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Schöne Verhältnisse

von<br> Edward St. Aubyn

Kann es denn möglich sein? Hinter der vornehmen Fassade der englischen High Society, dem kultivierten Lebensstil und den ausgesuchten Umgangsformen, klafft ein Abgrund aus Boshaftigkeit, Perversion und nackter Verzweiflung?

Die feine Gesellschaft bot schon vielen Werken der Literatur reichlich Stoff für Dramen und hinterlistige Satiren, doch vermutlich wurde nur selten soviel Spaß an der Demontage der Oberen Zehntausend verbreitet wie in Edward St. Aubyns? Erstling? „Schöne Verhältnisse“, der fünfzehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun auch in deutscher Übersetzung erscheint, und zwar beim Kölner DuMont Verlag?.

Trügerische Harmonie

Auf den ersten Blick verströmt die Villa der englischen Aristokratenfamilie Melrose eine Atmosphäre friedvoller Idylle. Harmonisch in die mit Weinhängen und Olivenhainen geschmückte Landschaft Südfrankreichs platziert, beherbergt sie den in die Jahre gekommenen Hausherrn David, einen dem Sadismus zugeneigten Zyniker par excellence, der beim Lächeln aggressiv die Zähne bleckt, seine Frau Eleanor, die sich mit Aufputsch- und Anti-Panik-Tabletten sowie der ein oder anderen Flasche Cognac durch den Tag schleppt, und schließlich den notorisch vernachlässigten, fünfjährigen Sohn Patrick, der eine verdächtige Neigung zum halsbrecherischen Balancieren an abschüssigen Hängen und tiefen Brunnenschächten entwickelt und seine Spielkameraden gern in Gruben voller zerbrochener Rasierklingen stößt.

Alles in allem also ein passender Ort für ein exquisites Dinner unter patrizischen Freunden, so man denn in diesen Kreisen von „Freunden“ sprechen kann. Der Intellektuelle Victor Eisen, als jüdischer Emporkömmling abqualifiziert, gehört all seinen Bemühungen zum Trotz eigentlich nicht recht zur gesellschaftlichen Crème de la Crème und wird auf diversen Empfängen, so sich die Gelegenheit findet, regelmäßig gedemütigt. Seine Beziehung zur amerikanischen Journalistin Anne, die den gesellschaftlichen Ambitionen ihres Freundes mit skeptischer Missgunst begegnet, entbehrt jeglicher Höhepunkte und dümpelt ereignislos vor sich hin, während die philosophische Untersuchung – ein höchst komplexes Werk über die Identität – , mit der Victor angestrengt ringt, überhaupt nicht voran kommt, wohl auch aus dem Grunde, da ihm seine eigene Identität einige Rätsel aufgibt.

Das dritte Pärchen in der erlesenen Abendgesellschaft besteht aus dem dreifach geschiedenen, höchst versnobten Nicholas Pratt, einem alten, ergebenen Vertrauten von David Melrose, und seiner um mehrere Jahrzehnte jüngeren Geliebten Bridget – die Midlife-Crisis grüßt –, einer quirligen Zwanzigjährigen, die mit den pseudo-gebildeten Spitzfindigkeiten der feinen Gesellschaft wenig anzufangen weiß und sich die Zeit des Ausflugs lieber mit Kiffen und Masturbation vertreibt. So recht ist Nicholas wohl selbst nicht klar, wie er und die eher ungebildete Bridget eigentlich zusammen passen sollen und ob er nicht zu viel riskiert, sie als Begleitung zu dem prestigeträchtigen Abendessen mitzunehmen. So überkommen ihn während der Anreise am Marseiller Flughafen tiefgründige Überlegungen, die von fern an die philosophischen Gedankenspiele Victors erinnern: „Er verspürte ein vertrautes Sehnen nach einer gebildeten Frau Anfang dreißig, die in Oxford Geschichte studiert hatte; dass er sich bereits von zwei solchen Frauen hatte scheiden lassen, tat seiner unmittelbaren Begeisterung keinen Abbruch. Vielleicht hing ihr Fleisch schon etwas schlaffer am Knochen, aber die Erinnerung an intelligente Unterhaltungen quälte ihn wie der Geruch üppiger Speisen, der in ein vergessenes Verlies weht. Warum zog es ihn immer an die Orte, die er gerade verlassen hatte? Er wusste, die Erinnerung an Bridgets Körper würde ihn rasch mit der gleichen Wehmut erfüllen, wenn er jetzt mit einer Frau in den Bus stiege, deren Konversation erträglich wäre.“

