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Reich-Ranicki, Marcel

Marcel Reich-Ranicki auf dem Cover seiner Autobiographie - (c) DVA

Marcel Reich-Ranicki (geb. 2. Juni 1920 in Wloclawek/Polen; gest. 18. September 2013 in Frankfurt/Main) war ein deutscher Literaturkritiker, Schriftsteller und Publizist?. Als Chefmoderator des ZDF-LiteraturmagazinsDas Literarische Quartett?“ gelangte er zu großer Popularität.

Leben und Schreiben

Marceli Reich, so sein ursprünglicher Name, wurde am 2. Juni 1920 in Wloclawek/Polen geboren, einem kleinen Ort an der Weichsel. Er war das dritte Kind von David Reich und dessen Frau Helene (geborene Auerbach). David Reich war ein polnischer Jude, der eine Fabrik für Baumaterialien betrieb. Helene, eine aus Deutschland stammende Jüdin, klagte oft, dass ihr das Leben in der polnischen Provinz nicht behage.

Reich-Ranicki besuchte die deutsche Schule in Wloclawek. Nach dem Konkurs der väterlichen Fabrik siedelte die Familie 1929 nach Berlin über. Dort besuchte er zunächst das Werner-von-Siemens-Gymnasium in Schöneberg und ab 1935 das Fichte-Gymnasium in Wilmersdorf. 1938 konnte er noch das Abitur machen - die beste Note im Fach Deutsch, die er eigentlich verdient hätte, bekam er als Jude jedoch nicht. Und sein Antrag auf Immatrikulation an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin wurde aus demselben Grund abgelehnt. Am 28. Oktober 1938 wurde Reich nach Polen ausgewiesen.

Aus dem Warschauer-Ghetto in die Einzelzelle

Ab 1940 lebte Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto, wo er als Übersetzer im jüdischen Ältestenrat tätig war. Daneben veröffentlichte? er in der Ghettozeitung „Gazeta Żydowska“ unter dem Pseudonym Wiktor Hart zahlreiche Konzert- und Musikbesprechungen. Zugleich war er Mitarbeiter des Ghetto-Untergrundarchivs? und nahm Anfang 1943 an einer Widerstandsaktion der Jüdischen Kampforganisation (ZOB) teil.

Wenige Wochen später gelang Reich-Ranicki zusammen mit seiner Frau Teofila (geborene Langnas), einer aus Lodz stammenden Kaufmannstochter, die Flucht aus dem Ghetto. Sie gingen in den Untergrund und überlebten dank der Hilfe des arbeitslosen Druckereigehilfen? Bolek Gawin den Holocaust. Reich-Ranickis Eltern, sein Bruder Alexander, seine Schwiegereltern und viele seiner Verwandten überlebten Krieg und Holocaust nicht.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee schlug Reich-Ranicki zunächst eine politische Laufbahn ein, die ihn von der militärischen Postzensur? in Polen über die polnische Militärmission in Berlin bis ins polnische Generalkonsulat in London führte. In London änderte er seinen Namen von Reich in Ranicki, da Reich zu deutsch klang. Die politische Karriere, die vielversprechend begonnen hatte, endete jedoch noch 1949. Man schloss ihn aus der Kommunistischen Partei Polens aus und sperrte ihn wenig später in eine Einzelzelle – mit dem Ratschlag, seine ideologische Position zu überdenken.

„Frankfurter Anthologie“

Aus der Haft entlassen, war Reich-Ranicki zunächst für einen Warschauer Verlag tätig, wo er das Lektorat? für deutsche Literatur betreute. Im Herbst 1951 ließ er sich als freier Schriftsteller nieder, erregte jedoch das Misstrauen der polnischen Behörden und wurde mit einem befristeten Publikationsverbot? belegt. Ende 1954 lief das Schreibverbot aus und Reich-Ranicki veröffentlichte in polnischer Sprache die Bücher „Aus der Geschichte der deutschen Literatur“ (1955), „Die Epik der Anna Seghers?“ (1957) und einige kritische Kommentare zu Werken von Goethe, Storm, Raabe, Hesse, Heinrich und Thomas Mann.

