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Täger, Tom

<br> über den Hörspielmusiker und Hörbuchproduzenten Tom Täger und seine Zusammenarbeit mit A.J. Weigoni

Als Tom Täger 1989 im Tonstudio/Ruhr Helge Schneiders allererste Schallplatte "Seine größten Erfolge" produzierte, hat man ihn für verrückt gehalten. Als A.J. Weigoni 1991 sein erstes Hörbüch »Literatur Clips« auf CD realisierte, hat man ihn für verrückt gehalten. Fast logisch, daß diese Artisten sich über den Weg laufen mußten. Weigoni ist eine vielseitig gescheiterte Persönlichkeit. Da die Idee für ihn die Autorität hat, drückt er sich in Drama, Lyrik und Prosa gleichmaßen in gediegener Professionalität aus.

Drama

Einen Nebenstrang seiner Arbeit bilden die Monodramen »Oden an die Zukunftsseelen«, »Señora Nada« und »Unbehaust«.

Unzählige Biographen haben versucht dem Mythos Sisi auf die Spur zu kommen, dabei ist die Lösung einfacher, als die Lösung einer Gleichung ersten Grades: In ihren Gedichten spricht sie sich ganz unverblümt aus. Elisabeths Gedichte aus den achtziger Jahren sind eine einzige große Hymne an den schwärmerisch verehrten »Meister« Heinrich Heine. Diese Verehrung ging über die übliche Liebe eines Literaturfreundes weit hinaus. Sie kannte lange Passagen von Heine auswendig und beschäftigte sich auch intensiv mit dem Leben des Dichters. Mit dem 1856 in Paris gestorbenen Heinrich Heine, glaubte sie sich eng verbunden, fühlte sich als seine Jüngerin und glaubte, der Meister diktiere ihr die Verse in die Feder. Ihre Dichtungen aus den achtziger Jahren bestimmte sie (anders als ihre Jugendgedichte) zur Veröffentlichung. Als Drucktermin stellte sie sich das Jahr 1950 vor, also eine Zeit, wo niemand ihrer Zeitgenossen nicht mehr lebendig waren, wenigstens in der Nachwelt wollte Elisabeth erreichen, was die Zeitgenossen ihr verweigerten: Rechtfertigung, Verständnis, Nachruhm. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen, genannt Sisi, trat am 6. September 1998 in Schloss Morsbroich flüchtig das Leben, was sie eigentlich hätte leben wollen. 100 Jahre vorher war sie auf dem Weg von Genf nach Montreux, um auf der Bühne des Heinrich-Heine-Klubs ihre Gedichte vorzutragen. Auf dem Weg zur Fähre wird sie von dem Anarchisten Luigi Lucheni vom Leben zum Tode befördert. Sisi, das ist keine Frau, das ist ein Mythos. Dieser Mythos bedeutet an der Oberfläche: Schönheit und Einsamkeit. In einem Stück wurde sie durch die Worte und Klänge wieder lebendig.

Die Produktion “Señora Nada” provoziert mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte und nicht durch Dolby–Surround. Darin begleitet Tom Täger die Schauspielerin Marina Rother mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition zu “Señora Nada” ist durchsetzt von minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt. Die Vertonung ist rasch im Grundtempo. Crescendo– und Decrescendo–Verläufe schaffen fiebrig–erregte Ausdruckszonen wie die buchstäblich hervorbrechenden Forte– und Fortissimo–Attacken. Tägers Klanglichkeit bleibt Weigonis Exaltiertheit nichts schuldig. Es gibt Momente, da berühren sich Musik und Sprache, wie eine Fingerkuppe vorsichtig in eine gespannte Wasseroberfläche eintaucht, ohne sie zerstören zu wollen. Diese behutsamen Momente sind die Augenblicke, in denen für ein paar Takte kaum etwas zu hören ist. Es sind Sekunden von viel größerer Kraft als jedes Crescendo. Das Angebot, das in dieser Musik liegt, ist eine Herausforderung. Wenn sich gegen Ende von »Señora Nada«, die Komposition zu einem leeren Quintklang zusammenzieht in der Pianissimo–Dynamik, haben die Takte dieses Hörstücks Welten an Ausdruck, Dynamik, Ambitus durchschritten. Man weiß es nicht so genau, ob die Ruhe nach dem Sturm nachklingt oder eine im statischen Quintklang erstarrte Erschöpfung. Die Vertonung Tom Tägers fügt sie – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Die Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Das Zuhören führte an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Jedes Kunstwerk erinnert an den Geist und die Erweiterbarkeit des menschlichen Horizonts. Jedes bedeutende Werk hat das Bewußtsein geöffnet und nicht einfach nur die öffentliche Nachfrage nach Schönheit bedient.