Faszinierende Verkommenheit

Die besondere Qualität von Edward St. Aubyns Debütroman? liegt in seinen klaren, demaskierenden Beobachtungen, den feinen sprachlichen Spitzen, die den fragwürdigen Charakter seiner boshaften Figuren offen legen, und das mit einer Freude, die sicher selbst nicht ganz frei ist von jener maliziösen Genugtuung, die sich bei David Melrose oder seinem Gefährten Nicholas Pratt nach einer gelungenen Attacke Platz macht. Die Freude, die St Aubyn dabei versprüht, ist absolut ansteckend. Seine Sprache ist von einer schwarzhumorigen Finesse, die typisch englisch zu sein scheint und glücklicherweise ohne moralinsauren Unterton auskommt.

Man könnte durchaus meinen, dass der Autor – selbst Harvard-Absolvent und in besseren Kreisen in England und Südfrankreich aufgewachsen – genau weiß, worüber er schreibt. Die feinen Rituale lustvoller Unterwerfung sind sowohl stimmig als auch, abseits ihrer Grausamkeit, herrlich komisch. So serviert David Melrose seiner Frau, einer spontanen Laune folgend, das Essen schon einmal auf dem Fußboden, oder er zwingt Eleanor vor den Augen eines Freundes dazu, sich auf alle Viere zu begeben und die heruntergefallenen, halb zermatschten Feigen von den Terrassenfliesen zu verzehren, und das alles nur, weil sie unbedacht ihr Bedauern über die Verschwendung des Gartenobstes geäußert hat. Auch die äußeren Beschreibungen der Figuren sind pointiert und einfallsreich, entlarven hinter ihrem Erscheinungsbild zugleich eine charakterliche Wesensart. So heißt es über eine etwas linkische, monströse und gleichermaßen hinterlistige Randfigur?, den Inder Vijah: „Sein breit grinsender Mund war zugleich grob und gefühllos. Wenn er zu lächeln versuchte, konnten sich seine violetten Lippen nur kräuseln und krümmen wie ein modriges Blatt, das ins Feuer geworfen wird.“ Über das Gesicht eines steuerflüchtigen englischen Herzogs heißt es, es sehe aus „wie Crème Brûlée, wenn man zum ersten Mal mit dem Löffel draufgeschlagen hat“.

Edward St. Aubyns literarische Welt ist ein Panoptikum an kuriosen Gestalten, erfüllt von eleganter Niedertracht, verrenkt in verzweifelter Anstrengung, dem gesellschaftlichen Bild ihres Standes zu entsprechen, und anmaßenden Versagern, die in ihrer eigenen funkelnden Oberflächlichkeit verloren gehen. Dennoch, und darin liegt die vielleicht größte Leistung ihres Autors, macht es eine teuflische Freude, ihrem boshaften Treiben beizuwohnen. Natürlich sind nicht alle Figuren gleichermaßen verkommen, das Intellektuellenpaar Victor und Anne balanciert die Exzentrik der Gegenseite ebenso aus wie die recht unbekümmerte Bridget, die etwas unbedarft, aber völlig mit sich im Reinen ist. Doch es sind die Scheusale David Melrose und Nicholas Pratt, die ihrer Verkommenheit zum Trotz oder gar, ganz im Gegenteil, aufgrund ihrer Verkommenheit, den stärksten Eindruck hinterlassen. Sie sind abstoßend, ja, aber in der Art von faszinierenden Reptilien, von denen man den Blick nicht lassen kann.

Literaturangaben

  • Edward, Aubyn St.: Schöne Verhältnisse. Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke. Du Mont Verlag, Köln 2007. 188 S., 17,90 €, ISBN: 978-3832180126

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