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Der Mond. Neues über den Erdtrabanten

von<br> Brigitte Röthlein

Es fing alles so schön an. Ein fast 300 Seiten? starkes Taschenbuch mit einer detaillierten, hochauflösenden Fotografie von der Mondoberfläche, deutlich sind zwei Krater und einige Berge zu sehen. Dazu der schlichte Titel mit der verheißungsvollen Unterschrift: „Der Mond. Neues über den Erdtrabanten“. Darüber hinaus eine geisteswissenschaftliche Doktorin mit Physikdiplom als Autorin, die im Klappentext? neben astronomischen, raumfahrttechnischen und planetarischen Ideen auch astrologische und lunare Analogien anschneidet. Wenn das kein gefundenes Fressen für Mondfreunde ist, was dann?

Um die Frage vorweg zu beantworten, was dann ein gefundenes Fressen für Freunde und Freundinnen des zum Leben auf der Erde notwendigen Trabanten sei, verweise man gezielt auf das Wunderwerk in gut 400.000 Kilometer Entfernung selbst. Jenes lädt ein zum Staunen, Träumen und Empfinden, das so vielversprechende Buch hingegen geht letzten Endes beinahe leer aus, zu sehr werden hier Neuigkeiten angepriesen, die gar keine sind, zu oft hat man den Eindruck, dass die naturwissenschaftlich einwandfrei geschulte Brigitte Röthlein die analogen und subtilen Kräfte des Mondes nicht wahrnehmen oder begreifen kann.

Wohltemperierte Gänsehaut

Im Ganzen erwarten den Interessierten zunächst elf sehr gut recherchierte Kapitel, die astronomische, physikalische, historische und ökologisch-ökonomische Aspekte in den Vordergrund rücken. Gleich zu Beginn wird dem Leser der geschichtliche Ablauf der menschlichen Mond-Wahrnehmung ganz unverblümt ins Gesicht geschlagen, wenn man auf spannende und unterhaltsame Art mitverfolgen darf, wie die bürgerliche Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts auf einen Schwindel in einer New Yorker Tageszeitung hereinfiel.

John Herschel, Sohn des berühmten deutschen Astronomen, der den Uranus entdeckte, publizierte in jenem Blatt sensationelle Funde, bedingt aufgrund technischer Weiterentwicklung der Teleskope, von Wesen, Pflanzen und Tieren auf dem Mond. Kleinste biologische Details der Organismen vom Mond machten die New Yorker Zeitungsleser in den 1830er-Jahren lunatic – also verrückt! –, ehe Herschel, der zu jener Zeit in Afrika weilte, auf die von Reportern so geschickt lancierten Berichte aufmerksam wurde und sämtliche Inhalte dementierte. Dennoch ahnt man hier, was auch heute noch jedem Zeitgenossen eine wohltemperierte Gänsehaut verschafft, nämlich die ungeheure Anziehungskraft fremder Welten und fremden Lebens.

In den Folgekapiteln pendelt Röthlein dann nüchtern zwischen Erde und Mond, erklärt die vermutliche Entstehungstheorie des Trabanten, woher Meteorite desselben kommen, wo sie vielleicht zu finden seien und wie wichtig die bemannten Mondmissionen nicht nur für das amerikanische Selbstverständnis, aber vor allem dafür, gewesen sind. Die Verschwörungstheorie, also, dass die Landung dort oben (oder unten, wie man will) nur ein technisch aufwendiger Schwindel war, ähnlich demjenigen, der dem unschuldigen Herschel seinerzeit nachgesagt wurde, entkräftigt sie verständnisvoll. Aber hier dürfen wir bereits fragen, was denn daran alles so neu ist, denn bis zur Mitte des Buches finden sich zwar wohl sehr aufschlussreiche und fundierte Berichte über unseren nächsten und wichtigsten Partner im All, wirklich neu ist daran aber rein gar nichts.

Mondkalender, Pflanztermine und Vollmondsomnambulismus

Auch die weiteren Kapitel, die von zukünftigen Mondlandungen, dem Bau einer möglichen Mondbasis, Touristen im All und dem neuerlichen Wettlauf fürs nächste Rennen (man tausche Chinesen gegen Russen aus, behalte die Amerikaner auf der anderen Seite bei) um die Fußschritte im Mondstaub handeln, berichten Eingeweihten, Kennern oder denjenigen, die es verstehen, im Internet zu surfen oder das richtige Buch in der Bibliothek zu erwischen, wiederum nichts Neues.

Erdgeschichtlich neu, wissenschaftsgeschichtlich hingegen furchtbar ausgelutscht und alt sind dagegen die letzten drei Kapitel, in denen es um die analogen Kräfte des Mondes geht, also um Mondkalender, Pflanztermine, Vollmondsomnambulismus und dergleichen. Dabei offenbart Röthlein letzthin ihr ganzes Dilemma, wahrscheinlich sogar das Dilemma einer ganzen wissenschaftshörigen Naturbetrachtung. So exakt und genau, wie sie über die Wechselwirkung zwischen Wasser auf der Erde und der Mondanziehungskraft referiert, so gänzlich blind ist sie für den wohl ältesten und hermeneutisch einfachsten Rückschluss, nämlich die entsprechenden Wechselwirkungen zwischen jedwedem Wasser – und nicht nur dem der Ozeane – und dem Mond.

