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Sämtliche Erzählungen und Gedichte

von<br> Joachim Ringelnatz

Bd. 1: Eine Zusammenstellung der original in fünf Bänden? veröffentlichten Erzählungen und Novellen und des schriftstellerischen Nachlasses.
Bd. 2: Sämtliche Gedichte

Die Erzählungen

Die Erzählungen zeichnen ein Bild des Dichters, das mit seinen Nonsensgedichten und vielen virtuosen Reimwerken? nichts zu tun hat. Zwar schimmert auch hier die Könnerschaft im Umgang mit dem geschriebenen Wort immer wieder durch, aber viel stärker als seine Lyrik lassen die Novellen den inneren Gemütszustand erkennen. Über weite Strecken dominieren Gefühle wie Hilflosigkeit, Sinnlosigkeit, Unterlegenheit und Unterdrückung. Bis zum Weltkrieg bewegt Ringelnatz – um mit Brecht zu sprechen – die “Sinnlosigkeit menschlichen Strebens”.

Der Krieg dann bringt zorniges Aufbäumen, ungerechtes Besiegtwerden, aber stets auch die Nähe von Versagen, Sinnlosigkeit und Tod. Viele Geschichten schildern Marineerlebnisse, wie das Seemannsleben überhaupt ein Hauptmotiv der Erzählungen bleibt. Erst die 1920er Jahre führen in die eher bekannten Sphären von Humoresken? und Nonsensgeschichten?, deren Aberwitz die früheren Gefühlswelten in eine resigniert-spöttelnde Einstellung transformiert. Denn man sollte sich nicht täuschen lassen, auch die angeblich “lustigen” Werke? sind oft eher von Galgenhumor oder von Fatalismus geprägt.

Insgesamt kosten Ringelnatz’ Prosaschriften etwas mehr Mühe und Mitdenken als seine Poesie. Wer leichte Kuttel-Daddeldu-Lektüre erwartet hat, wird sich wundern. Melancholie und Frust spielen eine weit größere Rolle. Dennoch lohnt es, auch diese Seite des Dichters kennen zu lernen, denn er ist nicht nur ein scharfer Beobachter und versierter Analytiker, er führt auch ein scharfes moralisches Skalpell und weiß zielgenau zu schildern. An seiner Wortgewalt kann sich noch mancher einiges abgucken!

Die Gedichte

Auch der Gedichtband? ist vielschichtig genug, um nicht immer einfaches Lesen zu bieten. Fangen wir mit den Nonsensgedichten an. Die finden sich sehr verstreut, von ganzen kleinen Geschichten bis zur Toilettenwandinschrift? oder Stammbucheinträgen?. Hat man aber einige davon gelesen, dann ahnt man, woher Epigonen? wie Heinz Erhard?, Robert Gernhardt oder auch Otto Waalkes? Inspirationen? und Stil bezogen. Das spricht nicht gegen die Spätergekommenen, aber für den Vorläufer, der sich – erkennbar – für gar nichts zu schade war und mit Zweideutigkeiten und Wortkaskaden gern und deftig Schabernack trieb.

Daneben aber gibt es so viel mehr, Ernstgenommenes und Ernstzunehmendes, das wenig bekannt, aber um so entdeckenswerter ist. Dazu gehören ganze Gedichtbände für Kinder (wobei sich die Eltern vorher inhaltlich orientieren sollten, um keine zu großen Überraschungen zu erleben!) ebenso wie Seemannsgedichte, Kriegserfahrungen und Begeisterungsausbrüche beim Passagierflug jener frühen Jahre.

Allen gemeinsam sind die strenge Wahrhaftigkeit von Beobachtung und Schilderung, eine unmittelbare Direktheit ohne Rücksicht auf Konventionen und “Sagt-man-nicht” sowie ein virtuoser Umgang mit Sprache, Versmaß? und Reimschema?. Denn so frech und hemmungslos Ringelnatz auch Dinge ausspricht, er gliedert akkurat und bleibt stets dem gebundenen Reim klassischer Art verbunden.

Dieser Kontrast zwischen Freiheit und Gebundenheit durchzieht auch das ganze Sujet des Dichters. Rotzige Ausdrucksweise verträgt sich mühelos mit tiefer Empfindsamkeit und starken Gefühlen, tiefe Bewegung steht unmittelbar neben schnoddriger Unbekümmertheit, wort-klingelnder Flachsinn ist grundlegender Werteüberzeugung benachbart. Und keinen Moment verwundert es, dass der gebürtige Sachse Hans Bötticher - so Ringelnatz' eigentlicher Name - zeit eines kurzen Lebens von nur 51 Jahren auch zu seinen Erfolgszeiten in den 1920er Jahren immer ein Outlaw, ein “gefühlter Unterschichtler” blieb, der vorhersehbar mit den Nazis? kollidierte und nach dem Verbot? seiner Schriften 1934 schlicht und einfach verhungerte. Er bleibe uns im Gedächtnis!

Originalbeitrag unter www.alliteratus.com

Literaturangaben

Ringelnatz, Joachim: Sämtliche Erzählungen und Gedichte, gebundene Ausgabe, Diogenes Verlag, Zürich, 2. Aufl. 2003, 368 & 864 Seiten. 29,90 €, ISBN: 978-3257063585

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