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Kulturkonservativismus

Botho Strauss? hat verlautbart, dass „die Sprache im gesamten Spiel der Reize eine schwindende Sensation darstellt“, Sprache, verstanden „als zentrales, dunkles, suggestives Daseinsorgan, das Gegenteil von ›schönem Stil‹ einerseits und zweckdienlicher Kommunikation? andererseits“. Strauss sieht die Gefahr voraus, „dass die Kompetenz für Literatur zivilisationsgeschichtlich abnimmt oder ausstirbt“.

Man muss diesen Zweifel nicht unbedingt teilen, aber etwas mehr Zweifel täte dem Kultur-Betrieb gut. In seinem berühmten Kunstwerk-Aufsatz hatte Walter Benjamin? noch mit Verwunderung die Tricks notiert, mit denen man einem Darsteller? einen glaubwürdigen Schrecken ins Gesicht zauberte: indem man "ohne sein Vorwissen in seinem Rücken einen Schuss" abgefeuert hat zum Beispiel. "Das Erschrecken des Darstellers in diesem Augenblick kann aufgenommen und in den Film? montiert werden." Nichts zeige drastischer als dies, so Benjamin, daß "die Kunst aus dem Reich des ,schönen Scheins' entwichen" sei. Der schöne Schein, möchte man ihn denn von der Deutschen Klassik? her begreifen, das ist der Triumph des Spiels über die Technik, die Autonomie der Kunst vor den Gesetzen der Realität. Method Acting feiert dagegen einzig die Kraft des Machbaren. Der Star-Virtuose verdient seinen Ruhm mit der Reproduktion von erkennbaren Klischees.

Nichts zu sagen haben und alles aufschreiben. In den »Cahiers« notiert Paul Valéry?, man könne die Sprache auf zweierlei Weise beherrschen: "Entweder wie der Athlet seine Muskeln oder wie der Anatom die Muskeln." Ändert sich der Mensch je in seiner Substanz? Wird er ‚besser’ über die Jahrhunderte der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung? Eine Frage, die von den Philosophen - im Allgemeinen eine tief zerstrittene Sekte - bis heute trotz allem in erstaunlicher Einhelligkeit mit Nein beantwortet wird. "Der Mensch ist einer, der etwas stattdessen tut", so die freundliche Variante der anthropologischen Skepsis in der Diktion von Odo Marquard?, immerhin ein Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts. Und ob Immanuel Kant - welcher der Menschheit attestierte, sie befinde sich hin "auf dem Weg zum Besseren" - recht hat, das möchte man angesichts der neuen Religionskriege wenigstens noch hoffen dürfen. Literatur ist eine Fälschung - eine, die die Wirklichkeit verschwinden lässt, sie eintauscht gegen eine Fiktion, die sich wiederum dreist als Wirklichkeit anbietet und behauptet.

Schon Virginia Woolf hat sich über die Unfähigkeit der Leser beklagt, Fiktion als Fiktion zu betrachten und nicht als verschleierte Realität. Ich glaube, diese Unfähigkeit hängt hauptsächlich damit zusammen, dass wir über keine gemeinsame Sprache verfügen, mit der wir uns über Fiktion unterhalten könnten. Fiktion ist verschlüsselt und vieldeutig. Allein eine Zusammenfassung des letzten Romans zu liefern, den man gelesen hat, erweist sich als äußerst schwierig. Hinzu kommt, dass die meisten Leute ohnehin mit sehr abgestumpften Antennen zum Empfang fiktiver Signale herum laufen. Neben einem Narren hielten sich die großen Machthaber nicht selten auch einen Schreiber?, der die Res gestae? festhielt und das Herrscherlob so laut singen sollte, dass auch noch späteren Generationen Kunde von jenen großen Taten wurde. Dennoch haben diese Loblieder? den Herrscher selten überlebt; so mancher Nachfolger ging so weit, die in Stein gemeißelten Namen der Vorläufer für alle Zeiten auszulöschen und mit dem eigenen zu überschreiben. Im Schatten der Aufmerksamkeit sollte man sich das erarbeiten, was Roland Barthes? die "ecriture" genannt hat, die Schwester des Stils, aber der Stil ist gewachsen, Teil einer Tradition. Die "ecriture" entspringt der Ethik der Werkstatt, wenn man die Gruppe aus Mann, Tisch, Stuhl und Klapprechner so nennen darf.

Paul Valéry? hatte eingestandenermaßen ein fürchterliches Gedächtnis. Deswegen schrieb er auch über gelesene Bücher als ungelesene. Und das brillant. Die Diskontinuität dieses tatsächlich als essayistisch, nämlich als Versuchsanordnungen zu verstehenden Verfahrens erlaubt es, das Quellenmaterial?, welches seine Lebensphasen in höchst unterschiedlicher Dichte abdeckt, in diverse literarische oder historische Kontexte zu fügen und es gewissermaßen wie Filmmaterial mehrfach zu belichten. Kritiker glauben, dem Publikum immer etwas erklären zu müssen - warum etwas gut oder schlecht, richtig gedacht oder falsch gemacht, preiswürdig oder verdammenswert ist. Kulturkritik? war einmal Lieblingssport für Bildungsbürger?. Oft der einzige, war Sport selbst doch Ausdruck von Kulturverfall. Das Spiel ist eine freiwillige Handlung, ausgeführt als Selbstzweck nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln, begleitet von Spannung, Freude und Ausnahmegefühl. So definiert es der niederländische Kulturtheoretiker Johan Huizinga?. Das Spiel gilt aber auch als Spiegel des Lebens. War es eine enge Welt, die ihn in immer neue Versuche zwang, Grenzen zu überschreiten?

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