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Stream of Consciousness

Der Stream of Consciousness ist eine literarische Erzähltechnik, die den unkontrollierten und assoziativen Bewusstseinstrom einer Figur unmittelbar wiedergibt. Der Stream of Consciousness ist mit der erlebten Rede? und dem inneren Monolog verwandt, ohne jedoch mit diesen identisch zu sein.

Definition

Neckar am Hölderlinturm - (c) Gerald Drews

Als Stream of Consciousness oder Bewusstseinsstrom bezeichnet man in der Literaturwissenschaft eine Erzähltechnik, die die ungeordneten und assoziativ-strömenden Bewusstseinsinhalte einer literarischen Figur unmittelbar wiedergibt. Die Bewusstseinsinhalte setzen sich dabei hauptsächlich aus Gefühlen, Reflexionen, Erinnerungen, Assoziationen, Wahrnehmungen und überwältigenden spontanen Eindrücken (Schocks) zusammen, die sich typischerweise überlagern und aufgrund ihrer Unkontrolliertheit vom Leser ein hohes Maß an Aufmerksamkeit fordern.

Der Stream of Consciousness gilt als Weiterentwicklung des inneren Monologs, der bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine künstlerische Vollendung fand. Wie dieser verzichtet der Stream of Consciousness weitgehend auf eine Handlung im üblichen Sinne: Der Fokus der literarischen Darstellung richtet sich ausschließlich auf das bewegte und vielschichtige Innenleben der Figur, die Außenwelt ist dagegen oft nur als subjektiv gefärbtes Zerrbild zu erkennen. Für den Leser bedeutet diese Perspektive eine große Herausforderung, denn die lenkende oder erklärende Stimme des Erzählers ist nicht mehr vorhanden.

Massive Folgen für die Syntax

Der Stream of Consciousness gilt wie auch der innere Monolog als charakteristisches Merkmal der fortschrittlichen Literatur im 20. Jahrhundert, besonders des modernen Romans. Die Sprunghaftigkeit der Bewusstseinsvorgänge hat dabei auch Folgen für die Syntax: Sätze werden begonnen, aber nicht beendet; die Zeichensetzung folgt nicht den Regeln der Grammatik, sondern strukturiert den Bewusstseinsstrom auf andere, nicht selten willkürliche Weise, z. B. ein Komma nach jeder längeren Reflexion oder drei Punkte (…) vor und nach jedem blitzartig auftauchenden Gedanken. Häufig sind zudem Einschübe, die den Bewusstseinsstrom vorübergehend umlenken oder komplett in eine neue Richtung fließen lassen.

Der Stream of Consciousness ist mit der erlebten Rede? und dem inneren Monolog verwandt, wobei der innere Monolog als direkter Vorläufer gilt. Oft werden beide Begriffe – Stream of Consciousness und innerer Monologsynonym? gebraucht, was jedoch nicht richtig ist. Der Stream of Consciousness als literarische Erzähltechnik ist die zeitlich jüngere, radikalisierte Form des inneren Monologs. Radikalisierung bedeutet in diesem Fall: weitere Verknappung der Sprache, verstärkte Neigung zu Wortneuschöpfungen?, Lautmalerei? und Sprachspielen?.

Wann wurde der Roman geschrieben?
Alfred Döblin, Buchcover der Biographie - (c) dtv

In der Praxis ist es erfahrungsgemäß schwierig, beide Techniken voneinander zu unterscheiden. Üblicherweise hilft man sich damit, dass man auf die Entstehungszeit des Romans blickt: Hat man also z. B. Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1929) vor Augen, spricht man bei den in Frage kommenden Textstellen von innerem Monolog; hat man es dagegen mit Luis Martín-Santos Riberas? „Tiempo de silencio“ (1961) zu tun, spricht man von Stream of Consciousness. Die Bezeichnung Stream of Consciousness ist vor allem in der englisch- und spanischsprachigen Literatur anzutreffen.

Entstehung

Virginia Woolf, fotografiert von g. c. Beresford 1902 - (c) Gemeinfrei

Der Terminus Stream of Consciousness stammt aus dem späten 19. Jahrhundert: Der amerikanische Philosoph und Psychologe William James (1842-1910) verwendete den Begriff, um eine erzähltechnische Besonderheit in Édouard Dujardins? Roman „Les lauriers sont coupés“ (1888) zu charakterisieren. Dujardin? war einer der ersten Schriftsteller, der einen Bewusstseinsstrom zu gestalten versuchte – und damit zum Vorbild für bahnbrechende Autoren des folgenden Jahrhunderts wie Arthur Schnitzler? („Leutnant Gustel“, 1901), James Joyce („Ulysses“, 1922), Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“, 1929) und Virginia Woolf („Mrs Dalloway“, 1925) wurde, die das neue Stilmittel begeistert aufgriffen und mit großer Lust am Experiment weiterentwickelten.

Foto: Wikipedia.org

Entwicklung

Wie erlebte Rede? und innerer Monolog ist auch der Stream of Consciousness besonders gut geeignet, um das bewegte und vielschichtige Innenleben einer literarischen Figur offenzulegen. Häufig kommen dabei seelische Zustände, Entwicklungen und Phänomene zum Vorschein, die in der Literatur des 19. Jahrhunderts und der Zeit davor überwiegend im Verborgenen geruht hatten. Auffälligerweise richtet sich das Interesse der Autoren meist auf Figuren, die mit seelischen Problemen – in den unterschiedlichsten Abstufungen und Varianten – zu kämpfen haben. Sexuelle Tabus werden dabei ebenso ausführlich thematisiert wie verdrängte Kindheitserinnerungen, schwelende Identitätskonflikte und das fast schon chronische Leiden an den psychischen Zumutungen der modernen, „zivilisierten“ Welt.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Terminus Stream of Consciousness in den Wortschatz? der Literaturwissenschaft übernommen, jedoch ohne ihn klar und unmissverständlich vom inneren Monolog abzugrenzen. Ein wichtiges literaturtheoretisches Grundlagenwerk stammt von Robert Humphrey?, der 1954 seine Studie? „Stream of consciousness in the modern novel“ veröffentlichte. Humphrey? untersucht darin das Verhältnis von moderner Literatur, insbesondere des Romans, und dem Bewusstseinsstrom. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass der Stream of Consciousness durch die unkontrollierte Wiedergabe von Bewusstseinsinhalten der modernen Literatur viele neue Themenfelder und Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet hat.

Literatur

  • Joyce, James: Ulysses. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN: 978-3518458167
  • Koeppen, Wolfgang: Tauben im Gras. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN: 978-3518371015
  • Schnitzler, Arthur: Leutnant Gustl. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN-13: 978-3596149414

Sekundärliteratur

  • Eroms, Hans-Werner: Stil und Stilistik. Eine Einführung. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007, ISBN: 978-3503098231
  • George, Elizabeth: Wort für Wort - oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben. Goldmann Verlag, München 2004, ISBN: 978-3442416646

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