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In der Kreide. Die Bücher meines Lebens

von<br> Philippe Djian

Mit "In der Kreide" beschreibt Philippe Djian seine ureigensten Leseerlebnisse und verrät dabei viel über seine Lieblingsautoren, aber noch viel mehr über sich selbst. In diesem ungewöhnlichen Buch geht es dem französischen Kultautor? um Wunden, die etwas Freundliches haben und nicht aufhören wollen zu bluten. Diese Wunden sind es zugleich, die uns daran erinnern, dass wir lebendig sind und imstande, uns von einem Gefühl erfüllen zu lassen, das uns ehrt und uns Größe verleiht.

Man merkt schnell, dass das hier sehr persönlich werden wird. Spricht sich der 1949 in Paris geborene Familienvater im Vorwort? selbst noch seine Kompetenz, sowie jegliche literarische Autorität ab, kündigt er in Folge nicht weniger als die Bücher an, die seine Arbeit beeinflusst, vor allem aber sein Leben verändert haben. Im Voraus umschließt Philippe Djian diese Bücher unter der Metapher eines "Meteoritenregens", der von seinem zwanzigsten bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr angehalten habe. Schließlich habe Literatur in dieser Zeit seines Lebens nicht nur Tränen, Schwindelgefühl, Zittern und unsagbares Glück in ihm ausgelöst, sondern ihm zudem eine direkte Verbindung zum Firmament bedeutet.

"Ein Autor ist nur dann interessant, wenn er die beste und subtilste Seite in uns hervorkehrt", stellt der Autor von "Betty Blue" für sich fest. Den Anfang seiner Aufzählung macht deswegen zu Recht Jerome David Salingers? "Der Fänger im Roggen". 15 oder 16 Jahre muss der junge Philippe bei der Lektüre alt gewesen sein. In diesem Alter erlebte er das Gefühl, eingeschlossen zu sein, zu ersticken und in einer Welt zu leben, in der sich nichts ereignete – und Salinger berichtet in seinem Roman von nichts anderem. Aber nicht von oben herab, sondern wie ein Ebenbürtiger. Zum ersten Mal machte damals der inzwischen in 18 Sprachen übersetzte Djian mit "Der Fänger im Roggen" die Erfahrung, dass sich Literatur direkt an ihn richten konnte.

Die harte Arbeit am Stil

Die wirkliche Offenbarung, so Philippe Djian, sei ihm aber nicht durch die Sicht der Dinge und der Gefühlswelt eines Jungen in seinem Alter gekommen, sondern durch Salingers Schreibweise. Bereits als jungem Noch-nicht-Schriftsteller war Djian aufgefallen, dass sie nur ihren eigenen Regeln und ihrem eigenen Ehrgeiz folgte. Es sollte die harte Arbeit am Stil sein, die ihn von Anfang an, über ein abgebrochenes Journalistikstudium hinaus und bis zum jetzigen Zeitpunkt mit Jerome David Salinger? verbinden sollte.

Auch bei Louis-Ferdinand Célines? "Tod auf Kredit", Blaise Cendrars? Gedichten, Jack Kerouacs? "Unterwegs" und Herman Melvilles? "Moby Dick" kam es dem jugendlichen Philippe Djian laut eigener Aussage mehr auf den Stil als auf den Inhalt an. Überhaupt wundert es, dass ausgerechnet dieser Autor so sehr eine Einstellung vertritt, die man gemeinhin der Zunft der Lektoren zuzuschreiben pflegt. "Man braucht nur ein paar Zeilen zu lesen, um zu wissen, ob man einen guten Schriftsteller vor sich hat", stellt Philippe Djian fest. "Von einem Satz auf den anderen muss der Funke überspringen, und der Atemfluss darf nicht mehr unterbrochen werden."

Außerdem dürfe man sich als Schriftsteller von niemandem etwas sagen lassen. "Der Entschluß, ein Foto von Céline in meinem Schlafzimmer an die Wand zu heften, bedeutete, daß ein echter Schriftsteller für mich ein Gesetzloser war, ein düsterer, aufgrund der Gegebenheiten asozialer Mensch, der nur sich selbst Rechenschaft abzulegen brauchte und ein Einzelkämpferdasein führte."

