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Literaturwissenschaft
Literaturwissenschaft ist eine Bezeichnung für eine Wissenschaft, die sich mit der Entstehung, Rezeption und Wirkung von literarischen Erzeugnissen befasst. Sie ist im 19. Jahrhundert gleichzeitig mit der Sprachwissenschaft entstanden, unterscheidet sich von dieser jedoch dadurch, dass sie ausschließlich über literarische Objekte forscht. Die gegenwärtige Literaturwissenschaft ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Forschungs- und Interpretationsmethoden.
Foto: P. Kirchhoff/ pixelio.de
Definition
Der Begriff Literaturwissenschaft hat zwei verschiedene Bedeutungen.
- 1. Literaturwissenschaft ist eine allgemeine Bezeichnung für jede Art von wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Literatur. Häufig wird die Bezeichnung auch als Oberbegriff für die verschiedenen nationalsprachlichen Philologien wie z. B. Germanistik?, Anglistik? und Romanistik? verwendet.
- 2. Literaturwissenschaft ist eine Bezeichnung für eine systematisch betriebene Wissenschaft, die sich mit der Entstehung, Verbreitung, Rezeption und Wirkung von literarischen Erzeugnissen befasst. Diese Wissenschaft besteht aus verschiedenen Teildisziplinen, z. B. Literaturgeschichte, Literaturtheorie, Gattungstheorie?, Rezeptionsgeschichte?, Ästhetik und eingeschränkt auch Literaturkritik. Die Literaturwissenschaft steht in einem engen und fruchtbaren Verhältnis zu anderen Geisteswissenschaften wie Geschichte, Philosophie?, Soziologie, Film- und Theaterwissenschaften. Die gegenwärtige universitäre Literaturwissenschaft ist geprägt von zahlreichen interdisziplinären Forschungsprojekten.
Entstehung
Die Literaturwissenschaft als universitäre Institution und wissenschaftliche Forschungsdisziplin entstand im 19. Jahrhundert gleichzeitig mit der Sprachwissenschaft und parallel zur Ausweitung des Literaturmarkts. In Deutschland bestand dabei ein direkter Zusammenhang mit der gleichzeitigen Herausbildung eines Nationalstaates. Als Pioniere der Germanistik?, aus der die moderne Literaturwissenschaft später hervorging, gelten die Brüder Jacob? und Wilhelm Grimm? sowie Karl Lachmann? und Wilhelm Wackernagel?. Während sich die Brüder Grimm mit ihren grundlegenden Forschungen zur Sprachwissenschaft sowie zu Sagen und Märchen einen Namen machten, schuf Karl Lachmann? vorbildliche textkritische Ausgaben deutscher Dichtungen des Mittelalters? (z. B. Walther von der Vogelweide?, Wolfram von Eschenbach?). Die erste von einem Germanisten? verfasste Literaturgeschichte stammt von Wilhelm Wackernagel?, der seine „Geschichte der deutschen Literatur“ in den Jahren von 1848 bis 1855 herausgab.
Die Literaturwissenschaft entsteht
Der Begriff Literaturwissenschaft wurde zuerst von Theodor Mundt? in seiner „Geschichte der Literatur der Gegenwart“ (1842) verwendet. Nach vereinzelten Belegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts häufte sich der Gebrauch des Wortes etwa ab 1880. Als Gründe dafür gelten die zunehmenden Differenzierungsprozesse in den Nationalphilologien, die zur Verselbstständigung von Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Literaturkritik führten.
Im Mittelpunkt der Literaturwissenschaft stand anfangs der Gedanke, aus der Auseinandersetzung mit Literatur eine am Beispiel der Naturwissenschaften geschulte positivistische Forschungsdisziplin zu machen. Eine unmittelbare Folge davon war die zunehmende Theoretisierung und die begriffliche Differenzierung der noch jungen Literaturwissenschaft – eine Entwicklung, die sich im 20. Jahrhundert weiter fortsetzte und bis heute nicht abgeschlossen ist. Das Hauptverdienst der frühen Literaturwissenschaft liegt in der Zusammenstellung kritischer Texteditionen und umfangreicher Werkausgaben?.