Eine Studienfahrt führte Reich-Ranicki im Sommer 1958 in die Bundesrepublik Deutschland. Von dieser Reise kehrte er nicht mehr nach Polen zurück. Von nun an hatte er seinen Wohnsitz entweder in Frankfurt am Main oder in Hamburg. Unter dem Doppelnamen Reich-Ranicki (bekannt geworden ist auch die Abkürzung "MRR") war er von 1960 bis 1973 ständiger Literaturkritiker der Wochenzeitung? „Die Zeit“. Mit seinen scharfsinnigen und im Urteil bewusst subjektiven Rezensionen fesselte er viele Leser. In der Redaktion? genoss er das ungewöhnliche Privileg, die zur Besprechung vorgesehenen Bücher selbst bestimmen zu können.

Durch Vermittlung des Publizisten? Joachim Fest? übernahm Reich-Ranicki 1973 die Leitung der Literaturredaktion? der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), die er bis 1988 innehatte. Im Juni 1974 rief er die „Frankfurter Anthologie?“ ins Leben – eine Sammlung? deutschsprachiger Gedichte und Interpretationen, die seitdem in jeder Samstagsausgabe der „FAZ“ fortgesetzt wird. Das Motto dieses erfolgreichen Lyrikprojekts lautet: „Der Dichtung eine Gasse“. Bislang sind über 1.600 Gedichte mit einer Interpretation in der „Frankfurter Anthologie?“ erschienen, darunter mehr als 110 Gedichte von Goethe, der zu Reich-Ranickis Lieblingsautoren zählt.

„Das Literarische Quartett“

Als Chefmoderator und Spiritus Rector des ZDF-Literaturmagazins?Das Literarische Quartett?“ gelangte Reich-Ranicki bei einem Millionenpublikum zu großer Popularität und avancierte jetzt auch außerhalb der Fachkreise zum „Literaturpapst?“: In der Zeit von 1988 bis 2001 führte er an der Seite wechselnder Kollegen, zu denen unter anderem Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler, Jürgen Busche? und Elke Heidenreich gehörten, durch 77 Sendungen mit mehr als 350 diskutierten Büchern. Für das Publikum lag der Reiz der Sendung hauptsächlich in Reich-Ranickis Redebeiträgen, in denen er Werk? und Autor – zuweilen auch seine erstaunten Kritikerkollegen im Fernsehstudio – mit einer unverwechselbaren Mischung aus Güte und cholerischem Eifer lobte und tadelte.

Die „FAZ“ schrieb zu Reich-Ranickis 70. Geburtstag, dass sein außergewöhnlicher Erfolg als Literaturkritiker nicht nur mit seiner Klarheit und seinem Abscheu vor jeglicher abstrakten Verdunkelung zu tun habe, sondern auch mit seiner suggestiven Kraft, die Menschen zu überzeugen. Seine größte Leistung bestehe jedoch darin, die Literatur als gesellschaftliche Tatsache im allgemeinen Bewusstsein etabliert zu haben. Aber es gab auch zahlreiche Stimmen, die Reich-Ranicki kritisch beurteilten. Zu einer hitzigen Debatte kam es, nachdem Reich-Ranicki 1995 im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einen heftigen Verriss? von Günter Grass’ Roman „Ein weites Feld“ veröffentlicht hatte. Die anschließende Diskussion blieb nicht auf das Literarische begrenzt, sondern stellte auch die Fragen nach Meinungsfreiheit und Medienmacht.

Reich-Ranicki war auch als Schriftsteller erfolgreich. Seine 1999 unter dem Titel „Mein Leben“ veröffentlichten Memoiren? wurden millionenfach verkauft und standen monatelang an der Spitze der deutschen Bestsellerlisten?. Inzwischen wurde das Buch, das als eine der bewegendsten Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts gilt, in mehr als 15 Sprachen übersetzt. Die Filmproduzentin Katharina Trebitsch verfilmte es 2008/2009 unter dem Titel "Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki" mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Regie führte der israelische Regisseur Dror Zahavi.

Mitinitiator des Klagenfurter Literaturwettbewerbs

Marcel Reich-Ranicki, der 2006 vom Magazin „Cicero“ hinter Günter Grass und Harald Schmidt? als renommiertester deutscher Intellektueller genannt wurde, war seit Ende der 1960er Jahre Gastprofessor an verschiedenen deutschen und internationalen Universitäten. 1974 wurde er Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Er gehörte außerdem zu den Initiatoren des Klagenfurter Literaturwettbewerbs um den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Kritik am deutschen Fernsehprogramm

Am 11. Oktober 2008 lehnte Marcel Reich-Ranicki den Ehrenpreis des Deutschen Fernsehpreises für das "Literarische Quartett" mit der Begründung ab, das derzeitige Fernsehprogramm sei so kulturlos, dass er in diesen Kontext nicht hineingehören wolle. Er teilte seine Entscheidung auf dem Podium vor laufender Kamera mit. Moderator Thomas Gottschalk, der ihm den Preis hatte übergeben sollen, konnte Reich-Ranicki zu einer Fernsehdiskussion in der Folgewoche bewegen, in der die beiden öffentlich über die Kultur und Unkultur des deutschen Fernsehens debattierten.

