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„Deutsche Hörer!“

Zu Thomas Manns Ansprachen an die Deutschen von 1940 bis 1945

„Ein deutscher Schriftsteller spricht zu euch, dessen Werk und Person von euren Machthabern verfemt sind und dessen Bücher, selbst wenn sie vom Deutschesten handeln, von Goethe zum Beispiel, nur noch zu fremden, freien Völkern in ihrer Sprache reden können, während sie euch stumm und unbekannt bleiben müssen. Mein Werk wird eines Tages zu euch zurückkehren...“

So begann die erste Ansprache des Emigranten Thomas Mann, gehalten im Oktober 1940. Der Krieg war bereits ein Jahr im Gange, als die British Broadcasting Corporation (BBC) den exponiertesten Vertreter des antifaschistischen Exils, den Nobelpreisträger Thomas Mann, bat, sich mit Radioansprachen an die Deutschen zu wenden. Er sollte, wie er 1942 schrieb, “die Kriegsereignisse kommentieren und eine Einwirkung auf das deutsche Publikum im Sinne meiner oft geäußerten Überzeugungen versuchen...“

Insgesamt trat Thomas Mann zwischen 1940 und 1945 58 Mal im Deutschen Dienst des britischen Senders auf. Zunächst wurden die Reden nach London gekabelt, wo sie ein deutscher Sprecher? der BBC verlas, später in den USA auf Schallplatten aufgenommen und per Telefon nach London abgespielt.

Diese Ansprachen, immer jeweils von ca. 8 Minuten Dauer, sind wohl die entschiedensten und kompromisslosesten Äußerungen, die er zeit seines Lebens zu Fragen des Zeitgeschehens geschrieben und gesprochen hat. Wer sich heute den vorliegenden Texten oder (und) dem Tondokument? zuwendet, wird sich der bedeutenden literarisch-publizistischen Leistung, aber auch der intellektuellen und zugleich emotionalen Wirkung nicht entziehen können. Nicht gedacht als essayistische Bemühung über das aktuelle Kriegsgeschehen, wollte Thomas Mann die Deutschen wachrütteln und ihnen Mut zusprechen.

Sein Engagement gegen das faschistische Deutschland resultierte nicht nur aus der Sorge um den Kriegsausgang, sondern auch aus Sorge um sein Werk. Er wusste, dass dieser Krieg eine “Entscheidungsschlacht der Menschheit (ist), und alles entscheidet sich darin, auch das Schicksal meines Lebenswerkes. “Es könne für lange Zeit nicht nach Deutschland zurückkehren, “wenn das elende Gesindel siegt...“

Selbst in der Zeit der militärischen Siege Nazideutschlands verließ ihn niemals die Überzeugung, dass es den von ihm entfesselten Krieg verlieren und dafür schwer wird büßen müssen. So wichtig ihm die Sorge um sein Lebenswerk? war, die Radioansprachen? wurden dennoch primär von politisch-moralischen Motiven getragen: vom Hass und dem Widerstandswillen gegen die faschistischen Machthaber, von der Überzeugung, dass der Faschismus eine zutiefst inhumane Bewegung ist, die Deutschland und die ganze Welt mit Krieg und Zerstörung überzogen hat. Nicht zuletzt war es das “Leiden an Deutschland“ ,an “all dem, was es nach dem Willen verbrecherischer Gewaltmenschen... der Welt angetan hat“, das ihn zum Sprechen anregte.

In der Rede vom März 1941 charakterisierte Thomas Mann seine Ansprachen explizit als Dienst an den Deutschen, als Hilfe für ein gedemütigtes und verführtes Volk, das sich zugleich immer mehr mitschuldig macht. Die Deutschen zum Sturz des Faschismus zu bewegen - darin bestand das eigentliche Ziel der Rundfunkreden. Ihre jeweiligen Inhalte konnte Thomas Mann selbst bestimmen. In der Regel waren es konkrete politische und militärische Themen (z.B.: Überfall auf die UdSSR, Widerstandsaktion der “Weißen Rose“, Beschlüsse von Jalta, Verbrechen von Mauthausen u.v.a.m.).

Das aktuelle Zeitgeschehen wurde eindrucksvoll widerspiegelt. Dabei zeigte sich, dass der Redner die Vorgänge in Deutschland und Europa, das Kriegsgeschehen, den Inhalt der Nazipropaganda und die Beschlüsse der Hauptmächte der Antihitlerkoalition etc. gut kannte. Der Grad der Konkretheit war erstaunlich hoch. Er wusste, dass abstrakt theoretisierende Darlegungen wenig Höranreiz geboten hätten. Zudem galt es zu bedenken, dass die Deutschen von einer realen Berichterstattung über das Kriegsgeschehen abgeschnitten und der Nazipropaganda ausgeliefert waren.

