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Ist das ein Mensch?
von<br> Primo Levi
Von den fünfundvierzig Menschen in seinem Waggon haben nur vier ihr Zuhause wiedergesehen. Einer der vier war der italienische Jude Primo Levi?. Der Zug fuhr nach Auschwitz. Die Zeit von Februar 1944 bis Januar 1945 verbrachte Levi im Lager. Er überlebte, weil er als promovierter Chemiker für die IG Farben von Nutzen war und im Labor körperlich leichtere Arbeiten zu verrichten hatte. In seinem Buch „Ist das ein Mensch?“ beschreibt er das Jahr im Konzentrationslager.\\
Das Besondere an Primo Levis Bericht? ist gar nicht so sehr der Inhalt, die Erfahrungen, die er machen musste, sondern die Art, wie er dies erzählt, und die Sprache, die er hierfür gefunden hat. Auch andere jüdische Autoren haben über die Geschehnisse in den Lagern geschrieben. Ruth Klüger? blickt in ihrem Buch „weiter leben. Eine Jugend“ reflektierend und analysierend zurück. Imre Kertész? hat mit seinem „Roman eines Schicksallosen“ die literarische, epische Form gewählt. Viktor E. Frankl? untersucht in seinem Buch „ … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ die psychischen Auswirkungen der Bedingungen im Lager.
Primo Levi hingegen schreibt unmittelbar und sachlich, er liefert uns einen Augenzeugenbericht, er klagt nicht an, er richtet nicht. Er schildert einfach nur, was sich zugetragen hat. Seine Sprache ist schlicht und fast emotionslos, der Ungeheuerlichkeit der Ereignisse angemessen. Und so trifft sein Bericht? den Leser ungebremst und mit voller Wucht:
Ich lernte, dass ich ein „Häftling“ bin. Mein Name ist 174517; wir wurden getauft, und unser Leben lang werden wir das tätowierte Mal auf dem linken Arm tragen. Die Prozedur war kaum schmerzhaft und ging außerordentlich rasch vor sich. Man stellte uns alle der Reihe nach auf, und einer nach dem andern defilierten wir in alphabetischer Namensfolge an einem geschickten Funktionär vorbei, der eine Art Pfriem mit winziger Nadel handhabte. Anscheinend ist dies die eigentliche Initiation: Nur, wenn man „die Nummer herzeigt“, bekommt man Brot und Suppe. Etliche Tage waren nötig und nicht wenige Ohrfeigen und Faustschläge, bis wir uns daran gewöhnten, die Nummer prompt vorzuweisen, so dass die Ausgabe der täglichen Essensrationen nicht behindert wurde; Wochen und Monate waren nötig, bis wir ihren deutschen Klang im Ohr hatten. Und tagelang, wenn mich die Gewohnheit aus dem freien Leben nach der Uhrzeit auf meinem Arm blicken ließ, erschien mir dafür höhnisch mein neuer Name, die bläulich unter die Haut eingestichelte Nummer.
„Ist das ein Mensch?“ erschien bereits im Herbst 1947, damit ist Primo Levi der erste Autor, der ein Buch über seine Erfahrungen in Auschwitz veröffentlichte. Inzwischen wurde sein Bericht in vielen Auflagen? gedruckt. Längst ist das Buch zum grundlegenden Text der Holocaust-Literatur? geworden.
Wer Primo Levi noch nicht kennt, wer bei Büchern Wert auf eine gute Sprache legt und wer darauf verzichten kann, sich der Illusion eines Gutmenschentums hinzugeben, lese dieses Buch.
Autorin: Sylvia Ulbricht
Literaturangaben
- Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht. Aus dem Italienischen von Heinz Riedt. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010. 176 S., 7,90 €, ISBN: 978-3423123952
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