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Jung, Carl Gustav

C. G. Jung vor der Klinik Burghölzli, um 1909 - (c) Wikimedia Commons

Carl Gustav (C. G.) Jung (geb. 26. Juli 1875 in Kesswil am Bodensee; gest. 6. Juni 1961 in Küsnacht am Zürichsee) war ein schweizerischer Psychiater und Analytiker. In seine Theorie und sein Behandlungsverfahren bezog er stark den Gehalt von Mythen, Märchen und literarischen Werken ein. Dadurch wirkte er umgekehrt wieder auf deren Interpretation zurück.

Foto: Wikimedia.org

Leben

Der Pfarrerssohn Carl Gustav Jung wurde 1875 in Kesswil am Bodensee geboren. Seine Kindheit erlebte er als von Ängsten und Einsamkeit überschattet. Eine enge Bindung bestand zur Mutter, die prophetische Fähigkeiten für sich beanspruchte und ein seinerzeit modisches Interesse für Okkultismus pflegte. Jung studierte Medizin an der Universität Basel und arbeitete nach seinem Staatsexamen als Stationsarzt am psychiatrischen Krankenhaus Burghölzli in Zürich. Dessen Leiter Eugen Bleuler, von dem übrigens der Begriff Tiefenpsychologie stammt, stand der Psychoanalyse aufgeschlossen gegenüber.

Am Burghölzli führt Jung Experimente über normale und pathologische Wortassoziationen durch. Dabei entwickelte er den Kern seiner psychologischen Theorie, die sogenannte Komplextheorie. 1903 heiratet er die Fabrikantentochter Emma Rauschenbach (1882–1955?), das Paar bekam fünf Kinder. Emma Jung war lebenslang als Mitarbeiterin ihres Mannes und später auch als Lehranalytikerin tätig. Nach seiner Habilitation nahm Jung Kontakt mit Sigmund Freud auf, dessen Schriften? er gelesen hatte und von dem er sich Anregungen für die Behandlung seiner Patienten erhoffte. Er wurde zum Anhänger der Psychoanalyse und riskierte dafür, wegen Freuds damaliger Außenseiterposition selbst ins fachliche Abseits zu geraten. Für Freud wiederum war Jung ein willkommener Schüler, weil er damals einer der wenigen nichtjüdischen Verfechter der Psychoanalyse war. Freud fürchtete antisemitische Diffamierungen seiner Lehre, die es dann ja auch gab.

1909 verließ Jung nach einem Zerwürfnis mit Bleuler das Burghölzli. In Küsnacht am Zürichsee eröffnete er seine Privatpraxis. Im Herbst 1909 ging Jung mit Freud und weiteren Freud-Schülern auf eine sechswöchige Vortragsreise in die USA. Er wirkte am Aufbau der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung mit und wurde 1910 deren Präsident. Neben Freud und Adler entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Vordenker der Tiefenpsychologie. 1913 kam es zum Bruch mit Freud. Jung trat aus der Vereinigung aus, gab auch seine Privatdozentur an der Universität Zürich auf und zog sich ganz zurück. Er durchlebte bis 1919 eine schöpferische Krise.

1921 trat er mit seinem Buch „Psychologische Typen“ wieder an die Öffentlichkeit. Nun entwickelte er seine eigene tiefenpsychologische Richtung, die er zur Unterscheidung von der Psychoanalyse Freuds „Analytische Psychologie“ und in späteren Jahrzehnten auch „Komplexe Psychologie“ nannte. Er beschäftigte sich ausgiebig mit alten alchemistischen Texten, mit Märchen, Mythen und Religionen?, mit der Ethnologie? und mit fernöstlichen Weisheitslehren.

Zu diesem Zweck reiste er neben seiner praktisch-therapeutischen Tätigkeit viel: nach Nordafrika, nach Arizona und Neu Mexiko, nach Kenia und Uganda sowie nach Indien. Die überall gesammelten Erkenntnisse flossen in sein Denken ein. In Bollingen am oberen Zürichsee begann er zudem 1923, im Todesjahr seiner Mutter, mit dem eigenhändigen Bau eines erst 1955 vollendeten Turms, der ihm lebenslang als Rückzugs- und Meditationsort diente.