Das beinhaltet selbstverständlich das Zellwasser von Mensch, Tier und Pflanze und ist, wie gesagt, erdgeschichtlich ein alter und nie in Frage gestellter Hut. Dass diese Auswirkungen aufgrund der geringen Masse bei leiblichen Organismen viel subtiler und niemals exakt definierbar ausfallen müssen, stellt für analog denkende Menschen kein Hindernis, sondern Klarheit dar. Röthlein hingegen lässt sich hingegen noch zu Sätzen wie „Die Effekte des Mondes auf Erde, Ozeane und Atmosphäre bedeuten aber nicht gleichzeitig auch, dass Lebewesen seinem Einfluss unterliegen“ hinreißen.

Der Mond wird weiterhin scheinen

Diese Art von Selbstblindheit offenbart sich gegen Ende des Buches zunehmend desaströser, wenn wissenschaftliche Untersuchungen mit bis zu zwei Testpersonen vorgelegt werden, anhand derer man doch bitte erkennen möge, dass die gängigen Mondregeln allemal Unfug seien. Und wieder einmal müssen, wie in dem diesem Buch sehr ähnlichen Geo-Sonderheft zum Thema Mond, das vor einigen Jahren die Populärjournaille bereicherte, die armen Wasserlebewesen herhalten, die wohl das eindringlichste und harmonischste Zusammenspiel lunarer und irdischer Rhythmen darstellen und die hier wie in jenem Geo-Heft mit hilflosen Biologie-Algorithmen erklärt werden müssen, anstatt einfach einzugestehen, dass diese Dinger schlicht und einfach nach dem Mond leben.

Ihre völlige Unzulänglichkeit, was ein analoges Verständnis angeht, zeigt sich in dem Satz „Schon allein die Tatsache, dass der weibliche Zyklus mit seinen 28 Tagen gut mit dem Mondzyklus übereinstimmt, legte früher eine Verbindung nahe“, wobei die Betonung auf „früher“ liegt. Und das von einer Frau! Andererseits im foucaultschen Sinne: Der Geknechtete wird auch weiterhin seinem Herren die Stricke der Macht festigen, scheinbar sind selbst die weiblichen Geschöpfe unter den Menschen, die eben auch tatsächlich wie die Tiere im Wasser eine mehr als offensichtliche und direkte Verbindung zum Mond haben, mittlerweile so kausal verwissenschaftlicht, dass sie nicht anders können, als sich dem Patriarchen bereitwillig auszuliefern.

Alles in allem ein Buch der vertanen Chancen, noch dazu in diesem so kraftvollen Bereich. Wirklich neu wären Berichte und Erklärungen der Slingshots und menschlicher Weltraummissionen gewesen, also eben jener Parameter, die dafür sorgen, dass die momentane Weltraumtechnik ein wenig in der Klemme sitzt. Erhellend wäre auch gewesen, was es genau mit Wernher von Braun auf sich hat, der ja letztlich viel mehr gewesen ist als ein Missionar in Sachen Raketenantrieb, sondern schlichtweg ein Genie, das heute zu fehlen scheint. Auch in Sachen Mondkalender und analogem Verständnis hätten wir uns statt dieser altbackenen Verklemmtheit gewünscht, dass die richtigen Ansätze, nämlich dass beispielsweise Paungers und Poppes (das Erfinder-Ehepaar der Mondkalender-Renaissance der 1990er) marktschreierisches und kapitalistisches Ausschlachten des Mondwissens alles andere als lunar und natürlich ist, effizient und klar weiterverfolgt worden wären. Damit wäre die Leserschaft tatsächlich gewarnt gewesen, weniger aber vor nicht kausalen Verbindungen und mächtigen lunaren Einflüssen, sondern vor dreisten Erdenbürgern wie Paunger und Poppe, die daraus eine dogmatische Lehre basteln und Kapital schlagen wollen.

Und all dies ist umso trauriger, entpuppt sich doch bei näherer Betrachtung von Röthleins Vita diese doch als ausgewiesene Expertin der Quantenphysik. Wo sonst kann man denn so offensichtlich das kausale und analoge Wissen, den Mondschein und die Mondenergie hermeneutisch vereint finden wie ihn den Schriften jener wahren Naturwissenschaftler. Immerhin und falls das noch nicht deutlich genug geworden ist: Der Mond wird auch nach diesem Buch weiterhin scheinen und uns, mehr als wir uns das jemals erklären können, bewegen.

Originalbeitrag unter Die Berliner Literaturkritik

Literaturangaben

  • Röthlein, Brigitte: Der Mond. Neues über den Erdtrabanten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 272 S., mit zahlr. Abb., 16,90 €, ISBN: 978-3423246781

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