Die Papier-Komposition zum Monodram »Unbehaust« handelt vom unermüdlichen Tägerschen Forschergeist, von der ewigen Suche nach unverbrauchten Ausdrucksformen. Tom Täger hat versucht, die Form des Monodrams, die Gedanken der Hauptfigur auf musikalische Verhältnisse zu übertragen und generiert mit seiner Komposition zu »Unbehaust« eine subtile Kongruenz von Wort–Ton–Bezügen. Die Anlage der Papier–Collage ist schlicht und raffiniert zugleich. Tempomäßig und im Grundcharakter stiftet sie eine Bogenform. In den Zeitdauern ist sie ansteigend, die dynamisch intensivste Stelle steht etwa in der Mitte. Die Komposition ist durchgeformt. Das Tonmaterial kombiniert mit Papiergeräuschen und Komplementärakkorden, wird stringend ausgeführt. Ein Zug des Schweifenden, des locker Gelösten ist diesem Hörstück eigen, das von Bibiana Heimes als Sprecherin gestaltet wird. Ihre gezackte Rezitation ist rasch als Parodie auf René Pollesch Vokalstil zu verstehen. Sie gilt als Verrückte – oder mimt zumindest eine exaltiert Abgehobene. In ihren poetopathologischen Aufzeichnungen kämpft Bibiana Heimes als Patientin Jo Chang gegen das Vergessen, das Verlassenwerden, die Gesellschaft, Gott, und den Tod. Die seelischen Grenzüberschreitungen, die das lyrisches Monodram thematisiert, vollzieht es formal in der Aufhebung der Gattungsgrenzen nach. Es wird ganz ohne Psychologie erzählt, eher als Status quo eines Experiments. Sie ist auf der Suche nach ihrem Ursprung und findet Einzelteile einer versprengten Existenz. Das Langgedicht handelt nicht nur von großer Not, es ist auch selbst in Not. Mit schlankem Federstrich zeigt die asiatische Emigrantin die Neurosen und die Zerstörtheit der westlichen Warenwelt auf. Sie scheint mit den Worten zu schweben: eine Sprechmusikerin.