Aufgrund seiner Publikationen? wurde Jung zunehmend bekannt. Ab 1933 lehrte er einige Jahre lang als Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Zürich. Eine 1944 übernommene Professur für Medizinische Psychologie an der Universität Basel hatte er wegen Krankheit nur kurz inne. Als er während der Zeit des Nationalsozialismus Freuds Psychoanalyse als „jüdische Irrlehre“ angriff, zog er die Kritik vieler Intellektueller auf sich. 1948 wurde in Küsnacht das C. G. Jung-Institut als Ausbildungsstätte für Psychotherapie gegründet. Carl Gustav Jung starb 1961 in Küsnacht. Kurz zuvor hatte er noch sein zunächst auf Englisch erschienenes Buch „Der Mensch und seine Symbole“ (dt. 1968) vollendet.

Jungs Ideen in Grundzügen

C. G. Jung auf einem Buchcover - (c) Patmos Verlag

Seine Theorie begann Jung bereits am Burghölzli zu entwickeln, indem er den Begriff des Komplexes in die Psychoanalyse einführte. Ein Komplex ist für ihn ein Kernstück, etwa eine bestimmten Angst oder ein Bedürfnis, mit dem sich sekundäre Gefühlen, Gedanken, Wahrnehmungen und Erinnerungen verbinden, die aufgrund ihrer Verwandtschaft mit dem Kernstück von ihm angezogen worden sind. Je größer ein Komplex, desto mehr Energie besitzt er. Komplexe wirken abgespalten vom Bewusstsein, sie äußern sich zunächst unverständlich und sind nach Jung die „Brenn- und Knotenpunkte“ der Seele.

Komplexe und Kreativität

Komplexe weisen stets auf notwendige Bearbeitungen hin, bringen den Menschen damit aber auch vorwärts. Damit wirken sie nicht nur negativ – es gibt auch förderliche Komplexe. Das zeigt sich beispielsweise in überraschenden schöpferischen Entwicklungen eines Menschen, die sprungartig ins Bewusstsein treten und doch schon länger im Unbewussten existiert haben müssen. Auch die „Psychologischen Typen“, die Jung 1921 in seinem ersten großen Werk? nach dem Bruch mit Freud herausarbeitet, können als Komplexe gesehen werden.

Acht menschliche Grundtypen beschreibt Jung, wobei klar ist, dass diese acht idealtypische Vereinfachungen darstellen, während die individuelle Wirklichkeit vielfältiger erscheint. Auf die Zahl acht kommt Jung durch die Erkenntnis, dass der Mensch entweder nach innen gekehrt (introvertiert) oder nach außen gekehrt (extravertiert) ist. Jede dieser beiden Gruppen unterteilt er noch einmal vierfach, gemäß den vier Grundfunktionen des bewussten Seelenlebens, die er unterscheidet: Denken, Fühlen (also die Emotionen), Empfinden und Intuieren.

Überwindung der Gegensätze

Mit der Unterscheidung der Persönlichkeitsmerkmale ist ein Grundzug der Jungschen Psychologie angesprochen: das Denken in Gegensätzen und vor allem im Prozess ihrer angestrebten Einung. Wie Freud sieht auch Jung es als Aufgabe eines jeden Menschen, zu reifen. Doch während Freud darunter die Integration verdrängter sexueller Wünsche durch ein zunehmend erstarkendes Ich versteht, erweitert Jung die Perspektive: Für ihn geht es im menschlichen Leben nicht primär um die Sexualität. Die Libido – darüber kam es zum Bruch mit Freud – versteht er nicht als sexuelle Trieb-, sondern als allgemeine Lebensenergie. Von ihr geleitet, soll der Mensch zu einem harmonischen Ganzen reifen, in dem sich die Persönlichkeit weiterentwickelt und Einseitigkeiten ausgeglichen werden.

Animus, Anima und der Schatten

In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Begriffe Jungs zu nennen: Animus und Anima. Diese so genannten Seelenbilder repräsentieren den gegengeschlechtlichen Anteil in jedem Menschen, mit dem es sich im Interesse einer voll entwickelten Persönlichkeit auseinanderzusetzen gilt: für die Frau den Animus, für den Mann die Anima. Denn psychisch gesehen ist der Mensch doppelgeschlechtlich. Wie die Lebensbilder beim Einzelnen konkret aussehen, das wird durch die Erfahrungen mit Vater und Mutter und durch weitere soziokulturelle Bedingungen beeinflusst.