Daher mussten grundlegende Fakten vermittelt werden, verbunden mit einer fasslichen, anschaulichen Darstellung. Daraus leitete Thomas Mann seine Meinung in Gestalt des Appells, der Entlarvung, der Warnung, der Analyse, der Perspektive und Tendenz, der Anklage, der Trauer, der Wut und des Hasses, aber auch des Trostwortes überzeugend ab.

Welches Bild zeichnete er von Deutschland und den Deutschen? Darauf zu verweisen, erscheint unter dem Gesichtspunkt wichtig, da es zwingende Aussagen zur Position des Repräsentanten der antifaschistischen Emigration über die spezifische historische Verantwortung seines Landes und Volkes vermittelt, die nach wie vor aktuell sind.

Eine grundlegende Prämisse Thomas Manns war, dass er strikt zwischen den Interessen des deutschen Volkes und denen der faschistischen Machthaber unterschied. Geradezu leitmotivisch durchzog diese Auffassung seine Reden: Die Verführung der Deutschen ist das Werk des Faschismus und seiner Repräsentanten, und nur so sind die furchtbaren Verbrechen möglich gewesen. Dabei war für ihn die Abkehr eines großen Teils der Deutschen von den humanistischen Idealen rational nur schwer fassbar.

War das Bild über die Deutschen zunächst wenig differenziert (These von der Kollektivschuld), konstatierte er ab Ende 1941, dass das deutsche Volk zu den unterdrückten Völker zählt und viele Deutsche in Opposition zum Faschismus stehen (bekanntlich ein Irrtum). Thomas Mann appellierte daran, Mut zum Widerstand zu entwickeln. In seiner Rede vom 25.5.1942 forderte er die Deutschen zur Reue, Sühne und Selbstreinigung auf - als Bedingung für den Neuanfang. Letztere sollte sich nicht “auf die Ausbrennung der Nazipest beschränken..., sondern die ganze Menschenschicht treffen, deren Macht- und Habgier sich des Nazitums als Instrument bediente...“

Akribisch konstatierte er jedes Zeichen des Widerstandes und fragte verzweifelt: “...wann werdet ihr endlich den höllischen Strizzi (Hitler - P.F.) verjagen, der euch das alles antut...?“ Selbstredend hielt er den antifaschistischen Widerstand in seiner Gesamtheit für ehrbar und notwendig, ja bis zum Kriegsende für möglich.

Thomas Mann musste aber erkennen, dass sein Hoffen, das deutsche Volk möge aus eigener Kraft das Nazisystem stürzen, sich nicht erfüllt. Seine Zuversicht wandelte sich immer mehr zum Unverständnis. Er war verzweifelt über die Millionen von Deutschen, die sich mit dem Verbrechersystem und dem Krieg engagierten. Schon am 9.12.1943 hieß es: “Das Erlebnis, das allein Deutschland zur Vernunft bringen kann“, ist das Erlebnis der “katastrophalen, unverleugbaren und handgreiflichen Niederlage“ und seine Besetzung, “um jede weitere Aggression unmöglich zu machen...“

Die Parteinahme für die Staaten und Armeen der Antihitlerkoalition wurde jetzt noch deutlicher, zumal auch seine Kinder Klaus, Golo und Erika als Angehörige der amerikanischen Streitkräfte bewusst antifaschistisch handelten.

Dieser Logik folgend, rechtfertigte er alle militärischen Handlungen, die der Niederwerfung des Faschismus dienten, so auch den Bombenkrieg. Ein halbherziger Kampf würde, so Thomas Mann, die Nazipest nicht vernichten, wenn er auch wusste, dass die Angriffe der RAF und USAF für die Zivilbevölkerung „grauenerregend“ waren. Schon im April 1942, nach der Bombardierung Lübecks, bekannte er: “Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt... Aber ich denke an Coventry - und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.“

Nach Kriegsende musste er erkennen, dass die Mehrheit der Deutschen sich nur in ihrer Opferrolle gefiel, keinen Blick auf das Leid anderer Völker warf und die Frage der Mitschuld an Krieg und Faschismus ignorierte. “Es ist kein großes Volk“, stellte er verbittert fest.

Wenn er zuweilen unscharfe, ja falsche Schlussfolgerungen aus der politischen und militärischen Situation zog bzw. unreale Erwartungen äußerte, mindert das die Leistung Thomas Manns nicht. In seiner Ansprache vom 10. Mai 1945, angesichts der faschistischen Kapitulation, resümierte er: „Das deutsche Volk vermochte es nicht, sich selbst zu befreien, dennoch, “...die Stunde ist groß - nicht nur für die Siegerwelt, auch für Deutschland -, die Stunde, wo der Drache zur Strecke gebracht ist, das wüste und krankhafte Ungeheuer...“ Unabdingbar wird es sein, so fortsetzend, die militärische Zerschlagung des Faschismus als Befreiung und historische Leistung anzuerkennen, als Chance für die „Rückkehr zur Menschlichkeit“. Eindringlich appellierte er an die Deutschen, gründlich die “innere Abkehr“ vom nazistischen Ungeist in seiner Gesamtheit zu vollziehen.

Sekundärliteratur

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