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Stille Zeile Sechs

von<br> Monika Maron

Anfang der neunziger Jahre habe ich die Feuilletons? von Monika Maron? in der Sächsischen Zeitung nicht nur gelesen, sondern verschlungen. Sie hatten so viel Esprit und waren in einer geschliffenen Sprache verfasst. Ich vermute jetzt, dass es hauptsächlich diese Erinnerung an das damalige Lesevergnügen gewesen war, die mich dazu bewogen hat, jetzt nochmals zu ihrem Roman „Stille Zeile Sechs“ zu greifen.

Worum geht es? Ein hoher SED-Funktionär, Herbert Beerenbaum, ist gestorben. Seine Beerdigung ist für Rosalind Polkowski eine innere Freude und gegebener Anlass, sich an diesen Herrn, das Ende der DDR und ihr eigenes Verhältnis zu beidem zu erinnern. Die Protagonistin hatte zu der Zeit ihre Arbeit als Historikerin aufgegeben, um „nicht mehr für Geld denken“ zu müssen, und verdingte sich bei eben diesem „alten Genossen“ als Sekretärin. Ihre Aufgabe bestand darin, bei ihm zu Hause, in der Stillen Zeile Sechs (Titel) in Berlin-Hohenschönhausen, nach seinem Diktat dessen Memoiren? aufzuschreiben. Diese schlichte Arbeit geriet zunehmend erst zu einem inneren, dann auch zu einem äußeren Kampf um das Auslegen von Geschichte in den 1980er-Jahren in der DDR.

Den Gegenwartsrahmen bildet die Beisetzung ihres zeitweiligen Arbeitgebers. Ihr Kampf gegen ihn und seinesgleichen, teils tatsächlich, teils imaginär, führte letztlich dazu, dass sie ihm einen Faustschlag versetzte, so dass ihm nicht nur das Gebiss aus dem Mund fiel. Kurz darauf erlag Beerenbaum einem Schlaganfall.

Nur in wenigen Momenten flackert ihr eigenes Schuldgefühl auf, ein paar lapidare Worte von der Nachbarin genügen, um es auszulöschen. Was bleibt, ist der Hass. Bald wird klar, dass Rosalind dieses unerbittliche Gefühl schon als Kind in sich trug, als sie sich gegen ihren Vater, einen linientreuen Schuldirektor, auflehnte.

Marcel Reich-Ranicki sah seinerzeit im Literarischen Quartett im ZDF „den größten Vorteil des Romans darin, dass er ein Jahrhundertproblem darstellt“, so zum Gleichnis würde, das „weit über sich selbst hinauswächst“. Der These, dass der Wille zur Befreiung von jedweder Bevormundung im Denken ein Jahrhundertproblem ist, stimme ich zu, aber das über sich selbst hinaus wachsende Gleichnis in Marons Roman will sich mir nicht erschließen. Ich kann nur eine einseitige und dazu noch erschreckend hasserfüllte Abrechnung - ohne jede Menschlichkeit oder Differenzierung, herauslesen. Wem nützt das? Vermutlich nicht einmal der Autorin selbst. Ihr viel gepriesener Kampf gegen die Dummheit, vor allem die der Funktionäre, nimmt manchmal fast groteske Züge an.

Natürlich gab es die verschiedensten Erscheinungsformen von Dummheit, bei Funktionären ebenso wie in anderen Berufsgruppen. Damals ebenso wie heute. Menschen waren und sind eben niemals perfekt. Und ob sie es jemals sein werden, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Was Monika Maron? in ihrem Roman zu diesem Thema beisteuert, liest sich manchmal einfach nur haarsträubend. Ein Beispiel: „Leib wart ihr euch selbst genug, nur an Hirn hat's gefehlt. Können Sie vielleicht Latein? Sie können kein Latein – und darum haben Sie verboten, dass andere Latein lernen“.

Das allein ist schon starker Tobak, denn ein solches Verbot hat es in der DDR niemals gegeben. Aber es kommt noch schlimmer: „Wer es schon konnte, musste ins Gefängnis, damit alle vergaßen, dass es das gibt: Latein. Alles musste vergessen werden, damit nicht herauskam, was ihr alles nicht wusstet.“ (S.206/207) Ich selbst habe in der Erweiterten Oberschule Walther Rathenau in Senftenberg auch Latein gelernt – im Gefängnis waren weder ich noch meine Klassenkameraden.

Kurzum: Ich habe dieses Buch mit einem unguten Gefühl beiseite gelegt. Es strahlt meiner Meinung nach sehr viel Düsternis und Hass aus.

Autorin: Monika Kunze

Literaturangaben

Maron, Monika: Stille Zeile Sechs. Roman. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 15. Aufl. 2006, 218 S., 8,95 €, ISBN: 978-3596118045

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