Auch der so genannte Schatten ist ein wichtiger Begriff im System der zu einenden Gegensätzlichkeit: Er steht für die noch nicht gelebte Seite eines Menschen, also beispielsweise gemäß der Typenlehre beim Extravertierten für die Introversion und umgekehrt. Der Schatten repräsentiert aber auch die unangenehmen Seiten der Persönlichkeit, also die, welche man sich selbst nicht gern eingesteht und lieber im Dunkeln lassen würde.

Archetypenlehre

Animus, Anima und der Schatten führen zum Kern der Jungschen Psychologie: zur Archetypenlehre. Denn sie sind archetypische Leitbilder. Unter dem Begriff des Archetypen versteht man die allen Menschen gemeinsame Symbole oder Urbilder, die im Unbewussten wirken und von hier aus unser Selbstverständnis, unser Wahrnehmen und Handeln bestimmen. Die Archetypen sind allerdings keine konkreten Vorstellungen, die der Mensch ererbt, sondern eher Dispositionen, Empfänglichkeiten für Phantasien, die sich dann, abhängig von der individuellen Prägung, in der Seele und im Leben konkret ausbilden.

Die alte Vorstellung von Bewusstseinsschichten hatte schon Freud mit der Dreiheit von Bewusstem, Vorbewusstem und Unbewusstem aufgegriffen, sie dann aber wegen ihres statischen Charakters durch die Dynamik der drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich ergänzt. Auf jeden Fall ist dieser Aufbau lediglich als Modell und nicht als reales Abbild der Psyche zu verstehen. Nach Jung gibt es fünf pyramidenartig aufeinander ruhende Schichten, und zwar, von oben angefangen: erstens das Ich, zweitens das Bewusstsein, drittens das persönliche Unbewusste, das dem Freudschen Unbewussten entspricht, viertens ein überindividuelles, so genanntes kollektives Unbewusstes, das bewusst gemacht werden kann, und fünftes ein ebensolches, das sich aber nicht bewusst machen lässt. Das kollektive Unbewusste teilen alle Menschen und Völker als gemeinsames seelisches Fundament. Es enthält die Archetypen.

Jung kann den Archetypus religiös als „geistiges Ziel“ und gleichzeitig biologisch als „Instinkt“ beschreiben – so weit gefasst ist der Begriff. Seine Füllung findet sich in der Unmenge des geistes-? und religionsgeschichtlichen Materials, das er heranzieht. Denn neben den drei genannten Archetypen gibt es zahlreiche weitere, die zusammen alle Bereiche menschlichen Daseins umfassen: Gott, Heiland, jungfräuliche Mutter, Baum, Berg, Riese, Zwerg und viele mehr. Jung spricht auch von einem Gottes-Archetypus, was jedoch nicht als Beweis für die Existenz Gottes zu verstehen ist. Seine Aufgeschlossenheit für religiöse Aussagen zeigt sich auch darin, dass Jung gern den in der Schulpsychologie unüblichen, weil religiös aufgeladenen Begriff der Seele verwendet.

Besonders wichtig sind nach Jung die archetypischen Leitbilder der Großen Mutter und des Alten Weisen. Sie stehen sie für die Entwicklungsstufe, die der Mensch in der zweiten Lebenshälfte erreichen soll, für die Hinwendung zum Geistigen, während in der ersten Lebenshälfte die Auseinandersetzung mit dem Seelenbild und dem Schatten wichtiger erscheint. Interessant ist: Für Jung reicht die Jugendzeit bis zur Lebensmitte. Aus den Wirren der Pubertät weisen die Ideale des beruflichen Erfolgs und der Familiengründung den Weg. Ab der Lebensmitte geht es dann um den Erwerb eines neuen Bewusstseins, um ein kulturelles Ziel. Gerade bei dieser Neuorientierung sieht die Analytische Psychologie ihre therapeutische Aufgabe.

Selbstwerdung als Ziel

Den lebenslangen Reifungsprozess, der von den aufsteigenden und zur Verwirklichung drängenden archetypischen Bildern geleitet ist und in dessen Verlauf die individuelle Persönlichkeit errungen und immer neu bewahrt werden muss, nennt Jung Individuation – Selbstwerdung. Das Selbst steht bei ihm für die Einheit und Gesamtheit der Persönlichkeit und gilt ebenfalls als Archetypus. Jung sieht es beispielsweise im indischen Mandala symbolisiert, das er ausführlich erforscht und interpretiert.

