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Gedichte
Hörbuch mit den lyrischen Gesamteinspielungen von<br>A. J. Weigoni
A.J. Weigoni erlag der Faszination des Mediums Radio in seinen Kindertagen, als der Rundfunk zu einem Zauberinstrument des Wortes wurde, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem der Vernunft. Er saß vor einem Rundfunkempfänger mit „Tigerauge“ wie vor einer Kultstätte und vergaß, als er vor dem Lautsprecher saß, die Apparaturen und Stationen. Das Medium Radio erlebte er als zauberhaft und seine Unmittelbarkeit als bestechend. Wenn er den Empfang optimieren wollte, mußte er nur geradewegs ins magische Auge des Empfangsgeräts schauen, das aufging oder sich schloss, wie eine sogenannte Abstimmanzeigeröhre, welche die Stärke des Signals veranschaulichte. Der Himmel war nicht nur der Himmel der Erde, sondern auch das Firmament der Kunst.
Der erste Schriftsteller, der den künstlerischen Wert der CD erkannte war A.J. Weigoni. In 1991 produzierte er mit dem Komponisten Frank Michaelis Literatur Clips auf CD (der Claim Hörbuch war noch nicht abgesteckt) realisierte. 1995 begann die Zusammenarbeit zwischen Täger und Weigoni. Mit dem Hörbuch Gedichte zeitigt sich ein sinnfälliger Zirkelschluß, bei dem Täger als Hörspielkomponist mit Señora Nada eine Musik der befreiten Melodien zelebiert.
Tom Täger braucht die Vielfalt seiner Instrumentalpalette. Seine Kompositionen sind nicht bloße Begleitung, sondern strukturierend und dispositiv; die Musik hat keinen illustrativen Charakter. Dies zeigt sich beim Hörspiel Unbehaust bei dem Täger ausschließlich Papiergeräusche verwendet hat Die Asiaten verehren das Papier für diese Schwäche, Papier hat sich auf die Seite unserer Verwundbarkeit und Sinnlichkeit gestellt. Papier fühlt sich angenehm an und riecht gut. Papierseiten entsprechen dem menschlichen Lesetempo, unserem Rhythmus. Aus diesem Rhythmus entwickelten Weigoni und Täger ein Monodram gegen den kulturellen Gedächtnisverlust.
A.J. Weigoni erinnert auf dem Cover des Hörbuchs mit seiner dichten Lockenmähne nicht nur an einen attraktiv gealterten Rockstar, das selbstironisch verwendete Vor-Bild findet sich auf einem Gemälde, Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock aus dem Jahr 1500. Der alte Meister hat mit diesem Sinnbild von sich das Selbstverständnis des modernen Künstlers erfunden. Der Photokünstler Leonard Billeke hat mit Weigoni dieses gemalte Selfie nachgestellt. Aus AD wurde der digitale Widergänger AJ. Walter Benjamins Frage nach der Verlust der Aura stellt sich im Zeitalter der Selbstphotographie auf neue Weise, dies korrespondiert mit Weigonis Diagnose, die er mit seiner Poesie stellt: dem Verlust der Individualität.
Das Hörbuch Gedichte umfaßt mit vier C Ds? eine Spieldauer von 270 Minuten, das mag in den Ohren derer, die “einfach nur genießen” wollen, abschreckend klingen. Aber wer so denkt, bringt sich um den Genuß der Erkenntnis. Dieses Hörbuch ist eine Zumutung, der man sich unbedingt stellen sollte. Vom Sprechsteller selbst hören wir die Rezitation der Trilogie Schmauchspuren, Dichterloh und Letternmusik. Weigoni bewegt sich auf dem Hörbuch Gedichte in der Intermedialität von Musik und Dichtung, er sucht mit atmosphärischem Verständnis die Poesie im ältesten Literaturclip, den die Menschheit kennt: dem Gedicht.
Literaturangaben
- Weigoni, A. J.: Gedichte, Hörbuch mit den lyrischen Gesamteinspielungen. Erhältlich über: info (at) tonstudio-an-der-ruhr.de
- Einführung in das akustische Werk des Sprechstellers
- Eine Würdigung des Lyrik-Schubers von A.J. Weigoni durch Jo Weiß findet sich auf kultura-extra.
- Margeratha Schnarhelt ergründelt auf fixpoetry die sinnfällige Werkausgabe
- Mehr zur handwerklichen Verfertigung auf vordenker
- Hintergrundgespräch zu "Gedichte" in der Lyrikwelt
- Sebastian Schmidt hat Weigoni zu einem Gespräch in die Reihe "Der lyrische Mittwoch" eingeladen
- Jens Pacholsky arbeitet mit dem Autor heraus, warum Hörbücher die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters sind
- Hoerprobe Schmauchspuren
- Hoerprobe Dichterloh
- Hoerprobe des Remixes
- Holger Benkel lotet in Weigoni Werk "rettungsversuche der literatur im digitalen raum" aus
- Christine Kappe regte Weigonis Werk zu einem "Substilat" an
- Francisca Ricinski würdigt den Mittelteil der Hörbuch-Trilogie
- Essay von A.J. Weigoni über das Verfertigen der Poesie
Links zu den Monodramen:
- Oden an die Zukunftsseelen - Die schwärmerische Lyrik Kaiserin Elisabeths
- Unbehaust - Monodram
- Eine Würdigung der Langgedichte und Zyklen
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