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Die Manns. Die Pringsheims (Hörbuch)

von<br> Gabriele Förg, Hiltraud Häntzschel und Ulrike Voswinckel

Die Manns werden gern der meist zitierte Familienclan Deutschlands genannt. Das mag stimmen oder nicht, reichlich Material gibt es jedenfalls über die schriftstellernde Familie um den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Außer den drei Romanciers der Familie, den Brüdern Heinrich und Thomas sowie Thomas’ Sohn Klaus?, schrieben fast alle Mitglieder dieser Familie regelmäßig. Thomas’ älteste Tochter Erika? machte sich vor allem mit politischen Reportagen? einen Namen, der drittgeborene Sohn Golo? als Historiker. Und diejenigen Manns, die nur eine Autobiographie verfassten, wie beispielsweise Thomas’ Tochter Monika? oder Thomas’ und Heinrichs jüngster Bruder Viktor?, galten in der Familie keineswegs als Schriftsteller, wiewohl auch sie genug Schriftliches hinterließen. Tagebuch oder Briefe? jedenfalls schrieben alle.

Der Hörverlag? hat nun eine Auswahl erzählter Geschichten dieser schreibenden Familie zusammengestellt. Auf vier CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 238 Minuten kann sich der Hörer anhand von Brief?-, Roman- und Tagebuchpassagen einen Einblick in Familien- und Zeitgeschichte verschaffen. Die vier Features? wurden in den Jahren 2005 bis 2007 vom Bayerischen Rundfunk produziert und für den Hörverlag? überarbeitet. Redaktionell verantwortlich zeichnet Gabriele Förg?, von der auch zwei der Features stammen. Geliefert werden die CDs im einheitlichen Cover-Layout, das Sylvie Bohnert liebevoll als beige-braune Gründerzeit-Streifentapete mit gerahmten Porträtfotos gestaltet hat.

Das schwierige Verhältnis der Brüder Heinrich und Thomas

Drei der Features konzentrieren sich auf die fünf Geschwister Mann: Heinrich, Thomas, Julia?, Carla? und Viktor?, das vierte widmet sich der Familie Pringsheim, der Herkunftsfamilie von Thomas Manns Ehefrau Katia?. In einem Begleitheftchen? finden sich Zitate, tabellarische Biographien der Porträtierten, kurze biographische Notizen?, die dem Hörer die Orientierung in dem weitläufigen Verwandtenkreis erleichtern. Leider fehlen in der der Rezensentin vorliegenden Ausgabe? die Seiten? 18 bis 34 des Booklets? und somit die Lebensgeschichte Thomas’ und Katias? nach 1914 sowie alle Erläuterungen zum Feature über die Schwestern Julia? und Carla?.

Die erste CD beschäftigt sich unter dem Titel „Der Genießer und der Asket“ mit dem schwierigen Verhältnis der Brüder Heinrich und Thomas, einer „Geschichte von Annäherungen und Entfremdungen“. Autorin Gabriele Förg setzt den Schwerpunkt auf die - scheinbar - unterschiedlichen Charaktere der beiden Brüder, denen schon ihr Vater in seinem Testament gerecht zu werden versucht: „… den Neigungen meines ältesten Sohnes zu einer s.g. literarischen Thätigkeit“ solle der Vormund „entgegentreten“, der „Hintergrund seiner Neigungen ist träumerisches Sichgehenlassen“. Soweit zu Heinrich. Thomas hingegen „ist ruhigen Vorstellungen zugänglich und wird sich einen praktischen Beruf hineinfinden“. Hier irrte der Senator.

Der Konflikt spitzt sich zu

Der Konflikt zwischen den Brüdern äußert sich zuerst auf literarischer Ebene. Da wird gegen das neueste Werk? des jeweils anderen öffentlich polemisiert? und in privaten Briefen? kritisiert. Thomas zufolge enthält Heinrichs Roman Die Jagd nach Liebe „zu viel, zu viel ‚Schenkel’, ‚Brüste’, ‚Lende’, ‚Wade’, ‚Fleisch’ und man begreift nicht, wie Du jeden Vormittag wieder davon anfangen mochtest, nachdem doch gestern bereits ein normaler, ein tribadischer und ein Päderasten-Aktus stattgefunden hatte“. Und Heinrich schreibt an Thomas: „Die Gegnerschaft deines Geistes kannte ich von jeher.“ Der Konflikt spitzt sich zu einem politischen zu, Heinrich? tritt offen gegen den Krieg auf, Thomas bleibt lange unpolitisch, ehe auch er sich nach Jahren zu einer Meinung und öffentlicher Stellungnahme entscheidet.

Ulrike Voswinckel? porträtiert in ihrem Feature „Das Neben-Ich und die Schwesterseele“ die Schwestern Julia? und Carla Mann?, jedoch vordergründig in ihrem Verhältnis zu den beiden Brüdern. In den unterschiedlichen Sympathien der Geschwister füreinander zeigt sich wieder die jeweilige Lebenseinstellung. Die Schauspielerin Carla? ist Heinrichs „Schwesterseele“ und „geliebtestes Wesen“, die Bankiersgattin Julia? ist Thomas’ „weibliches Neben-Ich“. Da Carla? und Julia? zu denjenigen Manns gehören, die tatsächlich wenig Geschriebenes hinterließen, stammen die meisten Charakterisierungen aus der Feder? der umso schreibwütigeren Brüder. Als Schriftsteller verarbeiteten sie die Geschichten ihrer Nächsten in ihren Romanen. Briefe? Carlas? werden von Heinrich fast wortwörtlich übernommen, während Thomas beiden Schwestern ein Denkmal in seinem Roman „Doktor Faustus“ gesetzt hat.