Die Entscheidung

In Henry Millers? autobiographischer Trilogie? "Sexus", "Plexus", "Nexus" las Philippe Djian von dessen Entscheidung, Schriftsteller zu sein. Diese Entscheidung hatte ihm selbst zu diesem Zeitpunkt noch gefehlt. Durch die Kraft in Henry Millers Sprache wurde dem zukünftigen Autor jedoch klar, dass er entweder nie wieder eine Zeile schreiben oder nie mehr damit aufhören würde. Zudem prägte ihn wie so viele andere offensichtlich Henry Millers Umgang mit pornographischen? Elementen. Immerhin hatte sich Sex in dessen Werk endlich als ein unerlässliches Element für das Verständnis der Welt durchgesetzt.

Auch um [Faulkner William | William Faulkner]] geht es noch, den großen "Meister des Aufbaus", der ähnlich wie Louis-Ferdinand Céline zuvor dem angehenden Autor verdeutlichte, dass niemand gut genug dazu ist, ihm einen Rat erteilen zu können. Abschließend behandelt Philippe Djian noch [Hemingway Ernest | Ernest Hemingway]], der stets mit absoluter Präzision und ohne Tricks arbeitete, wie auch Raymond Carver?, der immer einfach sparsam und trocken schrieb.

Der Druck der Abwesenden

"In der Kreide" beschreibt Wegmarken, nicht mehr und nicht weniger. Bücher, die Philippe Djian als junger Mann gelesen hat, an die er noch immer mit einer nostalgisch gefärbten Rührung denkt und denen er unendlich dankbar ist. Zwar fehlt dem aufmerksamen Djian-Leser die ausführliche Erwähnung [Fantes John? | John Fantes]] – schließlich hätte man annehmen können, der Schöpfer von Arturo Bandini hätte den Franzosen mehr als jeder andere beeinflusst – andererseits gesteht Philippe Djian dem Leser, die letzte Seite von [Joyce James | James Joyces]] ansonsten unerwähntem Werk "Ulysses" zwanzig Jahre lang gefaltet in der Brieftasche mit sich herumgetragen zu haben. Man kann nicht anders, als daraus den Schluss zu ziehen, wie sehr die behandelten zehn Autoren tatsächlich an den Grundfesten des späteren Kultautors? gerüttelt haben.

Wie schon gesagt: "In der Kreide" ist ein sehr persönlicher Text. Zwischen den Zeilen erfährt man viel über die Anschauungen, die Wut, aber auch die Ängste Philippe Djians. Nebenbei bekommt man das Anliegen dieses Autors zu spüren, der Welt ungefragt vors Gesicht zu halten, wie wichtig es für ihn war, sich von niemandem etwas raten zu lassen. Und auch die ihm selbst so oft angekreidete Pornographie rehabilitiert er, indem er sie anhand von Henry Miller als das am schwierigsten zu handhabende, aber doch beste Mittel beschreibt, ein getreues Bild unserer Gesellschaft zu schaffen.

Womöglich ist das auch der Grund für die ununterbrochene Auseinandersetzung Djians mit dem Stil, dem Stil und immer wieder dem Stil. Als bestehe gute Literatur aus nichts anderem. Anstatt die Bühne seines Buches der Präsentation seiner Lieblingsschriftsteller zu überlassen, macht es beinahe den Anschein, als wolle der wohl anspruchvollste Kriminal- und Pornographie-Schriftsteller unserer Zeit der Welt der Literatur entgegenschreien, dass nicht der Inhalt, sondern die Form eines Buches von einem guten Autor zeuge. Und wie beiläufig und trotzdem penetrant verdeutlicht er auf diese Weise, dass er wisse, was guter Stil ist, dass er ihn studiert habe und dass er mit jedem seiner Bücher daran arbeite. Dabei hätte er das gar nicht nötig gehabt.

Literaturangaben

  • DJIAN, PHILIPPE: In der Kreide. Die Bücher meines Lebens. Übersetzt aus dem Französischen von Uli Wittmann. Diogenes, Zürich 2004. 127 S., €16,90, ISBN-13: 978-3257063882

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