Überhaupt macht die Arbeit mit Bildern – individuellen und kollektiven – einen wichtigen Teil der therapeutischen Arbeit nach Jung aus. An die Stelle der freien Assoziation nach Freud tritt bei ihm die erweiternde Deutung mit Hilfe der Archetypen. Denn die universellen Bilder (gemeint sind hier nicht nur Werke der bildenden Kunst), die der Menschheit in ihren religiösen und künstlerischen Erzeugnissen zur Verfügung stehen, sind durch das kollektive Unbewusste mit den Bildern identisch, die am Grund der individuellen Seele schlummern und in der persönlichen Lebensgestaltung konkret und Wirklichkeit werden wollen.

Geistes- und literaturgeschichtliche Bezüge bei Jung

Seine Erkenntnisse bezog Jung nicht nur aus seiner therapeutischen Praxis, sondern auch aus eigenen geistesgeschichtlichen? und literaturhistorischen Recherchen: Die Archetypen fand er außer in Träumen und Tagträumen auch in Mythen, Märchen und künstlerischen Werken?.

In einem künstlerischen Erzeugnis und somit auch in der Literatur drängt nach Jung das kollektive Unbewusste nach oben, es äußert sich und weckt auch im Leser beziehungsweise Betrachter ursprüngliche Gefühle. Insofern kann literarischen Erzeugnissen eine therapeutisch unterstützende Funktion zukommen, wenn der Umgang mit ihnen den Menschen auf seinem Weg der Individuation weiterbringt.

Jungs Archetypenlehre fand in die Literaturwissenschaft Eingang, so etwa 1934 in Amy Maud Bodkins? „Archetypal Patterns in Poetry“. Die Kulturwissenschaften? haben von ihm bleibende Anregungen für die Untersuchung von Märchen, Kinderliteratur, Science Fiction und Trivialliteratur erhalten.

Kritik

Durch seine methodische Vielfalt hat Jung die Psychotherapie entscheidend bereichert und ihre Nähe zu den Geisteswissenschaften? und zur Kultur gestärkt, er hat allerdings auch der Esoterik die Tür geöffnet. Mit seinem Mystizismus ist er durchaus angreifbar. Micha Brumlik? stellt fest, dass Jungs Theorie „genau die Funktion einnimmt, die das Genie? in der romantischen Ästhetik innehatte“.

Übrigens …

Eine Legende in Jungs Herkunftsfamilie besagte, dass C. G. Jungs gleichnamiger Urgroßvater väterlicherseits ein unehelicher Sohn Goethes gewesen sei. Als Urgroßmutter war kurzzeitig sogar Goethes Altersliebe Marianne Willemer? im Gespräch, bis klar wurde, dass dies wegen des geringen Altersunterschieds ausgeschlossen war. Zwischen Jungs echter Urgroßmutter und Goethe ließ sich keine Beziehung nachweisen.

Werke

  • Bücher von C. G. Jung bei Jokers
  • C. G. Jung: Gesammelte Werke. 19 Bde., Walter Verlag, Olten/Freiburg 1960-1983
  • C. G. Jung: Erinnerungen, Träume, Gedanken. Patmos Verlag, Ostfildern, 17. Aufl. 2011
  • Jaffé, Aniela (Hg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung. Walter Verlag, Olten 1993

Sekundärliteratur

  • Brumlik, Micha: C. G. Jung zur Einführung. Junius, Hamburg 2004, ISBN: 3-885063972
  • Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C. G. Jung. OA Rascher Verlag, Zürich 1940; Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 22. Aufl. 2008, ISBN: 978-3596263653
  • Wehr, Gerhard: C. G. Jung. Rowohlts Monographien, Bd. 152. OA Rowohlt Verlag, Reinbek 1969, 21. Auflage 2006
Hörbücher
  • Kast, Verena: Einführung in die Psychologie C.G. Jungs. 2 MP3-CDs, Jokers Hörsaal, Auditorium Netzwerk, Müllheim, ASIN: B0018JBYX4

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