Lyrik

Über Lyrik lässt sich in vielen Zusammenhängen nachdenken, in ökonomischen, psychologischen und soziologischen. Gedichte interessieren als Wege zu Bewusstsein, so bedeutet Erkenntnis dabei nicht bloß Information über Welt und Selbst, sondern auch die Gewinnung einer Haltung, die Verkörperung intellektueller, moralischer und sinnlicher Erfahrung. Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der "Letternmusik" von A.J. Weigoni gemacht, herausgekommen ist die aktuelle Variante eines drama giocoso – gemasterd im Tonstudio an der Ruhr von Tom Täger. Die Fertigstellung seines Remix ist gebunden an den Umstand, daß das Ganze wiederum „Sinn“ macht, das unterscheidet den Remix von Stephan Flommersfeld von einem Remake und vom Recycling: Remixen ist hier auch eine Autorenangelegenheit. Die ideale Form für den Remix ist der Clip: ein audiophones Geschehen, das sowohl in der Länge als auch im inneren Aufbau (Refrain, Strophe, Bridge) einem Popsong ähnelt. Tatsächlich benutzt Stephan Flommersfeld gern einen solchen als Grundlage für die Montage. Dieser Remix der »Letternmusik« ist ein Platz für den artistischen Bau autarker Sprachkonstrukte außerhalb der alltäglichen Rede und normierter Sprachregularien. Dieses Freigelassene, Strömende entsteht durch Präzision, Klarheit und Konzentration. Diese Gedichte oszillieren zwischen dem lyrischen Protestgedicht und dem politischen Liebesgedicht. Sie sollen daran erinnern, was Poesie ursprünglich war: Gesang, Melodie und Rhythmus, Reim und Versmass, Litanei und Mythos. In einem beständigen Remix der Töne wird die entzweite Welt neu zusammengefügt. Mit ihrem parlandoartigen Konversationston changiert Flommersfelds neue Komposition zwischen Komödie und Tragödie. Die Klangbilder sind scharf konturiert, agogische und dynamische Verläufe oft abrupt, die Farben abwechselnd grell und düster. Die Wahl der Tempi macht die unerbittliche Dringlichkeit der Verläufe spürbar, und manchmal überstürzen sich die Dinge und die Musik mit ihnen. Sie ist immer mitten im Kern des Geschehens und trägt auch immer zu dessen Deutung bei. Diese Komposition ist von hypnotischer Wirkung, minimalistisch und doch komplex, hochgradig virtuos, ungeheuer rauschhaft in den Ausbrüchen, getragen von einer tiefen Spiritualität und Innerlichkeit. Es ist schwer, sich den Reizen dieser Klangwelten zu entziehen. Flommersfelds Komposition hat viele eindrucksvolle Momente, vor allem im Lyrischen. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben. Die Kompositionen von Stephan Flommersfeld entspringen einem emotionalen Kontext. Am Anfang ist das fühlende Subjekt. In ihm entsteht die Musik, die dann nach außen tritt. Ihr Klang ist reine Ästhetik, abhängig von äußeren Einflüssen.

Prosa

Weigoni und Tom Täger spüren der Sprache in »630« vor allem als akustischem Phänomen nach. Aus einem musikalischen Einfall heraus entwickelt Täger ein 24teiliges Stück. Der Hörspielkomponist verarbeitet das Thema dabei unterschiedlich, in Sequenzen, Transpositionen und Diminutionen kommen seine Inventionen zu den Vignetten daher. Kontraste sind für Tom Täger selbstverständlich, die schwelgerische Melancholie gedeiht direkt neben krassen Dissonanzen, und die Intensität des Schrillen verstärkt diejenige des Stillen. Seine Komposition lebt von Polymetriken und Polyphonien. Die Vertonung Tägers fügt sie – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Die Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Das Zuhören führte an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Oft gibt es das Missverständnis, Energie gleich Lautstärke. Intensität steckt auch in extrem ruhiger und gleichförmig fließender Energie, quasi im Nichts. In der Hörspielmusik dieses Soundtüftlers gibt es extrem leise Stellen. Und trotzdem ist da unentwegt ein Energiefluss spürbar, es brodelt etwas.

Bei der Umsetzung von »630« möchte man jedem einzelnen Wort hinterher lauschen. Hier entsteht etwas, das am ehesten als eine Art assoziativer Klangraum bezeichnet werden könnte, ein schwer zu fassendes Phänomen, das eng mit der offensten aller Künste, der Musik, verwandt ist.

Zentral für Täger sind Stimme und Sprache, es geht dem Hörspielkomponisten nicht um ein Abbildungsverhältnis, sondern eher um einen strukturellen Ausgangspunkt, um ein Material, mit dem er experimentiert. Dann entstehen oft kleinere Stücke, die sich zu einem größeren Stück zusammensetzten, wie etwa beim Kompositionszyklus »Vignetten«. Täger setzt sich nicht mit Papier und Bleistift vor ein Blatt Notenpapier, schreibt Musik und denkt darüber nach; er ist ein Praktiker, der Instrumente spielt und in seinem Tonstudio an der Ruhr einen Klang erzeugt und Tonfolgen erfindet. Die Musik ist in einem Hörspiel Dienerin und Herrin zugleich.

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