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Lob der Disziplin. Eine Streitschrift

von<br> Bernhard Bueb

Die Erziehung von Kindern: Kaum ein Thema beschäftigt so viele Menschen, seien sie selbst aktiv beteiligt oder nicht. Jeder hat eine Meinung dazu und jeder hält sich auch für berufen, sich zum Thema zu äußern. Früher, in den Jahren vor 1970, war der Codex einer "richtigen" Erziehung nicht so sehr schriftlich als in einer kollektiven Mentalität verankert, es gab recht bindende unausgesprochene Übereinkünfte über Methoden und Ergebnisse.

Seit den 1970er Jahren wich dieser allgemeine Konsens einem fast revolutionären Umbruch, der vor allem eine starke Verunsicherung in den Kreisen der Erziehenden zur Folge hatte. Seit damals boomen Erziehungsberater, Ratgeber in Form von Sachbüchern und periodischen Magazinen?, bei denen allein ein monatlicher Umfang von jeweils mehr als 200 Seiten? eine große "Variabilität" der Vorschläge und Rezepte erwarten lässt. Doch dieses Überangebot an Empfehlungen und Konzepten hat – so lautet die allgemeine Einschätzung unabhängig vom jeweiligen Standort – nur zu weiterer Unsicherheit und teilweise katastrophalen Ergebnissen in Erziehung und Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen geführt.

Auch das allgemeine Jammern über "schlecht erzogenen Nachwuchs" hat Tradition, solche Stimmen finden sich seit dem Altertum durchgängig in der Literatur. Waren aber früher vor allem Differenzen zwischen Forderungen der Erwachsenen und Erziehungsergebnissen bei Kindern und Jugendlichen Stein des Anstoßes, so wächst heute die Einsicht, dass unerwünschtes Verhalten des Nachwuchses weniger auf falsche Erziehungsmethoden als auf das völlige Fehlen einer so zu bezeichnenden "Erziehung" zurückzuführen sind.

Das ist zumindest der gedankliche Ansatz der Streitschrift? von Bernhard Bueb?, die hier – ebenfalls mit der erklärten Absicht einer Streitauslösung – vorgestellt werden soll. Der Autor, promovierter katholischer Theologe und Philosoph und über 31 Jahre Leiter des Internates Schloss Salem am Bodensee, wirft heutigen Erziehern in Familie, Kindergarten und Schule den völligen Verzicht auf Erziehung im Sinne von Anleitung, Formung und Zielgerichtetheit vor, eine Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit, die zu ebensolchen Folgen bei den Jugendlichen führt. Buebs These ist, dass eine "demokratische" Erziehung ohne Hierarchie, Respekt, Disziplin, Regeln und deren sanktionierte Befolgung nicht möglich ist. Er verweist auf Goldings? "Herr der Fliegen", das zeigt, wie eine sich selbst überlassene, sich selbst organisierende und ordnende Gruppe junger Menschen sich von Zivilisation und Kultur abwendet und im Chaos versinkt.

Bueb spricht davon, dass kulturelle wie zivilisatorische Werte sich nicht ohne Arbeit und Selbstdisziplin entwickeln, dass in jugendlichem Alter keine "automatische" Strukturierung und Orientierung in diese Richtung ohne erwachsenen Einfluss und Anleitung erfolgen wird. Das klingt für Ohren zu Beginn des 3. Jahrtausends ungewohnt, ja provozierend und kann sofort als antiquiert und erzkonservativ abqualifiziert werden. Wer sich aber die Mühe macht, über Buebs Thesen länger nachzudenken, stellt fest, dass der Autor viele Dinge richtig diagnostiziert und keineswegs mit vorgestrigen Methoden arbeiten will. Nur eine differenzierte Betrachtung ohne ideologische Scheuklappen erlaubt eine kritische Prüfung der einzelnen Aspekte. Und Bueb kann auf eine reiche Auswahl entsprechender Erfahrungen zurückgreifen, die im Buch auch ausführlich geschildert werden: Fälle, in denen die gängigen Systeme versagten und ganz ungewohnte Ansätze zu erstaunlichen Erfolgen führten.

Natürlich sträubt sich sicher manchem das Gefieder, wenn strenger Disziplin und klaren Regeln das Wort geredet wird, wenn Hierarchien und Privilegien gutgeheißen werden und Strafen (keine körperlichen und emotionalen allerdings!) für Regelverletzungen befürwortet werden. Andererseits spricht sich Bueb ganz entschieden für Ganztagsbetreuung schon in frühestem Alter, für Gemeinschaftserziehung und pflichtmäßige Teilnahme an außerschulischen Veranstaltungen aus, sachlich dezidiert begründet und nachvollziehbar dargestellt. Er fordert auch nicht nur eine alle Lebensbereiche umfassende Bildung der Kinder und Jugendlichen, sondern auch einen ebensolchen Einsatz von Seiten der Erzieher.

Spätestens an dieser Stelle versteht man, warum Bueb sein Buch eine "Streitschrift" nennt: Er ist bereit, es sich mit allen zu verderben, aber er weiß und sagt, warum er dazu bereit ist. Sein Ziel ist nicht ein Rückfall in konservativ-repressive Duckmäuserschemata, sondern die Rettung einer verantwortungsvoll und aus Überzeugung demokratisch gestalteten Zukunft, die mit gutem Grund vielen aufmerksamen Betrachtern der menschlichen Entwicklung mehr und mehr bedroht erscheint. Dieses Buch und seine Thesen sind die kritische Prüfung und sachliche Auseinandersetzung wert!

Abschließend noch einige persönliche Erfahrungen mit diesem Buch: Der Rezensent war von vielen Einzelpunkten so beeindruckt, dass er vielen seiner Bekannten davon erzählte. Die Folge waren drei unterschiedliche Reaktionen, die sich möglicherweise verallgemeinern lassen und die auch eine gewisse Aussage beinhalten. Eltern waren begeistert und wollten sich sofort das Buch kaufen. Kinder und Jugendliche platzten fast vor Entrüstung und wollten ihren Eltern die Lektüre verbieten. Lehrer, die die Thesen hörten, runzelten die Stirn und schienen ein bisschen erschrocken, wenngleich ein leises Glitzern in den Augen ihr Interesse verriet ...

Originalbeitrag unter www.alliteratus.com

Literaturangaben

  • BUEB, BERNHARD: Lob der Disziplin. Eine Streitschrift. Ullstein Tb Verlag, Berlin 2008, 173 Seiten, 8,95 €., ISBN: 978-3548369303

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