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Zusammen ist man weniger allein

von<br> Anna Gavalda

Eine Künstlerin, die in einer Putzkolonne arbeitet, ein Koch, der Frauen vernascht wie Sahnetörtchen, und der Spross einer verarmten Adelsfamilie, der im heutigen Paris ganz und gar verloren erscheint. Drei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, die in ihren Schrullen den kleinsten gemeinsamen Nenner finden: Aus dieser Konfiguration entwickelt Anna Gavalda? eine (Über)Lebensgeschichte dreier Desperados einer Wohngemeinschaft in der Peripherie des Eiffelturms.

Weil Philibert Marquis de La Durbellière vorübergehend eine riesige Wohnung bezogen hat, vermietet er ein Zimmer an Franck. Und weil er genug Platz hat in dem 300 Quadratmeter großen ererbten Appartement mit musealem Charakter, das später verkauft werden soll, nimmt er auch Camille auf. Die 26-Jährige ist künstlerisch sehr begabt, körperlich jedoch ziemlich heruntergekommen. Aus der Zweckgemeinschaft zwischen dem praktisch bewanderten Franck und dem vergeistigten, schüchternen Marquis entwickelt sich durch Camilles Einzug langsam eine verschworene Lebensgemeinschaft.

Verrücktes Trio mit tragischem Familienhintergrund

Franck schiebt sonntags Extraschichten im Feinschmeckerlokal, ist Motorradfan und alles andere als ein Frauenverächter. Seine Großmutter, die nach einem Oberschenkelhalsbruch ins Altenheim muss, liebt er über alles. Philibert gleicht einem Wesen, das über den Wolken schwebt. Er fängt zu stottern an, sobald er aufgeregt ist. Trotz seines gigantischen Wissens verkauft er Postkarten. Camille ist magersüchtig und wirkt auf die beiden Männer undurchschaubar, weil sie ihre Vergangenheit verschweigt. Als Putzfrau wringt sie Scheuerlappen aus, leert Aschenbecher, verschnürt Müllbeutel und räumt auf, was aufzuräumen ist. So sucht sie Ordnung in ihr inneres Chaos zu bringen. Sie verspürt weder Hunger auf Essen noch auf das Leben. Gemeinsam ist dem verrückten Trio ein tragischer familiärer Hintergrund.

Als sich die pflegebedürftige Großmutter Francks zur WG hinzugesellt, ist das Quartett perfekt. Die einquartierte 86-Jährige entrinnt so dem Altenheim und wird unter den jungen Leuten ihre letzten glücklichen Tage genießen.

Manchmal ist das alltägliche Miteinander schwierig. Alle vier Bewohner streiten sich, um sich wieder miteinander zu versöhnen. Beim Lesen spürt man direkt, wie es zwischen Camille und Franck knistert, bevor sich die erotische Spannung in Wutausbrüchen entlädt. Eines Tages verführt der röhrende Meisterkoch die intellektuelle Malerin mit seinen Kochkünsten - nicht nur zum Essen. Und irgendwann entlockt er ihr Geheimnisse. Ob es Liebe ist, weiß man nicht. Sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht – oder ist es vielmehr umgekehrt? Auch wenn manches zwischen den Zeilen zu lesen ist, bekommt man die Antwort doch erst am Schluss.

Menschlich - doch manchmal zu sehr menschelnd

Beginnen müsste „Zusammen ist man weniger allein“ eigentlich mit „Es war einmal …“ Alle Figuren hätten ein märchenhaftes Happy End? verdient in diesem zutiefst menschlichen Roman, der nur eben manchmal zu sehr menschelt. Verbales Triptychon, Entwicklungsgeschichte, Charakterstudie?: Jeder Begriff trifft zu. Nur leider ist die Figur der Camille, die malend ihre Krise überwindet, allzu klischeehaft gezeichnet. Auch Franck – der Typ „harte Schale, weicher Kern“ – ist uns in der Literaturgeschichte schon des Öfteren über den Weg gelaufen. Philibert entspricht dem Motiv? des Narren? in der klassischen Komödie: Gemeinsam bilden sie eine Triade? liebenswerter Antihelden, die sich aufraffen, das Leben zu meistern und der Einsamkeit zu entrinnen: „Wenn man ins Wasser fällt, so muss man warten, bis man am Boden angelangt ist, um sich wieder abstoßen zu können.“ In der Bastion und der Geborgenheit einer WG, die als Familienersatz fungiert, gelingt das den Bewohnern viel besser als zuvor. Auch die Großmama wird integriert. So ist der Roman all jenen Verzweifelten gewidmet, die die Büchse der Pandora? schnell zugemacht haben, um die Hoffnung behalten zu können.

Gedankensprünge und Innere Monologe

Teils komisch, teils traurig, aber immer charmant, hat Anna Gavalda einen Schreibstil mit vielen Absätzen und Gedankensprüngen gewählt. Ein Stilmittel?, das noch unterstreicht, wie skurril - und auch sprunghaft - die Charaktere sind. Zuweilen sind innere Monologe und lose Gedanken fragmentarisch? aneinandergereiht. Die großen Stärken überwiegen aber bei weitem die kleinen Schwächen des einfühlsamen Buches, das unterhält und zudem hält, was der feste Platz auf der Bestsellerliste? verspricht.

Wenn Camille einen Junkie porträtiert, dann hört man buchstäblich, wie die Zeichenfeder auf dem Papier kratzt. Wenn Philibert sich auf der Theaterbühne seelisch und körperlich entblättert, dann avanciert er zum Helden, den man umarmen möchte. Und wenn Franck fluchend die feinsten Speisen zubereitet, dann taucht man ganz tief ein in die bizarre Welt der Protagonisten, die so verrückt gar nicht sind.

Anna Gavalda kredenzt hier nach dem Überraschungserfolg „Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet“ und dem Nachfolgeband „Ich habe sie geliebt“ eine wunderbar ersponnene Lektüre. Ein außerordentlicher Roman über chaotische Außenseiter, dessen Verfilmung mit Audrey Tautou als Camille (Regie: Claude Berri) im Sommer 2007 ebenfalls gute Kritiken erhielt.

Literaturangaben

Zusammen ist man weniger allein. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 5. Aufl. 2006. 558 S,. 9,95 €, ISBN: 978-3596173037

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