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Die Stunde zwischen Hund und Wolf

von<br> Silke Scheuermann

In schummrig-bläuliches Licht gebettet, fällt die Brücke in den Schein einer Straßenlaterne, in dessen Mitte eine schwarze Frauensilhouette erkennbar ist, die sich vage vom gleißend hellen Lichtkegel abhebt. Die Vermutung, es mit einem Gruselroman zu tun zu haben, liegt nach diesem ersten Blick auf das schauerliche Buchcover? zugegebenermaßen nahe. Aber der Text spricht eine andere Sprache, das wird beim Lesen schnell deutlich.

Denn im Roman „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“ von der Frankfurter Autorin Silke Scheuermann? geht es nicht um unheimliche Metamorphosen zur Geisterstunde, wie außerdem noch der Buchtitel implizieren mag, sondern um die lebensnahe Schilderung einer zerbrechlichen Geschwisterliebe. Geistreich-ironisch, mit berührender Tiefe wird die Begegnung zweier Schwestern geschildert, die, gefangen in Kindheitserinnerungen, sich erst als Erwachsene kennen- und akzeptieren lernen müssen.

Rückkehr in die Heimat

Eine junge Frau kehrt nach langem Auslandsaufenthalt zurück ins heimische Frankfurt. Binnen kurzer Zeit wird sie von ihrer Schwester Ines aufgesucht, zu der sie Jahre zuvor aus unbekannten Gründen den Kontakt abgebrochen hatte. Unwillig lädt sie Ines zu sich ein, diese aber verhält sich rätselhaft und lässt sich bald von ihrem Freund Kai abholen: „Er gefiel mir, obwohl er Ines’ Freund war. Ich könnte, dachte ich, zu Ines hingehen und sagen, er ist schön, mal sehen, was dann passierte.“ Indem die Erzählerin Kai zum primären Objekt ihrer Begierde erklärt, kann sie vor sich auch rechtfertigen, die Schwester ein wenig an sich heranzulassen.

Trotz anfänglich starker Abneigung lässt sich die Erzählerin erstaunlich widerstandslos auf die Annäherungsversuche ihrer älteren Schwester ein. Nicht zuletzt, weil diese sich bald als unberechenbare Schnapsdrossel entpuppt. Ines braucht offensichtlich Hilfe. Wie alle ihre zuweilen sehr scharfsinnigen und witzigen Beobachtungen nimmt die Erzählerin auch die Entlarvung der Suchtkranken mit ungerührter Gelassenheit auf.

Durch die Entdeckung der Alkoholkrankheit wird die Jüngere aus der Reserve gelockt und bald von der überwunden geglaubten Rolle der starken, beschützenden Schwester eingeholt. Im Übrigen ist auch Kai ein nicht unwesentlicher Grund, der alkoholkranken Schwester näher zu kommen, und die Erzählerin fühlt sich zunehmend wohl damit, sich den beiden unentbehrlich zu machen.

Wacklige Beine

Wie die meisten [Schriftsteller | Schriftstellerinnen]] ähnlichen Alters wurde auch Silke Scheuermann in der Vergangenheit dem offenbar unvermeidlichen Vergleich mit der Kollegin Judith Hermann unterzogen. Warum, fragt man sich spätestens bei der Lektüre dieses Romans. Scheuermanns Figuren strahlen keine luxuriöse Langeweile aus, sie sind weniger elegisch und bewegen sich in einer wirklichkeitsnäheren Welt, verglichen mit den Charakteren aus Hermanns Erzählungen.

Auch ist Scheuermanns Blick auf die Menschen schärfer, unerbittlicher: „Als ich hochschaute, bemerkte ich, wie Rebeccas graue Augen auf mich gerichtet waren, Reptilaugen, alt und verdorben. (...) Sie lächelte nicht; ihre dünnen Lippen glänzten fettig.“ Besonders die Konflikte der Figuren wirken realer und vor allem essenzieller als die der hermannschen Charaktere.

