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Polemisches Zwischenspiel

Wer immer noch streng am Inkommensurablen der Kunst festhält, läuft Gefahr, ästhetisch schwer enttäuscht zu werden, wenn er sich vor dem Umkehrschluss nicht hütet. Kunst ist dumm, sonst wäre sie ja nicht so schön. Kunst neigt seit der Französischen Revolution zu Vereinzelung, Polarisierung und hat einen Hang zum Anorganischen. Sie löst sich als Architektur vom Boden, setzt den Menschen herab, entstellt ihn zur Karikatur und negiert den Unterschied von oben und unten, von Gottes Ebenbild und den Nachtseiten menschlichen Tuns, dem sinnlosen Wüten von Dämonen in Menschengestalt. Die Kunst ist Ausdruck der Zeit nur nebenbei und wesentlich außerzeitlich: Epiphanie des Zeitfreien, des Ewigen in der Brechung der Zeit. Die Leugnung dieses Ewigen ist essenziell auch Leugnung der Kunst. Intelligenz wird bestraft; der gute Geschmack verbietet jeden Witz. Wenn ihn sich doch einer leistet, gilt es gleich als geschmacklos oder, schreckliches Schimpfwort, oberflächlich.

In einem seiner bekanntesten Werke beschreibt der Dichter John Godfrey Saxe?, wie sich sechs blinde Wissenschaftler aufmachen, um das wahre Wesen des Elefanten zu erforschen. Der erste rennt gegen die Flanke des Rüsseltieres und behauptet, ein Elefant sei wie eine Wand. Der zweite bekommt einen Stoßzahn zu fassen und widerspricht: Nein, er sei wie ein Speer. Wie eine Schlange, beharrt der dritte, der den Rüssel in Händen hielt. Wie ein Baumstamm, widerspricht der vierte, denn er berührt ein Bein, und so weiter und so fort: Jeder greift und begreift nur seinen Teil und macht sich daraus seinen - falschen - Reim aufs Ganze. Etwa so verhält es sich auch mit der Literatur. Gerade weil sie Laboratorien eines harten gesellschaftlichen Strukturwandels ist, weiß man ihre aktuellen Probleme offenbar nicht recht zu deuten. Jeder klaubt sich seine Sorgen oder Hoffnungen heraus.

Klar scheint lediglich: Der Kultur-Betrieb ist zum Umbau gezwungen, um sich im ökonomischen Wettbewerb behaupten zu können. Der Ansätze und Strategien, Wünsche und Instrumente sind viele. Es wurden weit mehr Romane und Erzählungen verlegt, als die Menschen lesen wollten. Es herrscht eine Überproduktion. Das Weltnetz versorgt flächendeckend jeden jederzeit; Qualitäten wie Kommunikation, Dichte, Anonymität und Liberalität sind nicht mehr zwingend die Literatur gebunden. Hinzu kommt, daß Bücher rasend schnell veralten: Ein Werk?, das nicht binnen sechs Wochen die Aufmerksamkeit der Leser auf sich ziehen könne, sei - so heißt es - erledigt. Der hoch dotierte Deutsche Buchpreis funktioniert nurmehr als Durchlauferhitzer. Allerdings haben hier nur konventionell und gefällig erzählte Texte eine Chance, wobei die Literaturkritik ihre Aufgabe zunehmend darin sieht, den Markt abzusegnen. Hektisch werden neue Literaturmoden kreiert, kurzfristige Trends ausgebrütet, während die Themen und Texte der mitspielenden Erfolgsautoren und Jungstars einander immer ähnlicher geraten. Die gegenwärtige Literatur verausgabt sich momentan nicht im einfachen Dagegensein; sie ist deswegen aber noch längst nicht affirmativ. Die Literatur, wie alle Kunst, beharrt darauf, in ihrem Kern Träger von Passionswissen zu sein, also glaubhaft zu erzählen von denen, die Leiden und Leidenschaften bis zum Ende durchlebt haben. Dieses Passionswissen ist eine Art Dunkelkammer, in der man sich verändert. Es beginnt ein Lernen, das genau das Gegenteil von Souveränität bedeutet.

Dieser Verlust imprägniert aber gleichzeitig gegen den Terror der globalen Warenwelt und das Reich der rasenden Märkte. Hier resüieren Schriftstellerdarsteller wie Jonathan Littell?. Dieser Autor hat ein theoretisch überdeterminiertes und literarisch hoffnungslos unterbelichtetes Traktat? geschrieben. Der Text gibt - abgesehen von dem faszinierenden Stoff - literarisch nicht viel her. Der Stil bleibt schlicht, bald bieder, bald pathetisch, dem Gemüt des Helden angepasst. Und das Erzählmuster, streng chronologisch, erschöpft sich irgendwann. Warum die ganze Aufregung?

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