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Dunkelkammer

von<br> Louise Welsh

Louise Welshs Erstling? hat viele der Zutaten, die es braucht, um einen Bestseller zu produzieren: ein verruchtes Milieu, einen verschrobenen Erzähler, ein düsteres Geheimnis?. Doch im Drogen- und Pornomilieu Glasgows häuft die "Dunkelkammer" so viele Charaktere und Episoden an, dass man die eigentliche Kriminalgeschichte aus den Augen verliert.

Anders, als sein Name erahnen lässt, ist der Erzähler und selbst ernannte Detektiv Rilke ein "angry young man", einer, der im Glasgower Slang? schwelgt und Cowboystiefel trägt. Auch wenn er in einem Auktionshaus arbeitet – ein kultivierter Schöngeist ist er deswegen noch lange nicht; eher ein Zyniker, der die Bourgeoisie hasst und mit den Losern der Stadt sympathisiert, die trotz ihres Bankrotts noch auf Pferde setzen. Und während seine Homosexualität zunächst nur beiläufig eingeführt wird, ist nach der ersten pikant beschriebenen Freiersuche im Park klar, dass Rilke kein Mönchsdasein führt.

Ein mysteriöses Haus

Er soll sich nun um die Auflösung und Versteigerung eines Haushalts kümmern, in dem womöglich Hinweise auf ein Verbrechen schlummern. Seine Auftraggeberin ist eine alte Frau weit über 80, die das Haus ihres unverheirateten Bruders räumen lassen will. Abgesehen von kostbaren Möbeln, Teppichen und Kunstgegenständen befindet sich im Haus ein mysteriöses Büro unter dem Dach, dessen Räumung mit äußerster Diskretion vollzogen werden soll.

Auf dem Dachboden lagert in der Tat explosives Material: Neben einer umfangreichen pornographischen? Bibliothek mit ungeahnten Erstausgaben stößt Rilke auf eine Sammlung drastischer vergilbter Pornofotos. Rilke, wahrlich kein Weichei, ist schockiert, denn die Fotos eines nackten Mädchens im Leichentuch könnten ebenso gut gestellt sein wie auf einen realen Mord hindeuten. Und sollte der Besitzer, der verschrobene Bruder der alten Dame, selbst in diesen Mord verwickelt sein?

Die Suche nach der Herkunft der Fotos führt Rilke in die Porno-Videoläden und Transen-Klubs Glasgows. Mehr alkoholisiert als nüchtern verliert er sich in Kneipenszenen und Männerbekanntschaften und schwelgt im zynischen Zeitgeist-Jargon?: "Sich aufzustylen hat noch nie jemandem geschadet, außer vielleicht Gianni Versace, aber der hatte laut Les darum gebettelt." Pornographie wird einmal mehr Thema von Welshs Roman, wenn Rilkes Toilettensex in einer Bar oder der Quickie mit einer Zufallsbekanntschaft en détail und geradezu nach Handbuch-Manier vorgeführt werden: "Bei Analsex ist es von großer Wichtigkeit, dass der Partner entspannt ist. Zu großer Widerstand kann zum Riss des Afterschließmuskels führen, was Infektionen zur Folge hat."

Gewalt, Alkohol und Porno

Wo nur, fragt man sich, sieht der Antje Kunstmann Verlag? hier die "literarische Qualität", mit der er die Faszination des Romans begründet? Etwa in den Motti? von Keats?, Blake?, Poe, Rimbaud? und anderen Klassikern, die jedem der 23 Kapitel vorangestellt sind? Sie betonen den episodischen? Charakter von Welshs Roman, der eine breite Palette kurioser Typen vorführt, ohne deswegen jedoch literarische Qualität zu verströmen. Zu sehr unterbrechen sie den Spannungsbogen?, zu repetitiv? ist ihr aller Hang zu Gewalt, Alkohol oder Porno.

Fast schon vergisst man, wieso es überhaupt zu Rilkes Odyssee durch die dunklen Kammern Glasgows kam, da erkrankt seine Auftraggeberin, die alte Dame, schwer und Rilke muss ihr auf dem Sterbebett versprechen, die Auktion am vereinbarten Tag abzuhalten. Auf den letzten 50 Seiten? gewinnt der Plot nun endlich wieder an Geschwindigkeit. Der Porno-sammelnde Bruder ist schließlich gar nicht tot, sondern wird von seinem damaligen Frauenopfer ermordet. Auch ein internationaler Menschenhändlerring fliegt schnell noch auf.

Kitschiges Happy End

Zumindest ein bisschen Recht muss am Schluss hergestellt werden, und der hart gesottene Rilke vergießt allen Ernstes einige Tränen angesichts der geopferten Mädchen aus Vergangenheit und Zukunft. Das ist nach den voran gegangenen, überaus authentischen Schmuddelszenen und seiner eigenen latent sadistischen Haltung gegenüber seinem Lover denn doch ein bisschen zu kitschig. Allzu groß sind denn letztlich Louise Welshes Zugeständnisse an ihre Leser, die – so meint sie wohl – gleichermaßen an Porno-Episoden wie an Happy Ends? interessiert sind.

Eins aber muss man ihr lassen: Sie porträtiert? ihre Typen stilsicher, hat einen Sinn für Situationskomik und ein Talent für rasante Schlagabtausche?. Und nachdem auf den ersten 50 Seiten der deutschen Ausgabe? ein Anglizismus? den nächsten jagt (man nimmt eine Dusche und isst von Tellern mit Biskuits, auch wenn es ungentlemanlike ist), werden die rasanten Wortwechsel und überspitzten Typisierungen im Folgenden mit dergleichen Schärfe und dem gleichen Witz wie im Originaltext wiedergegeben.

Louise Welsh, geb. 1965 in London, lebt heute in Glasgow. Sie hat nach ihrem Geschichtsstudium acht Jahre in einem Antiquariat gearbeitet und danach ein Creative writing-Studium abgeschlossen. "Dunkelkammer" ("The Cutting Room") ist ihr erster Roman, der u.a. mit dem Crime Writers Association- und dem John Creasey Memorial Dagger-Award ausgezeichnet wurde. Er wurde bereits in vierzehn Sprachen übersetzt. Was Wunder, dass sich ausgerechnet Irvine Welsh?, der Autor von Trainspotting, die Filmrechte? an Louise Welshes Roman gesichert hat?

Literaturangaben:

  • WELSH, LOUISE: Dunkelkammer. Antje Kunstmann Verlag, München 2003. 304 S., 19,90 €.

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