diesen Kommentar bitte stehen lassen

Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | D | Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir


Bitte Krümelpfad oben nicht verändern, erst ab hier nach unten Texte ändern

Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir

von<br> Jonathan Franzen

Es geht gar nicht anders. Man muss Franzen Jonathan? sympathisch finden. Wer ihn im März auf seiner Deutschland-Präsentation von „Die Unruhezone“ in einem von mehreren Literaturhäusern? erlebte, der konnte sich des jungenhaften Charmes des New Yorkers Erfolgsschriftstellers und Großromanciers? nicht entziehen. Und eine mehrhundertköpfige Hörerschar – überall waren die Säle ausverkauft – im Nu um den kleinen Literatenfinger zu wickeln, dazu gehört einiges, und nicht nur Chuzpe, Intelligenz, reizende Kenntnisse der deutschen Sprache inklusive wohl beabsichtigter sexy Versprecher und die starke Neigung, über sich selber zu lachen.

Ich war das letzte

Und Letzteres exerziert Jonathan Franzen, der 2001 mit seinem FamilienromanDie Korrekturen?“ einen globalen Erfolg landete und dieses Genre fast im Alleingang neu belebte – mit Auswirkungen bis heute; man lese nur einmal die Debütromane? deutscher Autorinnen und Autoren des Jahrgangs 2007 wie Harriet Köhler? oder Thomas von Steinäcker? –, in seinem jüngsten Band „Die Unruhezone“ prächtig durch. Zum Genuss seiner Bewunderer und derer, die es noch nicht sind. Denn mit dieser „Geschichte von mir“ in sechs Geschichten ist ihm wieder einmal ein wunderbarer Wurf gelungen. Er festigt nachhaltig seine Reputation, eines der größten schriftstellerischen Begabungen seiner Generation zu sein.

Denn wie er entlang der oft genug feindlichen, bei ihm aber eng benachbarten Länder Tragik? und Komik? entlangsegelt, wie er Abseitiges verbindet mit kunstvoll umständlichen Betrachtungen, wie er die Autobiographie verquickt mit Politik, Popmusik und Charlie Brown?, wie er dabei ständig über sich selber, den vorwitzigen, nervig altklugen Jugendlichen, der vor einer Vielzahl von Sachen Angst hatte – von Spinnen bis größeren Mädchen und bestimmten Fächern –, und liebevolle subtile, keineswegs kritikfreie Porträts? seiner Eltern zeichnet, das ist ganz erstaunlich.

Ebenso erstaunlich wie seine Fähigkeit zu einem raffinierten dramaturgischen? Aufbau, was man allzu leicht übersehen mag. Ebenso erstaunlich ist sein Stil, seine außergewöhnliche Sprache, die auch in der schönen Übersetzung Eike Schönfelds? kaum etwas von ihrer Biegsamkeit, ihrer Reichhaltigkeit und ihrer Modulationsbreite, ihrer Fähigkeit plötzlich zu beschleunigen und dann wieder ganz besinnlich auf der Stelle zu treten, einbüßt.

Nicht nur ein Problem mit Vögeln

Dabei ist das, wovon er erzählt, ganz außerordentlich unterhaltsam. Selbst wenn er für der Ornithologie nur wenig Aufgeschlossene von seiner Neigung berichtet, in extenso Vögel zu beobachten, und zwar in Texas, in merkwürdiger Kluft und mit einer Statistik ausgestattet, bei der jede neue Vogelart sorgsam vermerkt wird, dann ist selbst dies, in der Schlusserzählung „Mein Vogelproblem“, ganz und gar hinreißend. Weil er eben so leicht über sich selber lachen kann und man darin als Leserin, als Leser gar nicht anders kann, als einzufallen, sich zu amüsieren (auf hohem Niveau), ohne den armen Jonathan, der mal wieder jeden Fettnapf unfreiwillig kennerisch ausprobiert, böse oder gar denunzierend auszulachen.

Denn dieser Jonathan aus einem weißen, gutmittelbürgerlichen Vorort von St. Louis war sein Lebtag ein recht armer Tropf, geplagt von Zahlreichem, vor allem von seinen Rückschlägen, erfolgreich mit seiner Umgebung zu interagieren und zu kommunizieren. Er gehörte, wie er das einmal schön frech formuliert, zur Fraktion des Sozialen Todes. Ohne dass ihm das allerdings jemand so ganz offen ins Gesicht sagte. Weil die anderen alle schon weg waren, sich rasch verzogen, bevor er, der Inbegriff des Peinlichen, des Klassenbesten, des intellektuellen Strebers, sich nahen konnte.

Ganz nah, recht fern

Natürlich ist das intim, manchesmal sogar ausgesprochen persönlich. Auch stellt sich hie und da die Frage: Muss das so ausufernd erzählt werden, wie etwa die Streiche einer kleinen Schülerguerillagruppierung, die mühsam versuchte, einen Stahlgürtelreifen über einen dreizehn Meter hohen Fahnenmast zu hieven? Aber auch das gehört zu (s)einer Kindheit und Jugend, die schließlich die Basis legte für den heutigen Erzähler und klugen Essayisten?. Der manchmal auch gar nicht so souverän auf den erinnerten Jon zurückschaut und schaudert und zugeben muss, dass sich da bis heute vielleicht doch nicht so viel geändert hat, wie es ihm lieb wäre. Gerade das lässt ihn weise erscheinen. Und kaum dass man sich’s versieht, hat der extrem kluge, extrem belesene Franzen einen auf ein ganz anderes Feld geführt, wo man sich selber erkennt.

Franzen erzählt ebenso unabgeklärt-heiter von sich als Liebhaberlusche und als Ehemann in einer ausgesprochen grässlichen Ehe. Selbst die Schmerzen, die Enttäuschungen, die Depressionen und die lamentablen Fehler des Verhaltens wie des Charakters werden mit so leichter, entspannter Hand gezeichnet, dass man davor einfach den Hut ziehen muss. Und genießt. Es geht gar nicht anders.

Literaturangaben

  • Franzen, Jonathan: Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir. Aus dem Amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 256 S., 19,90 €, ISBN: 978-3498021160

Bitte Krümelpfad unten nicht verändern


Hauptseite | Rezensionen | Rezensionen-Register | D | Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir

Daten hochladen
Buecher-Wiki Verlinken
FacebookTwitThis
Pin ItMister Wong
RSS-Feed RDF-Feed ATOM-Feed

schliessen