Dichtung und Wahrheit

Was Wahrheit, was Dichtung in diesen literarischen Porträts ist, lässt sich heute nicht mehr unterscheiden. Vermutlich sehr viel Wahrheit, denn Thomas Mann selbst nannte diese Elemente seines Romans eine „Preisgabe des Schicksals meiner Schwestern“. Und Thomas Mann hatte gewöhnlich keine Scheu, Anekdoten aus seinem Umfeld literarisch zu verwerten. Beide Schwestern setzten ihrem Leben selbst ein Ende. Carla? hatte als Schauspielerin in Provinztheatern den bürgerlichen Zwängen entfliehen wollen und scheiterte daran. Julia? hatte als distinguierte Bankiersgattin in der Münchner High Society versucht, ihr Leben zu strukturieren (und es durch Drogen erträglich zu machen), und scheiterte ebenfalls.

Das dritte Feature, wieder von Gabriele Förg, basiert auf Viktor Manns? 1949 erschienener Familienchronik? „Wir waren fünf – Bildnis der Familie Mann“. Der Titel „Heini, Ommo, Jaju, Atta und …“ soll wohl verdeutlichen, dass der nachgeborene Viktor? seine älteren Geschwister aus einer Distanz sah, sie eher als Onkel und Tanten denn als Geschwister wahrnahm. Seine Familiengeschichte ist unprätentiöser als so manches andere, was die Manns geschrieben haben, so wie auch sein Leben nicht im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit ablief wie das seiner Brüder. Viktor? war kein Schriftsteller, sondern Agrarökonom, und er verbrachte den Zweiten Weltkrieg nicht im Exil, sondern als kleiner Bediensteter der Wehrmacht in Deutschland.

Langweilige Wiederholungen

Es ist schade, dass die Autorin, wiewohl sie selbst mehrmals vom „best-dokumentierten deutschen Clan des 20. Jahrhunderts“ spricht, für dieses Feature Dokumente? der ersten CD recycelt. Einige Zitate werden in voller Länge wiederholt, sogar etliche Kommentare? wurden wortwörtlich aus dem Feature „Der Genießer und der Asket“ übernommen. Bei der Fülle an spannendem Material über die Manns wäre es eine kleine Mühe gewesen, den Hörer nicht mit Wiederholungen zu langweilen. Das Feature über Viktor Mann? hat etliche Lücken und Unstimmigkeiten. Unklar bleibt auch das Fazit: „Seine persönliche Ehre hat Viktor Mann? auch in seiner Autobiographie zu retten versucht. Sie ist nicht frei von falschen Tönen, so unterhaltsam sie in vielen Passagen auch sein mag.“ Welche falschen Töne? Das bleibt offen.

„Man spürt nichts als Kultur“, so Thomas Mann über das Elternhaus seiner Frau Katia?, und so der Titel des vierten Features. Autorin Hiltrud Häntzschel? berichtet darin von der Münchner Familie Pringsheim, dem Mathematikprofessor Alfred Pringsheim und seiner Frau Hedwig, deren Mutter, der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm?, sowie Alfreds Eltern, den Berliner Großindustriellen und Multimillionären der Gründerzeit. Auch die Pringsheims hatten, wie die Manns, fünf Kinder. Katia? war die jüngste und das einzige Mädchen, das 1905 im Alter von 21 Jahren den damals schon berühmten Schriftsteller Thomas Mann heiratete.

Das spannendste Feature

Diese Hochzeit, ein gesellschaftliches Ereignis, wurde beileibe nicht von allen vorbehaltlos bejubelt. Scharfzüngige, kritische Schilderungen gibt es sowohl von Thomas’ Mutter Julia? als auch von Katias? Mutter Hedwig. Katia? selbst dazu: „Ich muss gestehen, sie nannten zunächst Thomas Mann immer den leberleidenden Rittmeister, weil er nämlich etwas blässlich war und schmal, und dann war er sehr korrekt mit seinem Schnurrbart und allem.“ Viel Respekt genoss der „Schwieger-Tommy“ bei den Pringsheims nicht. Der Hörer kann sich ein sehr lebendiges Bild dieser Gesellschaft machen, nachdem er sich erst einmal orientiert hat, wer sich denn hier gerade über wen mokiert. Insgesamt ist Hiltrud Häntzschel das spannendste Feature dieser Sammlung gelungen. Die Zusammenstellung der Zitate wirkt hier lebendiger und unterhaltsamer, die Kommentare sind wertend.

Kein Hörbuch ohne Sprecher. Münchner Größen wie die Schauspieler Udo Wachtveitl und Axel Milberg liehen den Manns ihre Stimme. Als Thomas hört man Achim Höppner, Andreas Neumann und Axel Milberg, als Heinrich ebenfalls Achim Höppner, als Erika Eva Gosciejewicz und Ruth Geiersberger, als Viktor Udo Wachtveitl und Peter Weiß. Einen Wiedererkennungseffekt gibt es durch die unterschiedliche Besetzung in den einzelnen Features nicht, man sollte also jedes als Einzelkunstwerk genießen. Die musikalische Umrahmung ist sparsam und überlagert die Worte nicht: Norbert Groh am Piano interpretiert, unter anderem, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg. Und als Hilfe für den Wiedereinstieg nach Hörpausen sind auf den CDs alle fünf Minuten Tracks gesetzt.

Literaturangaben

  • Förg, Gabriele / Voswinckel, Ulrike / Häntzschel, Hiltrud: Die Manns. Die Pringsheims. DHV – Der Hörverlag, München 2007. 238 Min., 4 CDs, 29,95 €, ISBN: 978-3867171724

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