Als Ines im Suff stürzt und ins Krankenhaus kommt, können Freund und Schwester ihre Gefühle füreinander nicht länger verbergen, sie landen im Bett. Obwohl der Zusammenbruch der Schwester die Protagonistin erst recht zu beflügeln scheint, wird deutlich, dass nicht nur Ines die Nähe der Jüngeren sucht, sondern auch umgekehrt diese sich nach schwesterlicher Liebe sehnt. Selbst ein wenig hilflos im Kampf um Zuneigung, versucht die Erzählerin zumeist auf sympathisch unsouveräne und durchschaubare Weise, Ines von sich abhängig machen, ihre widerstreitenden Gefühle sind ihr selbst unheimlich.

Dichtes Sprachgewebe

So bringt sie der Schwester teuren Whisky ans Krankenbett, um ihr Dankbarkeit abzuringen, aber aus diesem linkischen, vielleicht zynischen Freundschaftsdienst spricht auch echte Sorge. „Sie sah entspannt aus, so wie sie die Flasche wiegte und streichelte wie eine Mutter ihren Säugling. Ich war verlegen. (…) Jetzt ist es gut, sagte Ines. Noch ein Schluck, wieder dieser Satz: Jetzt ist es gut. Ihre Wiederholungen kamen mir stumpfsinnig vor. Ja, sagte ich aggressiv, uns geht es allen gut.“

Schließlich ist es Ines, die die eingefahrene Situation der beiden Schwestern selbst auflöst, indem sie ihre Schwester aus der Verantwortung nimmt und sich von außen Hilfe sucht. Gemeinsam fahren die beiden zur Entzugsklinik, die Andeutung eines Neuanfangs, aber mit der vagen Hoffnung, dass es „schon werden“ wird.

Mit dem vorliegenden Roman hat sich die Autorin, die bisher zwei Lyrikbände sowie einen Erzählband vorzuweisen hat und für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet wurde, in die obere Liga auch dieser Literaturgattung katapultiert. Aus dem Stoff um die beiden Schwestern webt Scheuermann ein dichtes Sprachgewebe, in dessen Maschen die Identitäten der Figuren sich mehr und mehr verlieren, verwischen und undeutlich werden. In ihren eigenen Rollenzuschreibungen gefangen, häufig unreflektiert, fallen sie zurück in leere Phrasen und abgedroschene Klischees, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wissen: „Und ich sagte, ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was du tun sollst, aber es wäre schrecklich zu wissen, dass du Ines vergessen kannst. Nein, sagte er und ließ mein Gesicht los, ich sehe sie immer, wenn ich dich ansehe. Du steckst in ihr. Ich habe sie gebraucht, um dich kennenzulernen, sie war, verstehst du, sie war die Vorläuferin.“

Eine gleich geschnittene Welt

Die Figuren können nicht anders, als auf solche Plattitüden zurückgreifen. Sie versuchen sich in einer Welt zurechtzufinden, in der die Individualisierung zwar zum Credo erhoben wird. Ironischerweise kann diese jedoch immer nur scheinbar und in permanenter Gegenwärtigkeit einer Entlarvung des Individuums als Element der ununterscheidbaren Masse stattfinden: „Woher wissen Sie, wohin es geht? fragte ich. Er antwortete, die Altbauwohnungen in dieser Straße sind alle gleich geschnitten, ein Freund von mir hat hier mal gewohnt. Er sagte das ein wenig abfällig, als seien sein Freund und ich, jeder für sich genommen, beide so etwas wie traurige Irre in einer gleich geschnittenen Welt, die wir als Bewohner nicht überblickten.“

Trotz oder gerade wegen der vorherrschenden Orientierungslosigkeit erwartet den Leser ein amüsantes Stück Literatur, das mit einem melancholischen Lächeln die Unwegsamkeiten menschlichen Zusammenlebens beschreitet und niemanden allein lässt in seiner Verlassenheit.

Literaturangaben:

  • SCHEUERMANN, SILKE: Die Stunde zwischen Hund und Wolf. Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN: 978-3895613715, 174 S., 17,90 Euro.

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