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Portnoys Beschwerden

von<br> Philip Roth

Ein Mann im Alter von 33 Jahren analysiert vor seinem Therapeuten die Ursachen seines übermäßigen sexuellen Verlangens: Er spricht dabei über Onanie und Ohnmacht, Sexualität und Sitte, Perversion und Pragmatismus. Was wie ein zeitgemäßes Gesellschaftsbild erscheint, ist der Kern von „Portnoys Beschwerden“, dieses Schlüsselromans? von Philip Roth, der nach langen Jahren nun in einer erfrischenden Neuübersetzung von Werner Schmitz? vorliegt. 1969 veröffentlichte Roth seinen Portnoy-Roman, der in seiner unverklärt offenen Thematisierung von Sex und Geilheit nicht nur in den USA für Skandale sorgte. „Portnoys Beschwerden“ war das Skandalbuch des Amerikaners. Nicht zuletzt aus diesem Grund stürmte er damit in die Bestsellerlisten?.

Der Titelheld Alexander Portnoy ist ein Überflieger. Die Highschool beendete er als Jahrgangsbester, auf der Uni beeindruckte er seine Professoren und wurde zum Herausgeber? der renommierten Rechtspublikation „Columbia Law Review“ ernannt. Schon mit Mitte zwanzig beriet er einen Ausschuss des amerikanischen Senats, um anschließend zum stellvertretenden Gleichbehandlungskommissar der Stadt New York aufzusteigen. Man könnte mit Stolz und Dankbarkeit auf diese Jahre zurückblicken, doch Portnoy ist von Verbitterung und körperlicher Qual zerfressen. Denn über seiner Karriere liegt der dunkle Schatten eines krankhaften Leidens, der Portnoy’schen Beschwerden. Dabei handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die von dem „anhaltenden Konflikt zwischen stark empfundenen moralischen und altruistischen Regungen mit übermäßigem sexuellem Verlangen oftmals perversen Charakters“ gekennzeichnet ist, wie der Analytiker Dr. Spielvogel in einem Aufsatz schreibt. Ursache dieses Leidens scheint eine klammernde Mutter- bzw. Eltern-Kind-Bindung zu sein.

Wie Dr. Spielvogel zu dieser Annahme gekommen sein könnte, beschreibt Roth in seinem knapp 300 Seiten? langen Roman. Darin erläutert Portnoy in einer Art imaginierten Vorwegnahme der Therapie das übergriffige Verhalten seiner Mutter – sowie teilweise auch das seines Vaters. Seine unstillbare sexuelle Gier ist Portnoys’ rebellischer Versuch, sich von seinem Elternhaus zu lösen. Dies führt soweit, dass er es mit einer rohen Leber treibt und im voll besetzten Linienbus neben einer eingenickten Dame onaniert. Von seinen Sexualpartnerinnen erwartet Portnoy nicht nur sexuelle Experimentierlust, sondern auch amouröse Abenteuer zu dritt oder zu viert. Von früher Kindheit an phantasiert sich Portnoy in eine Welt sexueller Erfahrungen, als wollte er allein Amerikas Prüderie zur Seite wischen und die libidinösen Erfahrungen eines ganzen Kontinents in sich vereinen. Doch auch wenn er sich und seine Gespielinnen mehr oder weniger subtil dazu zwingt, diesen Phantasien nachzugehen, findet Alexander Portnoy in seinen sexuellen Ausflügen keinerlei Befriedigung.

Das eigentliche Leiden des jungen Portnoy besteht in der jüdischen Moral, die dem jungen Mann von Kindesbeinen an eingeimpft wurde. Die moralisch-erzieherischen Diktate der Mutter schweben als Freudsches Über-Ich über dem Leben und Lieben Alexander Portnoys. „Reißen Sie mich aus der Rolle des erdrückten Sohns im jüdischen Witz! Denn sie verliert doch allmählich an Reiz, mit dreiunddreißig“, fleht der ansonsten zynisch-arrogante? Portnoy Dr. Spielvogel an. Diese Grundkritik an jüdischen Moralvorstellungen macht den Roman zugleich auch zu einer typisch Roth’schen Abrechnung mit dem exaltiert anständigen Exiljudentum Amerikas.

„Portnoys Beschwerden“ ist der Ausgangspunkt der Fiktionalisierung der eigenen Biografie durch den Autor, denn Alexander Portnoy ist nur eines der zahlreichen Alter Egos? des großen amerikanischen Romanciers?. Portnoy folgen in späteren Romanen noch Figuren wie David Kepesh, Peter Tarnopol, Nathan Zuckermann und zuletzt auch ein fiktiver Philip Roth. Sie alle komplettieren den Reigen der literarischen Doppelgänger ihres Schöpfers.