Der Eklat löste bundesweit eine Debatte über den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus. In zwei Artikeln in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" verteidigte die Literaturkritikerin Elke Heidenreich nicht nur Reich-Ranickis Schritt, sondern legte selbst noch einmal nach. Dabei verwies sie nicht nur auf die quotenschädigende Verlegung ihrer eigenen Sendung von Dienstagabend auf einen unattraktiven Sendeplatz am späten Freitagabend, sondern griff auch das ZDF und Thomas Gottschalk direkt an. Dies tat sie in so heftigen Worten, dass selbst Reich-Ranicki den Gescholtenen wieder in Schutz nahm: Es sei "eine Unverschämtheit", wie sie nach dem Eklat beim Deutschen Fernsehpreis mit "Thomas" umgegangen sei (seit jenem Abend duzten sich Gottschalk und Reich-Ranicki). Das ZDF beendet daraufhin die Zusammenarbeit mit Heidenreich und strich die beiden noch für 2008 geplanten Folgen ihrer Büchersendung "Lesen!".

Rede vor dem Deutschen Bundestag 2012

Am 27. Januar 2012 hielt Marcel Reich-Ranicki zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede vor dem Deutschen Bundestag. Er war da gesundheitlich schon sehr angeschlagen und musste auf dem Weg zum Vortragstisch vom Bundespräsidenten, vom Bundestagspräsidenten und vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtshof gestützt werden. Für diese Rede erhielt er den Rhetorik-Preis "Rede des Jahres" von der Universität Tübingen.

Marcel Reich-Ranicki lebte in Frankfurt am Main. Dort starb seine Frau im Frühjahr 2011, und dort ist auch er am 18. September 2013 gestorben. In einem Interview mit seinem Biografen Uwe Wittstock hatte er zuletzt gesagt, das Alter sei fürchterlich. Es raube einem nach und nach alles, was einem lieb und teuer sei.

Übrigens ...

ist der expressive britische Maler Frank Auerbach Reich-Ranickis Cousin. Andrew Ranicki, Sohn von Marcel und Teofila (Tosia) Reich-Ranicki, ist Professor für Mathematik in Edinburgh.

Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

  • Bücher von Marcel Reich-Ranicki bei Jokers
  • Lauter Verrisse. EA 1970. München, dtv 1992, ISBN: 978-3423115780
  • Über Ruhestörer. Juden in der deutschen Literatur. EA 1973. München, dtv 1993, ISBN: 978-3423116770
  • Lauter Lobreden. EA 1985. München, dtv 1992, ISBN: 978-3423116183
  • Thomas Mann und die Seinen. EA 1987. Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 2002, ISBN: 978-3596170883
  • Mein Leben. EA 1999. München, dtv 2003, ISBN: 978-3423130561
  • Sieben Wegbereiter. Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. EA 2002. München, dtv 2004, ISBN: 978-3423132459
  • Unser Grass. EA 2003. Deutsche Verlags-Anstalt 2003, ISBN: 978-3421057969
  • Lauter schwierige Patienten, Berlin, List tb, 2003, ISBN: 978-3548603834
  • Über Amerikaner. Von Hemingway und Bellow bis Updike und Philip Roth EA 2006. München, dtv 2006, ISBN: 978-3423134767

Hörspiele

  • Mein Leben. 2 CDs. München, Dhv der Hörverlag 2003, ISBN: 978-3899402742
  • Über Amerikaner. 2 CDs . Von Hemingway und Bellow bis Updike und Philip Roth. München, Random House 2006, ISBN: 978-3866043572

Sekundärliteratur

  • Bücher von und über Marcel Reich-Ranicki bei Jokers
  • Anz, Thomas: Marcel Reich-Ranicki. München, dtv 2004, ISBN: 978-3423310727
  • Wittstock, Uwe: Marcel Reich-Ranicki. München, Pantheon Verlag 2006, ISBN: 978-3570550106

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