Entwicklung
Großen Einfluss auf die Entwicklung der Literaturwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte Wilhelm Dilthey, dessen Aufsatzsammlung? „Das Erlebnis und die Dichtung“ (1906) im deutschsprachigen? Raum auf starke Resonanz stieß – und das nicht nur bei Experten, sondern auch bei literaturinteressierten Laien. Es war Diltheys Absicht, die Literaturwissenschaft aus dem Dunstkreis der Naturwissenschaften herauszulösen und aus ihr eine methodisch eigenständige Geistes- und Kulturwissenschaften zu machen.
Während, so Dilthey, die Naturwissenschaften die Welt nach dem Kausalitätsprinzip "erklären", suchen die Geisteswissenschaften (und damit auch die Literaturwissenschaft) die inneren Zusammenhänge zu "verstehen?", indem das Einzelne in den historischen und geistesgeschichtlichen Gesamtzusammenhang eingeordnet wird. Das "Verstehen" als "Bewegung von Leben zu Leben" erfordert dabei nicht nur den Verstand, sondern alle Gemütskräfte: In der Dichtung kommt nach Dilthey "nicht ein Erkennen der Wirklichkeit, sondern die lebendigste Erfahrung vom Zusammenhang unserer Daseinsbezüge in dem Sinn des Lebens zum Ausdruck".
Diltheys literaturwissenschaftliche Erlebnistheorie vereinigte philosophische, psychologische, historische und theologische Ansätze und führte zur Gründung einer einflussreichen geistesgeschichtlichen Schule, zu deren wichtigsten Vertretern u. a. Paul Kluckhohn?, Friedrich Gundolf? und Oskar Walzel? gehörten. Als mustergültig gelten ihre Forschungen zur Literatur der Romantik, des Barock? und der Goethezeit?.
Methodenpluralismus nach 1945
Nach 1945 stand die Literaturwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Zeichen eines komplexen und sich immer weiter ausdifferenzierenden Forschungs- und Methodenpluralismus. Als besonders einflussreiche Strömungen galten die Stilanalyse?, die Formanalyse? und vor allem die werkimmanente Interpretation?, die das literarische Werk? in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und dabei alle außerliterarischen Fragestellungen ausklammert. Die werkimmanente Interpretation? ist als Reaktion auf die ideologische Okkupation der Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus zu verstehen. In der DDR stand die Literaturwissenschaft bis zum Zusammenbruch des SED-Regimes unter dem Primat der staatlichen Kulturbehörden und war in der Praxis unfrei. Wichtige Literaturwissenschaftler? in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Wolfgang Kayser? und Max Bense?.
Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus
Einflussreiche Strömungen in der Literaturwissenschaft im 21. Jahrhundert sind der Poststrukturalismus? und der Dekonstruktivismus?, der die Uneindeutigkeit von literarischen Texten betont und auf eine sinnorientierte Interpretation verzichtet. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Forschungsmethoden und Interpretationsansätze, so dass als charakteristisches Merkmal der gegenwärtigen Literaturwissenschaft ihr äußerst komplexer Methoden-Mix angesehen werden kann.
Wichtige Grundbegriffe der Literaturwissenschaft
Zu den wichtigsten Grundbegriffen der modernen Literaturwissenschaft gehören:
Literatur
- Grass, Günter: Die Blechtrommel. Dtv, München 1993, ISBN: 978-3423118217
- Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall eine Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN: 978-3596294312
- Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Reclam Verlag, Ditzingen 1986, ISBN: 978-3150071113
Sekundärliteratur
- Brenner, Peter J.: Neue deutsche Literaturgeschichte. Vom „Ackermann“ zu Günter Grass. Niemeyer Verlag, Tübingen 2008, ISBN: 978-3484107366
- Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Kröner Verlag, Stuttgart 2008, ISBN: 978-3520452030
- Jeßing, Benedikt / Köhnen, Ralph: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Metzler Verlag, Stuttgart 2007, ISBN: 978-3476021427
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