Die Provokation mit dem fiktiven Double ist eines der wesentlichen Elemente der Roth-Literatur. Es ist dieses Verwirrspiel aus Autobiografie und romanesker Fiktion, von der zahlreiche seiner Romane leben. Oft sind seine Figuren verzerrte Spiegelungen seiner selbst. Ähnlichkeiten sind gewollt, identische Abbilder streng vermieden. Lange Jahre funktionierten die Romane von Philip Roth nach dem Muster des Schreibens um die eigene Person, bis ihn diese Art des Schreibens Mitte der 1980er-Jahre in eine tiefe Krise trieb. Er habe es satt gehabt, sich selbst „noch weiter zu fiktionalisieren“ und „Erschöpfung angesichts von Masken, Verkleidungen, Verzerrungen und Lügen“ verspürt, heißt es in Volker Hages? Werkbiografie „Bücher und Begegnungen“.

„Portnoys Beschwerden“ markiert den Auftakt zu einer Serie? von Romanen, in denen sich jüdische Intelligenzler ihre verpfuschte Existenz von der Seele plaudern. Das Buch ist aber auch Bezugspunkt im eigenen literarischen Werk, denn mit dem Sexroman „Carnovsky“ hat Roth’ fiktiver Stellvertreter Nathan Zuckermann einen ähnlichen Skandalroman veröffentlicht. Dieser Spur konnte man zwar auch bisher nachgehen, doch lag mit Kai Molvigs Übersetzung aus dem Jahr 1974 eine für heutige Verhältnisse nur mäßige Übertragung vor. Der antiquierte Text präsentiert dem Leser die zahlreichen erotomanischen Ausführungen Portnoys meist nur in einem technisch-mechanischen Stil und musste daher an der Realität scheitern. Die Allgegenwart von Sexualität in unserer Gegenwart hat zumindest den objektiven Umgang mit der Thematik verändert. Allein mit der Verwendung des Wortes „ficken“ lockt man heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

Schmitz beweist in seiner Neuübertragung Mut zum Direkten, wo Molvig Vorsicht obwalten ließ. So ist es möglich, dass einst kompliziert und verquast klingende Satzkonstruktionen wie „Ich kriegte ihn im Staate Israel nicht hoch! Ganz schön schon, was die Symbolik angeht. Das soll mir mal einer nachmachen – das in dieser Weise auszuspielen!“ bei Schmitz teilweise eine geradezu spielerische Leichtigkeit annehmen und den zauberhaften Rhythmus? des Roth-Sprech entfalten können: „Ich habe ihn im Staate Israel nicht hochbekommen. Wenn das keine Symbolik ist, Bubi! Wenn das kein unschlagbarer Fall von Ausagieren ist!“

Im Vergleich zu den 1970er-Jahren hat sich auch die Wortsemantik verändert, so dass der eine oder andere Begriff in Molvigs Text heute sein Ziel verfehlt. So kann man etwa mit dem Kapitelüberschrift „Votzennärrisch“ nur noch wenig anfangen. Schmitz’ Titel „Verrückt nach Mösen“ lässt hingegen keinen Zweifel zu – und reduziert zudem das Thema des Romans sowie Portnoys Seelenzustand auf den inhaltlichen Kern. Und auch die Tatsache, dass Schmitz den Lesern seiner Neuübertragung englischsprachige Originalzeilen zumutet, zeichnet ihn aus.

„Portnoys Beschwerden“ lebt weniger von seinem Inhalt als vielmehr von seiner Sprache, mit der er anzüglich, ironisch und gewitzt schier Unglaubliches erzählt. Vor nunmehr 40 Jahren erregte er die Gemüter wie zuvor nur Nabokovs „Lolita“. Der Roman wurde als obszön und vulgär empfunden. Nie zuvor war so ungeschminkt und anstandslos über Sexualität und Geilheit gesprochen worden. Wenn auch nicht jeder den provokanten Erzählstil als Mittel zum Zweck verstand, so doch zumindest die deftigen Ausdrücke Alexander Portnoy’.

Viele Jahre mussten sich die deutschsprachigen Leser mit einer nicht mehr zeitgemäßen, fast schüchternen Übersetzung von „Portnoys Beschwerden“ zufrieden stellen. Mit Werner Schmitz’ Neuübertragung liegt nun endlich eine moderne Fassung dieses Schlüsselromans aus dem Frühwerk? von Philip Roth vor. Es ist kein anderer Alexander Portnoy, der dem Leser darin begegnet. Aber ein sehr viel authentischerer.

Literaturangaben

Roth, Philip: Portnoys Beschwerden. Aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2009. 288 S., 21,50 €, ISBN: 978-3446234017

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