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Rezeption

Rezeption bezeichnet in der Literaturwissenschaft den intellektuell-emotionalen Prozess der Aneignung von Literatur. Grundannahme ist, dass jedes literarische Kunstwerk in viele verschiedene Richtungen aufgenommen und folglich auch interpretiert werden kann.

Definition

Rezeption (lateinisch: receptio = Aufnahme) ist ein Fachwort aus der Literatur- und Kunstwissenschaft. Der Begriff hat zwei Bedeutungen:

  • Allgemein bezeichnet man als Rezeption die Aufnahme und die Übernahme von fremden Gedanken, Handlungsweisen, Wertvorstellungen, Stilelementen oder kulturellen Normen. So spricht man z. B. von der Rezeption des Mittelalters? in der Romantik oder von der Rezeption des Sturm und Drang im Expressionismus.
  • Definiert man Rezeption in einem engeren Sinn, so meint man damit ein Fachwort aus der modernen Literaturwissenschaft, das seit den frühen 1960er Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. Als Rezeption bezeichnet man hier den intellektuell-emotionalen Prozess der Aneignung von Literatur durch den Rezipienten (Leser). Wie diese Aneignung als Interaktion zwischen Autor und Text auf der einen sowie Leser und Gesellschaft auf der anderen Seite geschieht, das erforscht der in jenen Jahren entstandene literaturwissenschaftliche Forschungszweig der Rezeptionsästhetik.

Hintergrund

Lesen ist Rezipieren - (c) Stephanie Hofschläger/Pixelio

Die wissenschaftliche Rezeptionsforschung beruht auf der Grundannahme, dass der Sinn eines literarischen Werks? weder vom Produzenten (Autor) noch von einer anderen Instanz festgelegt wird, sondern grundsätzlich offen und wandelbar ist. Dabei fällt der Rolle des Rezipienten (Leser) eine besondere Bedeutung zu.

Denn sein literarischer Geschmack, aber auch sein Bildungshintergrund, sein Erwartungshorizont? und sogar seine momentane Stimmungslage deuten das Werk? in eine bestimmte Richtung. Dieses Aufeinandertreffen von Werk? und Rezipient bezeichnet man in der Literaturwissenschaft als Verschmelzung.

Foto: Stephanie Hofschläger/Pixelio.de

Gottfried Benn: zynisch oder philosophisch?

Das Ergebnis dieser Verschmelzung ist die Interpretation eines literarischen Werks?. In der Praxis fällt die Interpretation oft verblüffend vielfältig und sogar krass widersprüchlich aus. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Texten, die von vornherein ein großes Maß an Interpretationsspielraum besitzen.

Als klassische Beispiele für Texte mit großem Interpretationsspielraum gelten die frühen Gedichte von Gottfried Benn?, z. B. „Kleine Aster“, „Der Arzt“, „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“. Die Reaktionen der Rezipienten reichen von zynisch und ekelhaft über menschenverachtend bis hin zu formvollendet und philosophisch.

Entwicklung

Bereits die Phänomenologie? und die Hermeutik? hatten betont, dass der Rezipient mit seinen Bewusstseinsinhalten und seiner historischen Bedingtheit (wir leben als Leser immer in unserer aktuellen Zeit und in der jeweils uns umgebenden Gesellschaft) das Gelesene interpretiert. Hans-Georg Gadamer?, der Begründer der philosophischen Hermeneutik, sprach in "Wahrheit und Methode" (1960) von der Verschmelzung? zweier Horizonte: dem des Textes und dem des Lesers.

Seit den frühen 1960er Jahren beschäftigen sich Literaturwissenschaftler mit dem Prozess der Rezeption. Dabei spielen interessanterweise auch Aspekte eine Rolle, die die physiologische Seite des Lesens betreffen, z. B. die Bewegung der Augen beim Lesen oder die Bewegung der Hände beim Halten des Buchs oder beim Umblättern der Seiten?. Diese Spezialdisziplin bezeichnet man als Leseforschung?.

Eine zweite Spezialdisziplin ist die Rezeptionsästhetik, die die Wirkungsgeschichte eines literarischen Werks? erforscht. Fragestellungen sind z. B. die Veränderung des Lesergeschmacks im Wandel der Zeiten, die Empfänglichkeit verschiedener sozialer Schichten für bestimmte Themen oder Buchformate, Schwankungen in der Aufnahmebereitschaft, die Manipulation des Leserinteresses durch Werbung.

Literaturgeschichte als Provokation

Die Literaturwissenschaftler? Hans Robert Jauß? und Wolfgang Iser? haben die Rezeptionsforschung und insbesondere die Rezeptionsästhetik lange Zeit geprägt und zu einem äußerst fruchtbaren Forschungszweig gemacht. Grundlegende Werke? sind: „Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft“ (1970) von Jauß? und „Der implizite Leser“ (1972) von Iser?. Später trat eine Vielzahl an weiterführender Fachliteratur? hinzu.

Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit von Jauß? und Iser? stand die Annahme, dass die Autonomie von literarischen Werken? fraglich sei. Damit widersprachen sie der traditionellen Forschungsmeinung, die jedem literarischen Kunstwerk einen bestimmten, nicht veränderlichen Sinn zuschrieb. Diese Zuschreibung erfolgte in Deutschland, aber auch in den meisten anderen europäischen Ländern, meist aus politischem Kalkül. Denn auf diese Weise ließ die Literatur sich in erwünschte und unerwünschte Autoren und Werke? unterteilen.

Auch ein Fall für Werbeleute

In der Gegenwart hat die Rezeptionsforschung verstärkt das Interesse von Verlegern und Werbeleuten geweckt. Vor allem geht es dabei um die Frage, wie das Publikumsinteresse im Sinne eines bestimmten Produkts manipuliert werden kann. Auch die Hersteller von E-Books arbeiten inzwischen mit Fachleuten aus der Rezeptionsforschung zusammen, um ihre Lesegeräte beim Publikum populär zu machen.

Sekundärliteratur

  • Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1970, ISBN: 978-3518104187
  • Winnen, Angelika: Kafka-Rezeption in der Literatur der DDR. Produktive Lektüren von Anna Seghers, Klaus Schlesinger, Gert Neumann und Wolfgang Hilbig. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN: 978-3826029691
  • Zimmermann, Bernhard: Spurensuche. Studien zur Rezeption antiker Literatur. Rombach Verlag, Freiburg 2009, ISBN: 978-3793095576

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