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Utopie

Die literarische Utopie schildert einen gesellschaftlichen Idealzustand, der meist als Gegenentwurf zur historischen Wirklichkeit konzipiert ist. Man unterscheidet zwischen Zeit- und Raumutopien. Eine Sonderform ist die Dystopie.

Definition

Thomas Morus' Utopia - (c) Anaconda

Die literarische Utopie („Nichtort“ von gr. u = nicht; tópos = Ort) schildert einen gesellschaftlichen Idealzustand, der meist als Gegenentwurf zur vorhandenen Gesellschaft angelegt ist. Der Begriff leitet sich von Thomas Morus’? Staatsroman „De optimo statu reipublicae deque nova insula Utopia“ (1516; dt. „Utopia“, 1612) ab. Die Bezeichnung hat sich jedoch erst relativ spät durchgesetzt: In Frankreich tauchte sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf, in Deutschland sogar erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die utopische Handlung ist meist an einem entrückten „Nichtort“ in der Zukunft angesiedelt, z. B. auf einem unbekannten Stern oder auf einer einsamen Insel. Die Verlagerung der Handlung an einen in der Realität nicht vorhanden Ort hat für den Autor zwei Vorteile: Zum einen ist die Existenz idealer Zustände in einer unbestimmbaren zeitlichen und räumlichen Entfernung wahrscheinlicher als in der Lebenswirklichkeit, außerdem wird die Kritik an den gegenwärtigen Zuständen deutlich abgeschwächt. Letzteres kann wichtig sein, falls der Autor in einem Land lebt, in dem unliebsame Kritiker mit Repressalien bedroht werden.

Zeitutopien und Raumutopien

In der Literaturwissenschaft ist es üblich, zwischen zwei Arten von Utopien zu unterscheiden: Man spricht von Raumutopien (z. B. Tommaso Campanella? „La città del sole“, 1602; dt. „Der Sonnenstaat“, 1789) und Zeitutopien (z. B. Louis-Sébastien Mercier? „L’an deux mille quatre cent quarante. Rêve s’il en fût jamais“, 1771; dt. „Das Jahr 2440. Ein Traum aller Träume“, 1772), wobei in der literarischen Praxis Mischformen keine Seltenheit sind. Der literarhistorisch bedeutsame Übergang von Raum- zu Zeitutopien vollzog sich in Europa im späten 18. Jahrhundert.

Bevorzugte Gattung ist die Prosa, besonders der intellektuell anspruchsvolle Staatsroman. Erst das 19. Jahrhundert brachte Utopien auch im Bereich von Lyrik und Drama hervor. Strukturelle Berührungspunkte gibt es vor allem mit Reiseliteratur, Science Fiction und phantastischer Literatur, wobei die Übergänge zwischen den Genres fließend sind. Kennzeichnend für die Utopie ist die starke Betonung des gesellschaftspolitischen Anliegens, dem die technischen und phantastischen Details untergeordnet werden.

Eine populäre Sonderform der Utopie ist die Dystopie, auch Anti-Utopie oder schwarze Utopie genannt, deren Anfänge im 19. Jahrhundert liegen. Am bekanntesten sind wohl die anti-utopischen Romane von Aldous Huxley? („Brave new world“, 1932; dt. „Schöne neue Welt“, 1932) und George Orwell? („1984“, 1949; dt. „1984“, 1950).

Entstehung

Als wichtigster Vorläufer der utopischen Literatur gilt Platons? Beschreibung eines Idealstaates im Dialog? „Politeia“ (um 370 v. Chr.). Eine erste Blütezeit erlebte der utopische Roman im frühen 17. Jahrhundert, angeregt vor allem durch Thomas Morus’? optimistischen Staatsroman „Utopia“. Zu einem Klassiker der utopischen Literatur avancierte Francis Bacons? Roman „Nova Atlantis“ (postum 1627; dt. „Neu-Atlantis“, 1890), dessen Titel sich auf die sagenhafte, im Ozean versunkene Insel Atlantis bezieht. Als erster Autor stellte Bacon? die vollständige Beherrschung der Natur durch den Menschen in den Mittelpunkt eines literarischen Werkes?.

