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Schelmenroman

Definition

Das Wort Schelm meint ein Kind oder einen junger Mann, das oder der immer zu Spaß und Neckerei aufgelegt ist. Der Schelmenroman wird auch Picaro, pikarischer oder pikaresker Roman genannt. Picaro ist spanisch und hat die Bedeutung „Schelm“ oder „gemeiner Kerl von üblem Lebenswandel“. Er ist eine Sonderform des Abenteuerromans und ist meist in der Form einer fiktive Autobiographie ausgearbeitet. Im Mittelpunkt des Romans steht ein spitzbübischer Schelm oder Glücksritter, der aus der Sicht eines sozial Niederstehenden oder Benachteiligten eine Reihe von Abenteuern erlebt, welche wiederum satirische oder sozialkritische Züge tragen. Der Protagonist schlägt sich oft mit List und Betrug durch das Leben und rettet sich aus allen brenzligen Situationen.

Entstehung

Ursprünglich stammt der Picaroroman / Schelmenroman aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts. Der erste Vertreter des Schelmenromans ist „Lazarillo del Tormes“, dessen Autor bis heute unbekannt ist. 1554 wurde dieser Schelmenroman veröffentlicht. Die Hauptrolle darin spielt ein picaro. Mit „Guzmán de Alfarache“ (1599) von Mateo Alemán? wurde der Schelmenroman populär. Ihm folgten viele Nachahmer, wie zum Beispiel López de Ubeda? mit „La picara Justina“ (1605), Miguel mit der Novelle „Rinconete y Cortadillo“ (1613). Weitere Vertreter des Genres sind „Marcos de Obregón” (1618) von Vicente Espinel? und die „Historia de la vida del Buscón” (1626) von Francisco de Quevedo?.

Die Verfasser der spanischen Picaroromane waren oft conversos, das bedeutet, dass sie vom Judentum zum Christentum übergetreten waren. Dennoch blieben sie in der spanischen Gesellschaft eher Außenseiter. Sie übten Kritik an den damaligen herrschenden Zuständen und an der so genannten „höheren“ Gesellschaft.

Die Schelmenromane breiteten sich von Spanien aus in ganz Europa aus. In Frankreich war es zum Beispiel Charles Sore? mit seinem Roman „Francion“ (1622-33), der den Schelmenroman populär machte. In Deutschland wurden zuerst die spanischen Picaroroman übersetzt und dann erweitert. Der „Guzmán de Alfarache“ wurde von Aegidius Albertinus? 1615 übersetzt; deutscher Titel „Der Landstörtzer Guzman von Alfarache“. Einer der bedeutendsten nichtspanischen Schelmenromane ist „Der abenteuerliche Simplicissimus (1668)“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.

Aufbau

Der Schelmenroman beginnt mit einer Desillusionierung (= Frustration) des Protagonisten, dem die Schlechtigkeit der Welt bewusst wird. Im weiteren Verlauf begibt sich der „Schelm“ freiwillig oder unfreiwillig auf Reisen. Die Abenteuer, die er erlebt, sind meist episodenhaft, was bedeutet, dass sie nicht voneinander abhängig sind und beliebig erweitert werden können, was bei den Übersetzungen oftmals der Fall war. Oftmals scheint es so, als stürze der Protagonist, der Schelm, ganz unerwartet oder zufällig in seine Abenteuer. Zum Ende bekehrt sich der Schelm meist zu einem geregelten Leben oder er flüchtet aus der Welt.

Ein Beispiel

Als Beispiel eines Schelmenromans kann man Thomas Manns "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" heranziehen. Felix Krull ist beinahe ein wirklich klassischer Schelm. Er erlernt nicht nur die „Kunst der Täuschung“ bei seinem Paten Schimmelpreester, sondern bringt auch ein natürliches Talent in seinen figurwandlerischen Fähigkeiten mit, die er wie ein Chamäleon oder wie ein guter Schauspieler umzusetzen weiß.

Das Buch ist aus der Ich-Perspektive mit autobiographischem Ansatz geschrieben. Durch diese Perspektive wird seine Selbstdarstellung angezweifelt, weil gleich am Anfang bemerkt wird, dass er mit dem größtmöglichen Freimut vorgehen werde und dem Leser schnell klar wird, dass diese Autobiographie eher heroischen Charakter hat als eine sachliche Beschreibung werden wird. Ähnlich wie im klassischen Aufbau eines Schelmenromans schreibt auch Felix Krull seine Memoiren wie er selbst schreibt, in „völliger Muße und Zurückgezogenheit“. Scheinbar hat sich also der „Held“ aus dem Leben zurückgezogen und denkt über seine Abenteuer in der Welt nach.

Felix Krull schmückt seine Kindheit und sein gesamtes Leben aus. Er ist der Held und die Welt liegt ihm zu Füßen. Aufgrund eines einschneidenden Erlebnisses, ähnlich wie beim Simplicissimus, wird Felix Krull auf die Schienen seines Lebens gelenkt. Das Beispiel Müller-Rosés wirkt prägend: „Wie er damals die Menge und mich zu blenden, zu entzücken verstand, das gehört zu den entscheidenden Eindrücken meines Lebens.“ Doch auch als er mit seinem Vater die Kabine betritt und einen überaus ekeligen Müller-Rosé vorfindet, stärkt das nur noch seine kritische Beobachtung. Die Täuschung im schönen Schein ist für Müller-Rosé, wie später auch für Felix Krull ein Muss, denn immerhin sehnt sich die Welt geradezu danach betrogen zu werden. Die eigentliche „Kunst der Täuschung“ liegt also an einer brillanten Inszenierung.

Eine weitere Parallele zum klassischen Schelmenroman ist Krulls Liebe zum Reisen. Das Ende seiner Reise kennzeichnet Mann aber noch mit einem anderen Stillmittel des klassischen Schelms, denn für seine Taten wandert er ins Zuchthaus. Durch dieses Mittel wird Felix Krull zum endgültigen Außenseiter. Weil seine Eltern Orgien feiern, er nicht vernünftig zur Schule geht, sondern lieber seiner Fantasie frönt, ist er schnell am Rand der gesellschaftlichen Anerkennung. Auf diesen Rand steuert er während des gesamten Romans zu, endet im Gefängnis und ist damit der tatsächliche Ausgestoßene aus der Gesellschaft. Die Anerkennung, die er gesucht hat, war somit nur von kurzer Dauer.

Felix Krull weist energisch den Vorschlag eines Verbrechens zurück, spricht sich damit gegen eine kriminelle Laufbahn aus, was ihn nicht zu einem gewöhnlichen Dieb oder Kriminellen macht, sondern den Schein wahrt, dass er ein guter, mit den Umgangsnormen vertrauter Bürger ist. Zusätzlich holt er zu seinen tatsächlichen Verbrechen die Einverständniserklärung seiner Opfer, hier sei als Beispiel Madame Hupflé und Marquise de Venosta angeführt.

Das wohl deutlichste äußere Zeichen, dass die Bekenntnisse ein Schelmenroman sind, ist wohl der episodische Aufbau in Thomas Manns Werk. Das macht sich vor allem an seinem nicht festen Arbeitsplatz deutlich, an den ständigen Rollenwechseln sowie seiner langwierigen Odyssee von Frankfurt nach Lissabon. Allerdings modifiziert Thomas Mann hier die Einsicht des Schelms. Felix Krull legt keine klassische Beichte ab, sondern bemüht sich Anerkennung für sein Werk zu bekommen.

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