im 5. vorchristlichen Jahrhundert auf Sizilien lebte. Als Volksführer an der Beseitigung der Oligarchie beteiligt, gab dieser die ideale Vorlage für Hölderlins Darstellung der durch Sensibilität und Sehnsucht geprägten Dichter-Problematik ab. Darin verbindet er ausgehend von der historischen Figur Elemente aus deren Philosophie mit eigenen Überlegungen aus dem Geiste des Idealismus.

Als Philosoph prägte Empedokles maßgeblich die Vier-Elemente-Lehre von Feuer, Erde, Luft und Wasser und beeinflusste damit spätere Philosophen wie Platon. Als Arzt wirkte Empedokles erfolgreich gegen die Malaria, als Politiker, Kämpfer und Führer der Demokraten gab er seiner Geburtsstadt auf Sizilien eine neue Verfassung. Als Verbannter bewanderte er schließlich Italien und ließ sich dort nieder. Als Selbstmörder setzte er nach einer in mehreren Varianten überlieferten Legende seinem Leben ein Ende, indem er sich in den Ätna stürzte.

Vor allem ist der Roman über das zunächst bewunderte und dann verschmähte antike Multitalent eine Seelenschau Hölderlinscher (Ver)Fassung. Empedokles legendären Freitod in den Flammen des Ätna betrachtet der romantische Dichter dann auch nicht als Akt der Verzweiflung, sondern als konsequent vollzogene Wiedervereinigung mit der Natur. Entsprechend der romantischen Naturmystik liegt hierin auch die Versöhnung mit dem Göttlichen. Mit seinem Tod opfert sich Empedokles, um seinem Volk die Wiedervereinigung mit dem Göttlichen zu ermöglichen.

Gezeichnet Scardanelli

Hölderlinturm in Tübingen - (c) Christiane Schlüter

Hölderlin wurde im Alter von 32 Jahren schizophren, nachdem er seine bekannten Hymnen verfasst hatte. Seine späteren Arbeiten, die durch seine psychische Erkrankung geprägt sind, sollten an sie nicht mehr heranreichen. Wie immer Hölderlins Geisteszustand in den letzten vier Jahrzehnten seines Lebens bewertet werden mag, das Wenige, das der "Mit Untertänigkeit Scardanelli" Unterzeichnende aus dieser Zeit hinterlassen hat, kann dennoch nicht aus dem Zusammenhangs seines Gesamtwerkes hinausgelöst werden. Auffallend an den überlieferten 48 Gedichten aus den frühen Jahren im Turm sind die distanzierte, völlig unpathetische? Grundstimmung und die Beschränkung auf reine Naturbeschreibung. Hinzu kommt die Tendenz, die erblickte Landschaft als Dekor zu deuten: „Des Feldes Grün ist prächtig ausgebreitet.“ So als habe jemand die Natur wie ein Blumenbouquet arrangiert: „Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret.“

Wie die meisten psychisch Kranken trauerte Hölderlin um die verlorene Zeit vor dem Ausbruch der Psychose:

Das Angenehmste dieser Welt hab’ ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! Verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!
(zitiert nach Jochen Schmidt, siehe unter Sekundärliteratur, Bd. 1 S. 428)

In den späteren Turmjahren gelangte der seelisch Leidende in eine Phase, in der er bereits fertige Werke auf besessene Weise zu überarbeiten suchte. Jetzt übersetzte er früher entstandene Texte in eine fremde Sprache und verwendete die merkwürdigsten Wörter und Wendungen. „Er nimmt eine unerhörte Radikalisierung der Sprache auf sich, und fordert furchtlos alles Herkömmliche, Konventionelle, Altbekannte heraus“, so die Einschätzung des Literaturwissenschaftlers David Constantine.

Ob Hölderlin diese Radikalisierung der Sprache willentlich vorgenommen hat, ist zu bezweifeln. Seine neuen Verse waren für seine Zeit sehr sonderbar, so war nach der Überarbeitung keine Einheit mit den alten Versen mehr gegeben. Immer mehr war Hölderlin seiner eigenen verwirrenden Sprache ausgeliefert. „Nach Bordeaux löst sich Hölderlins poetische Welt allmählich auf, und dieser Auflösungsprozeß erfasst natürlich auch die Form seiner Gedichte“, so Constantine.

Hölderlin als schillernde Figur der Romantik und als tragisch-gescheiterter Held im Turmzimmer beschäftigte Generationen von Wissenschaftlern und Gelehrten aller Couleur. Wilhelm Lange, der sich erst später Lange-Eichbaum nannte, verfasste als Leiter der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie 1908 eine Pathographie über Hölderlin. Er schreibt Hölderlin eine schwere Dementia praecox catatonica zu. Schon Hölderlins Poesie vor seinem Zusammenbruch wertete er als Indiz für die schlummernde psychiatrische Krankheit. Jedoch: Hölderlin war vor seiner Geisteskrankheit zwar Choleriker, psychotisch war er aber nicht. Pierre Bertaux stellt im Fall Hölderlin die Termini „krank“ und „gesund“ in Frage. Seine Kernthese besagt, dass jeder Mensch mit seinen Eigenarten respektiert und anerkannt werden soll, auch wenn im Falle Hölderlins Teilstörungen seiner psychischen Persönlichkeit aufzuweisen sind.

Manche Forscher machen auch – eine geradezu klassische Lösung - die ewig schuldige Mutter für den Ausbruch der psychiatrischen Krankheit verantwortlich, deren Ehrgeiz dem Sohn die Theologenlaufbahn habe aufzwingen wollen. Die meisten Hölderlin-Forscher und -Kenner gehen jedoch davon aus, dass die gescheiterte Liebe zu Susette Gontard und deren Tod der Auslöser für die „Verrückung“ des begnadeten Dichters war.

Was in den Jahren im Turmzimmer wirklich in ihm vorgegangen ist, wird man nie erfahren. Die Gelassenheit der späten Texte spricht jedoch für eine Versöhnung mit sich und der Welt, die rational nicht nachvollziehbar ist. Das Turmzimmer in Tübingen – Ziel von Touristen und Literaturpilgern - wurde zum Inbegriff des genialen wie wahnsinnigen Dichters. Ein tragischer Held, der in der Sprachkunst brillierte und an der Kunst des Lebens scheiterte.

Werke

  • Werke von Friedrich Hölderlin bei Jokers
  • Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke und Briefe. (Hrsg.): Jochen Schmidt. Frankfurt/Main 1992
  • Kunz, Gerhard (Hg.): Gedichte von Friedrich Hölderlin. Reclam-Heft. Stuttgart 1996

Sekundärliteratur

  • Constantine, David: Friedrich Hölderlin. München 1992
  • Heinrichs, Johann: Revolution aus Geist und Liebe. Hölderlins Hyperion durchgehend kommentiert. München 2007
  • Neumann, Eckhard: Künstlermythen. Eine psycho-historische Studie über Kreativität. Frankfurt/Main/ New York 1986
  • Schmidt, Jochen: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik. 1750 - 1945. Darmstadt. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Bd. 1 + Bd. 2 , 1985
  • Weinholz, Gerhard: Zur Genese des „Wahnsins“ bei Friedrich Hölderlin. Ein Erklärungsmodell aus dem Kontext seines Lebens in seiner Zeit. Essen 1990

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