Entwicklung

Ein charakteristischer Grundzug der literarischen Utopien des 16. und 17. Jahrhunderts war ihr Optimismus. Dieser unerschütterlichen Zukunftsgläubigkeit begegneten Autoren wie Jonatahn Swift? („Gulliver’s Travels“, 1726; dt. „Gullivers Reisen“, 1727/1728) mit beißender Satire. Wegen der ironisch? gefärbten Abgründigkeit seines Welt- und Menschenbildes wurde Swift? heftig attackiert: Kritiker warfen ihm pathologische Misanthropie vor! Heute indes gilt Swifts? ungemein phantasievoller Roman nicht nur als herausragende literarische Utopie, sondern – in gekürzter Form – auch als eines der weltweit populärsten Kinder-? und Jugendbücher.

Zu viel Hedonismus für Goethe

Das 18. Jahrhundert war reich an anspruchs- und zugleich phantasievoller utopischer Literatur. Neben Swift? sind vor allem Ludvig von Holberg? („Nicolaii Klimii iter subterraneum“, 1741; dt. „Niels Klims unterirdische Reise“, 1741) und Wilhelm Heinse? („Ardinghello und die glückseligen Inseln“, 1787) von Bedeutung. Im Mittelpunkt von Heinses? Roman stehen genuss- und sinnenfrohe Tatmenschen, die in einem verklärten Italien des 16. Jahrhunderts vielerlei Abenteuer zu bestehen haben. Der utopische Gehalt des Romans tritt vor allem in Gesprächen der Figuren hervor. Goethe lehnte Heinses? Roman übrigens strikt ab. Der Grund: die unverblümt hedonistischen Schilderungen.

Die moderne Naturwissenschaft sowie neue politische und soziale Ideen fanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts rasch Eingang in literarische Utopien. Viele dieser Werke? waren geprägt von einem Fortschrittsoptimismus, der an die Bücher von Thomas Morus? und Francis Bacon? denken lässt. Einen großen Erfolg beim Publikum? feierte Edward Bellamy? mit seinem Roman „Looking Backward 2000-1887“ (1888; dt. „Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887“, 1890), in dem Themen wie Technik und Psychologie, Wirtschaft und Zeitreise miteinander verwoben werden. Bellamy? – wie überhaupt viele Autoren utopischer Literatur im späten 19. Jahrhundert – weisen in ihren Werken? einen Weg zur Science Fiction.

Utopie oder Dystopie?

Seit dem 19. Jahrhundert traten neben den utopischen Roman weitere Gattungen: Edgar Allan Poe brachte die Utopie in die Lyrik („Eldorado“, 1849), Elias Canetti? in das Drama („Die Befristeten“, 1964). Auch thematisch entwickelte die Utopie sich rasant weiter: Die Angst vor einer nuklearen Katastrophe sowie ökologische und feministische Ideen rückten im 20. Jahrhundert mehr und mehr in den Mittelpunkt. Als besonders gelungen gilt Doris Lessings Roman „The Marriages Between Zones Three, Four, and Five“ (1980; dt. „Die Ehen zwischen den Zonen drei, vier und fünf“), der soziale und feministische Utopien miteinander verbindet.

Die Literaturwissenschaft steht heute vor einem nicht unerheblichen Problem: Viele utopische Werke? sind Mischformen, die sowohl utopische als auch dystopische Elemente enthalten, weshalb eine eindeutige Kategorisierung oft nicht möglich ist.

Literatur

  • Campanella, Tommaso: Die Sonnenstadt. Reclam Verlag, Ditzingen 2008, ISBN: 978-3150185100
  • Heinse, Wilhelm: Ardinghello und die glückseligen Inseln. Reclam Verlag, Ditzingen 1986, ISBN: 978-3150097922
  • Morus, Thomas: Utopia. Reclam Verlag, Ditzingen 1986, ISBN: 978-3150005132 oder Anaconda Verlag, Köln 2009, ISBN: 978-3866473676

Sekundärliteratur

  • Dethloff, Uwe: Literatur und Natur - Literatur und Utopie. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005, ISBN: 978-3823361541
  • Gnüg, Hiltrud: Utopie und utopischer Roman. Reclam Verlag, Ditzingen 1999, ISBN: 978-3150176139
  • Sprengel, Peter und andere (Hrsg.): Anarchismus und Utopie in der Literatur um 1900. Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, ISBN: 978-3826030505

Weitere Enträge zum Stichwort:

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